Der Hut für die besten Theoriearbeiten
Am Schluss des Studiums an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst steht etwas da: ein Produkt, ein Film, ein Kunstwerk. Etwas, das sich an der Werkschau ausstellen und vielleicht sogar anfassen lässt. Von den Denkprozessen, die zu dieser Manifestation geführt haben, sind oftmals nur noch Spuren da. Auf diese Spuren richtet der Preis Chapeau! sein Augenmerk.
Neben der Arbeit mit den Medien und Methoden ihrer jeweiligen Disziplin setzen sich die Studierenden in den Theorie-Modulen und in ihrer schriftlichen Abschlussarbeit mit der Reflexion auseinander, der Reflexion über Kunst und Design, Film, Kultur, Medien, Literatur und Philosophie. Im Mittelpunkt steht dabei grundsätzlich die Frage, wie theoretische und wissenschaftliche Konzepte in die gestalterische und künstlerische Praxis einfliessen und sich dort allenfalls verändern.
2020 prämierte die Hochschule Luzern – Design Film Kunst mit dem Preis Chapeau! zum ersten Mal herausragende schriftliche Abschlussarbeiten. Chapeau! soll sichtbar werden lassen und würdigen, wie in den schriftlichen Arbeiten neue Modelle der Verbindung von Theorie und Praxis entwickelt werden. Modelle, die einen anderen Weg nehmen als universitär-wissenschaftliche Arbeiten und die im Sinne einer eigenen Praxistheorie der spezifischen Kreativität der Ausbildungsgänge in Design, Film und Kunst gerecht werden. Manche dieser Arbeiten sind Seismographen für zukünftige Themen und Forschungsfelder. Chapeau! bedeutet in diesem Sinn ein deutliches Mehr als das Erfüllen von Standards. Es wird ein Preis von je CHF 500 für eine Arbeit aus dem Bachelor und eine Masterarbeit verliehen, die über den Standard hinausgehen und vor der wir den Hut ziehen wollen.
Der Preis Chapeau! geht 2021 an Sophie Germanier und Sebastian Haas. Wir gratulieren herzlich!
Sophie Germanier (BA Kunst & Vermittlung)
Welcome to the MUD-dy World!
«In der Auseinandersetzung mit posthumanistischen, öko- und hydrofeministischen Theorien entwickelte Sophie Germanier für ihre schriftliche Bachelor-Arbeit ein aussergewöhnliches transdisziplinäres und gameartiges experimentelles Format: In der textbasierten Spielwelt «Mud-dy World» begegnen sich humane und non-humane Ko-Akteur*innen und interagieren miteinander. Das überzeugende Wechselspiel von darin reflektierten aktuellen theoretischen Diskursen und eigenen künstlerisch-tänzerischen wie narrativen Praktiken unterläuft methodisch wie inhaltlich bewusst binäres Denken und Handeln. Dabei können die Leser*innen nicht nur dem posthumanen ‹horizontalen› Interplay zwischen den Kompliz*innen folgen, sondern selbst anhand von sogenannten «SomaMUDs» – im Text eingefügten interaktiven Audiofiles – zu Mitspieler*innen werden, wo sie zu artenübergreifenden Grenzerfahrungen respektive Perspektivwechseln angeleitet werden. Sophie Germaniers Arbeit zeichnet sich durch einen vielversprechenden und gesellschaftlich hochrelevanten transdisziplinären Zugang aus, in dem sie ein originelles Modell für den Wissenstransfer an der Schnittstelle von schriftlicher theoretischer Reflexion und körperlicher, künstlerisch-tänzerischer Erfahrung über die Audio-Scores entwirft: Dabei lotet sie die (Un)-Möglichkeit von artenübergreifenden Inter- respektive Intraaktionen kritisch aus und schafft alternative Erzählungen für zukunftsorientierte Erkenntnis- und Ko-Existenzformen: Move through the mud-dy world.» (Text: Marie-Louise Nigg)
Sebastian Haas (Master Kunst)
Das sich bildende Dritte
«Können wir uns in einem Bild sehen, wollen wir das? Was macht es mit uns? Die Masterarbeit von Sebastian Haas ist selber ein Spiegel der künstlerischen Arbeit, deren Thema Spiegelungen sind. Man ist also mitten in der Reflexion – und der Spiegel besteht aus wissenschaftlichen, insbesondere ästhetischen und philosophischen Diskursen. Das ist sehr anspruchsvoll und zeigt: Sowohl in der Kunst wie in deren Erforschung geht es um Erkenntnis und Erkenntnistheorie. Das Besondere der Anstrengung von Sebastian Haas liegt darin, dass er die Unberechenbarkeit der Wahrnehmungsdimension mitdenkt und diese konsequent überträgt auf die Beziehung zwischen Bild und BetrachterIn oder eben: auf das sich bildende Dritte. Es ist nicht sicher, ob die schriftliche Reflexion das visuelle Ereignis seiner Bilder diskursiv einholen kann. Wohl eher nicht. Aber genau darin zeigt sich die Notwendigkeit, die Bilder zu schaffen und weiter zu denken. Wie es sich dann auch im didaktischen Transfer zeigt: Das Thema des spiegelnden Selbstbildes als Ausgangspunkt für zahlreiche formale und inhaltliche Lernexperimente zeigt neben dem philosophischen auch das pädagogische Potential des Themas. Ein wirkliches Meisterstück!» (Text: Silvia Henke)
