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Healing Spaces – Dimensionen einer Design- und Denkpraxis

Macht uns unsere Umwelt krank oder gesund? Das Wissen um gesundheitsfördernde und -hindernde Aspekte von Räumen und das Konzept der Healing Spaces ist von zentraler Bedeutung für die Ausbildung im Bachelor Spatial Design. Doch wie genau sind solche Räume überhaupt zu verstehen und was heisst Heilung in der räumlichen Praxis? Ein experimentelles Herantasten.

Abb. 1: My Light von James Turrell, temporärer Bau am alten Kinderspital Zürich;
Foto: Barbara Mutzbauer, 13.12.2022.

Wohlbefinden, Gesundheit und Raum

Experimentelles Herantasten

Nachfolgend möchte ich mit dem Begriff Healing Spaces semantisch und syntaktisch experimentieren, um seine Dimensionen aufzuzeigen. Dafür wird der Begriff in seinen Lesarten auseinandergenommen und nach dem Prinzip thinking out of the box an praxisbezogenen Projekten durchgespielt.

Heilsame Räume

Das Wort healing wird zunächst als Adjektiv verstanden, das die Eigenschaft von Spaces beschreibt, wonach Räume eine heilende Wirkung haben und als heilsam interpretiert werden können. Heilsame Räume scheinen aktuell grosse Relevanz zu haben.

Heilsame Räume können als freiwillige Angebote zur Prävention beitragen und die mentale Gesundheit fördern. 

Abb. 4–6: My Light von James Turrell, temporärer Bau am alten Kinderspital Zürich;
Foto: Barbara Mutzbauer, 13.12.2022

Heilende Räume

Räume heilen

Experimentieren wir weiter: Healing kann sich auf Spaces als Akkusativobjekt beziehen (Wen heilen? Die Räume). In diesem Fall würden wir Menschen respektive Gestaltende als Heilende oder Healers agieren, um dysfunktionale Räume von deren Krankheiten zu heilen.
Im Umkehrschluss wären Räume heilbar. Präziser ausgedrückt: Designende würden die Funktionalität im Sinne des Wohlergehens der Nutzenden umgestalten. Wenngleich heilen für gewöhnlich nicht so auf Räume anwendet wird – als Metapher kann auch diese Perspektive hilfreich sein.

Studio Banana entwickelte für das Inselspital in Bern die kinetische Skulptur Loops entwickelte (Abb. 7–9). Das Gebäude war zwar kein erkrankter Bestandsbau, sondern wurde völlig neu konzipiert. Dabei habe das Planungsteam jedoch sehr früh erkannt, dass die Atrien durch die extrem dichte Bebauung des Areals fensterlos werden mussten. Als heilende Intervention im Gebäude wurde eine sich in stetiger Bewegung befindliche Skulptur geschaffen. Ihre Erscheinung wurde in Kollaboration mit verschiedenen Partnerfirmen wie auch in Partizipation mit Vertreter:innen von User-Gruppen entwickelt.

Solch heilende Eingriffe sind auch in anderen Bauten denkbar. Im Grunde kann jeder alltägliche Raum «erkranken», was wiederum für uns Menschen, die wir 90 Prozent unseres Lebens in Innenräumen verbringen, gesundheitsschädlich werden kann.

Healing Spaces als heilbare Räume zu verstehen, birgt also enormen Handlungsspielraum fürs Spatial Design und macht Hoffnung für die Zukunft. Heute geht es nicht mehr darum, auf der grünen Wiese zu bauen, sondern in verdichteten Bestandsstrukturen mit dem Erbe der Vergangenheit umgehen zu können.

Abb. 7–9: Loops, Kinetische Skulptur, entstanden in Co-Kreation von Insel Gruppe,
Archipel Generalplanung AG, Studio Banana, ASTOC Architects, GWJ, Spy,
MKT engineering GmbH & Co. KG und kpm3 ag

Sich heilende Räume

Die Umwelt als Mitwelt verstehen

Das Gedankenexperiment zeigt vier verschiedene Richtungen auf, die sich keinesfalls ausschliessen. Ein heilsamer Raum wird oft auch heilend oder gar selbstheilend sein können. Es stellt sich heraus, dass Healing Spaces solche sind, die unseren Bedürfnissen als Lebewesen entsprechen und in Beziehung stehen zu Natürlichkeit und Lebendigkeit. Ein Verständnis unserer Umwelt als Mitwelt kann in allen Dimensionen der Schlüssel sein.  Martin Heidegger arbeitete in Sein und Zeit heraus, dass das In-der-Welt-sein fundamental auch das Mitsein und Mitdasein umfasse.[6] Die Welt ist nicht um uns, so als wäre sie etwas anderes als wir selbst. Wir leben vielmehr mit der Welt und sie mit uns.

Methode: Vier Healing-Dimensionen

Die vier Dimensionen, die unser räumliches Erleben und die Raumgestaltung determinieren, bestehen aus dem kartesianischen Koordinatensystem (x-, y- und z-Achse) und der Zeit. Sie können dank des syntaktisch-semantischen Experiments nun um vier Denk-Dimensionen erweitert werden:

  1. Dimension: Räume, die Wohlbefinden und Erholung fördern, im Sinne der Prävention somatischer oder psychischer Krankheiten
  2. Dimension: Heilende Räume, die im Falle von Krankheit die Genesung fördern oder herausfordernde Situationen unterstützen
  3. Dimension: Dysfunktionale Räume, die durch die Intervention einer gestaltenden Instanz verbessert oder «geheilt» werden
  4. Dimension: Räume, die sich durch entsprechende Massnahmen als Ökosysteme selbst regenerieren können

Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um unsere Lebenswelten umfänglich zu Healing Spaces umzugestalten – auf planetarer wie lokaler Ebene, auf gesellschaftlich-kollektiver wie auf individuell-privater Ebene. Wir alle sind eingeladen und aufgefordert, Designprojekte dahingehend zu hinterfragen, welche dieser vier Healing-Dimensionen sie mit ihrem jeweiligen Vorhaben erfüllen können. Designentscheidungen fallen entsprechend der Haltung, die dem Designprozess zugrunde liegt – und ein Fokus auf die gesundheitsfördernden Auswirkungen für Mensch und Ökosystem ist notwendiger denn je. Nicht zuletzt verleiht eine solche Haltung unserer Arbeit Sinnhaftigkeit. Weiterdenken und -machen ist herzlich willkommen!

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