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Auszeichnung mit Hut: Die besten schriftlichen Abschlussarbeiten

Mit dem Chapeau! Preis prämiert die Hochschule Luzern – Design Film Kunst herausragende schriftliche Abschlussarbeiten. Chapeau! soll sichtbar werden lassen und würdigen, wie in den schriftlichen Arbeiten neue Modelle der Verbindung von Theorie und Praxis entwickelt werden. Modelle, die einen anderen Weg nehmen als universitär-wissenschaftliche Arbeiten und die im Sinne einer eigenen Praxistheorie der spezifischen Kreativität der Ausbildungsgänge in Design, Film und Kunst gerecht werden. Manche dieser Arbeiten sind Seismographen für zukünftige Themen und Forschungsfelder. Chapeau! bedeutet in diesem Sinn ein deutliches Mehr als das Erfüllen von Standards. Es werden zwei Preise verliehen aus dem Bachelor- und Masterbereich, die über den Standard hinausgehen und vor der wir den Hut ziehen.

Die Nominierten

Bertilla Spinas: «‹Was bringt’s?› (seufzend). Eine analytische Befragung des politischen und aktivistischen Nutzens von künstlerischen Strategien» (BA Kunst & Vermittlung)

Kunst ist, muss immer, kann oder darf nie politisch sein? Welche Rolle spielen dabei die Inhalte und die institutionellen Rahmenbedingungen? Eine Debatte, die immer wieder unter aktuellen Vorzeichen neu und oft vehement geführt wird. Der Diskurs über den soziopolitischen Nutzen und das Selbstverständnis von Kunst macht ihn selbst, wie Bertilla Spinas es formuliert, zum Politikum – und sie hält diesen mit einem überzeugend gewählten ‘beweglichen’ Textformat, einem Booklet, einem Kartenset und Floatchart, sinnfällig und gezielt in Bewegung. Dabei werden die verschiedenen Stimmen des Diskurses und die dazu gehörigen kunsttheoretischen Konzepte im physischen wie übertragenen Sinn auseinander- und ineinander ‘gefaltet’, in eine spannungsvolle Zwiesprache gebracht und so auch die Ambivalenzen differenziert herausgearbeitet – das macht die besondere Qualität dieser schriftlichen Arbeit aus. Zwischen Zweifel an der Wirksamkeit von Kunst und dem Anspruch, dass diese politisch zu sein hat, setzt sich Bertilla Spinas darin (selbst-)kritisch und doch spielerisch, vertieft und gleichzeitig pointiert, seufzend und trotzdem engagiert-lustvoll mit dem komplexen Diskurs- und Praxisfeld zwischen politisch-aktivistischen, auch institutionskritischen und rein ästhetischen Funktionen von Kunst auseinander. «Was bringt’s?» Wer sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Kunst und deren Kategorisierungen stellt, kann sich mit Hilfe des spielbrettartigen Floatcharts (s. Bild) und den dazugehörigen Textsets selbstkritisch bis selbstironisch im Feld der künstlerischen Konzepte verorten. – Text: Marie-Louise Nigg

Julian Rupp: «Zu einer mehr-als-menschlichen Fotografie. Material für ein Manifest» (BA Camera Arts)