Nominierte Arbeiten
Martina Häusermann (BA Objektdesign)
Extrudiertes Design. Industrielle Prozesse als Gestaltungsgegenstand
«Unter Einbeziehung von relevanter Fachliteratur und gut gewählten Designbeispielen thematisiert Martina Häusermann die sich verändernden Beziehungen zwischen Handwerk, Designprozessen und industrieller Produktion in Zeiten der Digitalisierung. Dabei fokussiert sie konsequent auf Extrusionsverfahren im Bereich der Keramik und nimmt die Leserin mit auf eine Reise durch die Technikgeschichte, das zeitgenössische Produktdesign und hinter die Kulissen ihrer eigenen praktischen BA-Arbeit. Bei den Designbeispielen gelingt es ihr, ein Vokabular für experimentelle Prozesse im Design zu entwickeln, statt nur Endprodukte zu beschreiben. Eine sorgfältige und saubere Arbeit, die viel Leidenschaft für das behandelte Thema ausstrahlt.» (Text: Monica Gaspar)
Kathrin Blümli (BA Graphic Design)
Helle Klänge – Warme Farben – Runde Süsse
Das Potenzial der multisensuellen Gestaltung
«Die vorgelegte BA-Thesis von Kathrin Blümli widmet sich dem Synästhetischen Design, der Gestaltung unter Einbezug der verschiedenen Sinnesmodalitäten.
Farben hören oder Formen schmecken sind ein Beispiel vonerweiterten Wahrnehmungen, die Menschen besitzen können. Die multisensuelle Gestaltung trägt diesen individuell ausgeprägten Fähigkeiten Rechnung. Die mittlerweile fast allen bekannten Begegnungen sind beispielsweise die taktilen Feedbacks von technischen Geräten oder die Werbejingles, die uns sofort an ein Produkt erinnern. Aber die Digitalität ist noch weit davon entfernt, Geruch oder Geschmack zu vermitteln, also alle Sinne des Menschen zu erreichen.
Diskussion, Fazit und Ausblick der Thesis verdienen besondere Aufmerksamkeit. Blümli begründet ihre Standpunkte kritisch, aber auch fordernd. So verlangt sie von zukünftigen Gestaltenden eine fachübergreifende Auseinandersetzung mit technischen, medizinischen und künstlerischen Möglichkeiten, wenn es um Synästhetisches Design geht. Diese so genannten Sinnesverbindungen müssten einen Mehrwert haben, beispielsweise, wenn Geschmack, Geruch und taktile Reize sinnvolle Ergänzungen sein und den Menschen unterstützen wollen. Dies sei aber noch lange nicht erreicht – was als klare Aufgabe an zukünftige Ausbildungsgänge gelten kann.
Kathrin Blümli formuliert auf hohem Niveau und ist präzis in der Argumentation. Lesende werden sicher in das Thema eingeführt, die Begriffe sind sorgfältig erklärt und mit Beispielen ergänzt. Im Text werden an passender Stelle Hinweise geboten, die (umfangreichen) Quellen und aktuellen Beispiele aus Kunst und Design zu konsultieren, um sich einen weiteren Überblick zu den verschiedenen Arten des Synästhetischen Designs zu verschaffen. Die differenzierte Gestaltung des Inhaltes (zahlreiche eigene Illustrationen begleiten den dichten Text) ist ein weiteres Merkmal. Das Lesen wird so zu einem lehrreichen Erlebnis.» (Text: Roland Grieder, Franziska Räz)
Sonja Hüppi (BA Textildesign)
Shaped and Seamless Weaving, Drei Faktoren auf dem Prüfstand
«Shaped and Seamless Weaving – Zwei Webtechniken die so neu zu sein scheinen und doch schon über zweitausend Jahre alt ist. Diese Arbeit zeigt auf, dass im Textilen – der vielleicht ältesten Kulturtechnik überhaupt – das Neue sehr relativ sein kann und gerade bei der Suche nach technischen Innovationen, das Studium von Objekten und Verfahren aus der Vergangenheit neue Wege in die Zukunft aufzuzeigen vermag. Diese Arbeit beweist aber auch, dass sich dieser Ansatz nicht auf die Lösung technischer Probleme beschränkt. Erfrischend unkompliziert zeigt sie, wie ökologische, ökonomische und inszenatorische Herausforderungen durch die Nutzbarmachung historischen Wissens bewältigt werden können. Entstanden ist diese Arbeit in grösster Selbstständigkeit, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Suche nach neuen gestalterischen Möglichkeiten. Hier wurde die historische Designforschung integrierter Bestandteil einer Suche nach der Lösung von Problemen unserer Gegenwart» (Text: Jonas Leysieffer)
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