Debatten über die Haltbarkeit der hergebrachten Grenzen des Menschlichen in einer Umwelt, die als immer neu zu bestimmende Verbindung von vernunftbegabten Wesen, Apparatur und Natur erlebt werden kann, haben auch Folgen für unsere Vorstellung von der Fotografie. Julian Rupp fragt in seiner schriftlichen BA-Abschlussarbeit: Wie kann Fotografie im postdigitalen Zeitalter und im Anthropozän neu gedacht werden? Welchen Zusammenhang hat sie als industrielle Technik selbst mit der steigenden Unwirtlichkeit des Planeten? Und wie kann fotografisches Storytelling für eine kritische Bewusstseinsbildung in zeitgemässer Weise verwendet werden? Es bedarf neuer Ansprüche an das Medium, für die Rupp eine Reihe von Perspektiven anführt: Fotografie soll zur «Solidarität» mit Tieren, Mikroben, Pflanzen, Menschen und mit anderen Maschinen beitragen. Sie soll verdeutlichen, dass unsere Vorstellung von einem alle «Materialität» verbergenden Bildverkehr auf Illusionen beruht. Sie soll «transparent» sein und so die Programme der Hersteller zu unterlaufen ermöglichen. Eine erneuerte Fotografie soll sich zur «Perspektive» eines planetaren Blicks bekennen. Sie soll das «Rhizom», in dem alles miteinander verbunden ist, vor Augen führten und «Kollaboration» mit nicht-menschlichen Entitäten ermöglichen. Rupp trägt alle diese Überlegungen und Forderungen in einer als Entwurf für ein Manifest gegliederten und gestalteten Arbeit vor. Sie verortet die Fotografie spekulativ in einer radikal auf zeitgenössische Reizthemen hin entworfenen Praxis des Bildermachens. Das dafür gewählte Erscheinungsbild des illustrierten Texts unterstützt sinnfällig die angestrebte Gattungszugehörigkeit. – Text: Wolfgang Brückle

Saskia Morgenegg: «Sinnesvielfalt in Ausstellungsräumen» (BA Spatial Design)

Welcher Sinn macht eigentlich am meisten Sinn? Im Museum jedenfalls nicht einer alleine, so würde Saskia Morgenegg argumentieren. In ihrer Bachelor-Abschlussarbeit «Sinnesvielfalt in Ausstellungsräumen» geht sie dem aktuellen Trend multisensorischer Inszenierungen auf den Grund und stellt die Frage, welche Sinneserfahrungen im Ausstellungskontext nicht nur sinnlich, sondern auch sinnvoll für das Publikum sind. Sie trifft einen aktuellen und relevanten Nerv der Szenografie.

Zentral in Morgeneggs Arbeit ist das Plädoyer für das Aufbrechen «der Grenzen zwischen Besucher:innen und Ausstellungsinhalten durch multisensorische Ausstellungräume». Denn allzu lange war das Museum ein Ort des Anschauens von Objekten, vielleicht noch ein Ort des Hörens durch Audioguides und nur in wenigen Fällen ein Ort des Fühlens, Tastens oder gar mehr. Dass Menschen jedoch sinnliche Wesen sind und um etwas wirklich zu verstehen – es also buchstäblich zu begreifen – mehr als nur visuelle Informationen benötigen, arbeitet sie heraus. Dabei lenkt sie das Augenmerk auch auf Inklusion und die Integration mehrerer Sinnesebenen und Formen der Ansprache gleichzeitig. Dies intensiviere auch das Ausstellungserlebnis für Menschen ohne Sinnesbeeinträchtigungen. Sie spürt dabei auch gekonnt Schwachpunkte auf, denn nicht alles Multisensorische ist auch inklusiv und bietet u.U. sogar unüberwindbare Hürden oder Stolperfallen, man denke nur an interessante aber unwegsame Bodenbeläge. Saskia Morgenegg gelingt in ihrer Arbeit zudem der Spagat zwischen Subjektivität und Objektivität, denn sie legt ihre in Ausstellungen gemachten subjektiven Empfindungen nachvollziehbar dar, sodass sie Gegenstand des Diskurses von Rezeptions- und Produktionsästhetik werden. Damit leistet sie einen bemerkenswerten Beitrag zur Wissensbildung und verbindet vorbildlich Theorie und Praxis. – Text: Barbara Mutzbauer

Chiara Turel: «Destigmatising Death: What should an intervention to destigmatize discussions on death look like?» (MA Design)


Sterben und Tod sind Ereignisse, die uns alle früher oder später unmittelbar betreffen. Dennoch wird das Thema in der Regel möglichst lange verdrängt. Den meisten fällt es schwer, sich darüber offen auszutauschen – jenseits von Euphemismen fehlen uns eine Sprache, Möglichkeiten des Gefühlsausdrucks und der Annäherun

Chiara Turel greift dieses heikle Thema in ihrer MA-Thesis couragiert und entschlossen auf und geht der Frage nach, wie mit den Mitteln und Methoden des Designs insbesondere jungen Menschen ein niederschwelliger, proaktiver Zugang ermöglicht werden kann. Hierzu untersucht sie die gesellschaftliche Wahrnehmung des Todes in früherer Zeit sowie aktuelle Darstellungen in den Medien. Eine besondere Qualität ihrer Arbeit liegt jedoch in der umfangreichen Primärforschung: So deckt sie in Interviews mit Fachpersonen, die mit Sterbenden und Trauernden täglich konfrontiert sind – Ärzt:innen und Pflegekräfte aus der Palliativmedizin, Therapeut:innen, Trauerbegleiter:innen und Bestattungsunternehmen – die vielfältigen Probleme und Unsicherheiten im Umgang mit dieser Seite des Lebens bemerkenswert treffsicher auf. Besondere Empathie beweist sie zudem in den Gesprächen und Workshops mit Trauernden, um so einen vertieften Einblick in Kommunikationsbarrieren, aber auch in persönliche Bewältigungsstrategien zu erhalten.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen entwickelte Chiara drei Prototypen – Konzepte für eine Website, eine interaktive Ausstellung sowie eine App. Bei einer ersten Evaluation bewiesen die Prototypen bereits ihr Potential für eine wirksame Intervention zur Entstigmatisierung von Gesprächen über den Tod. Neben Mut und Empathie überzeugt die Autorin nicht zuletzt mit ihrer sorgfältigen, klaren Analyse und Stringenz, mit der sie mögliche Formen und Inhalte einer praktischen Designintervention aus ihren Erkenntnissen abduktiv ableitet. – Text: Dagmar Steffen

Luca Schaffer: machine_gaze. Über das Operative in post-fotografischen Bildpraxen (MA Critical Image Practices)

In einer folgenreichen Wortprägung sprachen der Filmemacher Harun Farocki und, in seinen Fussstapfen, der Fotokünstler Trevor Paglen von operativen Bildern, das heisst: von Bildern, die nicht mehr hauptsächlich von Menschen und für das menschliche Auge erzeugt werden, sondern sich maschineller Steuerung verdanken und von Maschinen gelesen werden. Luca Schaffer bedient sich in einem Künstlerbuch, das zugleich seine schriftliche MA-Arbeit darstellt, dieses Schlüsselbegriffs und schliesst mit eigenen fotografischen Experimenten und eigenen Gedanken daran an. Nicht nur mit eigenen Gedanken freilich: Eine Probe aufs Exempel finden wir schon in einem mithilfe von ChatGPT verfassten Gedicht auf den Blick automatisierter Kameras. Es geht bei alledem um die sogenannte Postfotografie, in der sich, sagt Schaffer, das Operative bereits von seinem nicht-repräsentativen Sein emanzipiert hat. Schaffer beschreibt das bewegliche, vernetzte, unbeständige Wesen der Datenkonstrukte, die das Erbe analoger Fotografie angetreten haben. Er untersucht Interessen von Wirtschaft, Politik und Militär an zeitgenössischen Möglichkeiten der darauf gegründeten Bilderzeugung. Er spricht sich für die Reflexion unseres menschlichen Interesses an Bildern aus und kommt zu Gedanken über die Herausforderungen von Bildern in einer Welt, in der die Grenzen zwischen Digitalität und unserem Lebensraum fliessend geworden sind: «Unsere Wahrnehmung muss um einen operativen und handlungsorientierten Aspekt erweitert werden.» Stichwortgeber sind nicht nur Farocki und Paglen. Schaffer holt weit aus und setzt bildwissenschaftliche Ansätze in grosser Zahl miteinander in Beziehung, vom Iconic Turn bis hin zu Lev Manovich und Joanna Zylinska. Menschliche Teilhabe an der künstlichen Intelligenz ist Gegenstand des einleitend wiedergegebenen Gedichts; derselbe Gegenstand durchzieht den gesamten Aufsatz und die Experimente mit algorithmisch hervorgebrachten Bildern, die ihn begleiten. – Text: Wolfgang Brückle

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