Healing Spaces – Dimensionen einer Design- und Denkpraxis
Macht uns unsere Umwelt krank oder gesund? Das Wissen um gesundheitsfördernde und -hindernde Aspekte von Räumen und das Konzept der Healing Spaces ist von zentraler Bedeutung für die Ausbildung im Bachelor Spatial Design. Doch wie genau sind solche Räume überhaupt zu verstehen und was heisst Heilung in der räumlichen Praxis? Ein experimentelles Herantasten.

Abb. 1: My Light von James Turrell, temporärer Bau am alten Kinderspital Zürich;
Foto: Barbara Mutzbauer, 13.12.2022.
Wohlbefinden, Gesundheit und Raum
Ob infolge einer Krankheit oder als präventives Mittel: Räume und Heilung sind miteinander verbunden. In den Neurowissenschaften und der sogenannten Neuroarchitektur ist das kein Geheimnis mehr. Auch die Funktion der Kunst (Abb. 1) rückt ins Zentrum der Diskussion, und damit zugleich die Aufgabe des Kunstmuseums[1]. Angesichts einer oftmals ungesunden räumlichen Um- und Lebenswelt ist es höchste Zeit, mehr Healing Spaces zu schaffen. Spatial Design versteht sich dabei nicht nur als Designdisziplin mit formal-ästhetischem Anspruch, sondern gestaltet auch die prägenden Faktoren für Interaktionen und Handlungen von Individuen und Gruppen sowie die sozio-kulturellen Auswirkungen. Kurzum: Es geht im Spatial Design um Lebenswelten und um deren möglichst positive Wirkung auf das Befinden von Lebewesen.
[1] Vgl. Dauerausstellung Das heilende Museum – Achtsamkeit und Meditation im Kunstraum, Bode-Museum Berlin.
https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/bode-museum/ausstellungen/das-heilende-museum/ (abgerufen: 16.06.2025).
Experimentelles Herantasten
Nachfolgend möchte ich mit dem Begriff Healing Spaces semantisch und syntaktisch experimentieren, um seine Dimensionen aufzuzeigen. Dafür wird der Begriff in seinen Lesarten auseinandergenommen und nach dem Prinzip thinking out of the box an praxisbezogenen Projekten durchgespielt.
Heilsame Räume
Das Wort healing wird zunächst als Adjektiv verstanden, das die Eigenschaft von Spaces beschreibt, wonach Räume eine heilende Wirkung haben und als heilsam interpretiert werden können. Heilsame Räume scheinen aktuell grosse Relevanz zu haben.
Anja Giossi zum Beispiel hat in ihrer schriftlichen Bachelorarbeit in Spatial Design[2] beschrieben, wie es um die psychische Gesundheit in der Schweiz bestellt ist. Sorgen, Stress und Überlastung durch alltägliche Reiz- und Informationsüberflutung betreffen die gesamte Gesellschaft. Aufgrund dieses Bedürfnisses entwickelt Giossi Ruheräume am Standort Emmenbrücke.
Heilsame Räume können als freiwillige Angebote zur Prävention beitragen und die mentale Gesundheit fördern.
[2] Vgl. Giossi, Anja. Raum für Ruhe. Hochschule Luzern – Design Film Kunst, 2025.

Abb. 4–6: My Light von James Turrell, temporärer Bau am alten Kinderspital Zürich;
Foto: Barbara Mutzbauer, 13.12.2022
Heilende Räume
Des Weiteren lässt sich healing als Verb im Present Progressive, also in der Verlaufsform des Präsens verstehen. Dann handelt es sich bei Healing Spaces um Räume, die aktiv im Heilungsprozess einer Krankheit wirken. Der Ort, an dem Heilung im Mittelpunkt steht, ist das Krankenhaus – und seit einiger Zeit ist eine Tendenz in der Architektur zu erkennen, empathischere Erscheinungsbilder von Gesundheitsbauten zu schaffen.[3]
Unter vielen positiven Entwicklungen möchte ich die Rolle der Kunst beleuchten. Das neu eröffnete Kinderspital in Zürich ist in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben. Die Architektur von Herzog & de Meuron kann bereits als herausragendes Beispiel für Gesundheitsbauten gelten, doch noch bemerkenswerter ist die Ergänzung des Gebäudes durch zahlreiche grossformatige Kunstwerke, unter anderem des berühmten Lichtkünstlers James Turrell. Michael Grotzer, Medizinischer und Ärztlicher Direktor des Kinderspitals Zürich, ist überzeugt, dass Kunst zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden beitragen könne.[4] Werke von Turrell begleiten das Kinderspital schon seit längerem. My Light hiess eine Installation am alten Kinderspital: ein farblich bespieltes «Fenster» aus programmierten LED-Leuchten, das eine atmosphärische Magie verströmte (Abb. 4–6).
[3] Vgl. SWR Doku (Hrsg.). Heilende Architektur – neue Konzepte für Krankenhäuser. 27.08.2024.
https://www.youtube.com/watch?v=NxU30NlbGIo&t=117s (abgerufen: 06.05.2025).
[4] Vgl. Grotzer, Michael. Interview, geführt von Oliver Prange. In: Du,Ausgabe 934, April/Mai 2025, S. 16ff.
Räume heilen

Experimentieren wir weiter: Healing kann sich auf Spaces als Akkusativobjekt beziehen (Wen heilen? Die Räume). In diesem Fall würden wir Menschen respektive Gestaltende als Heilende oder Healers agieren, um dysfunktionale Räume von deren Krankheiten zu heilen.
Im Umkehrschluss wären Räume heilbar. Präziser ausgedrückt: Designende würden die Funktionalität im Sinne des Wohlergehens der Nutzenden umgestalten. Wenngleich heilen für gewöhnlich nicht so auf Räume anwendet wird – als Metapher kann auch diese Perspektive hilfreich sein.
Studio Banana entwickelte für das Inselspital in Bern die kinetische Skulptur Loops entwickelte (Abb. 7–9). Das Gebäude war zwar kein erkrankter Bestandsbau, sondern wurde völlig neu konzipiert. Dabei habe das Planungsteam jedoch sehr früh erkannt, dass die Atrien durch die extrem dichte Bebauung des Areals fensterlos werden mussten. Als heilende Intervention im Gebäude wurde eine sich in stetiger Bewegung befindliche Skulptur geschaffen. Ihre Erscheinung wurde in Kollaboration mit verschiedenen Partnerfirmen wie auch in Partizipation mit Vertreter:innen von User-Gruppen entwickelt.


Solch heilende Eingriffe sind auch in anderen Bauten denkbar. Im Grunde kann jeder alltägliche Raum «erkranken», was wiederum für uns Menschen, die wir 90 Prozent unseres Lebens in Innenräumen verbringen, gesundheitsschädlich werden kann.
Healing Spaces als heilbare Räume zu verstehen, birgt also enormen Handlungsspielraum fürs Spatial Design und macht Hoffnung für die Zukunft. Heute geht es nicht mehr darum, auf der grünen Wiese zu bauen, sondern in verdichteten Bestandsstrukturen mit dem Erbe der Vergangenheit umgehen zu können.
Abb. 7–9: Loops, Kinetische Skulptur, entstanden in Co-Kreation von Insel Gruppe,
Archipel Generalplanung AG, Studio Banana, ASTOC Architects, GWJ, Spy,
MKT engineering GmbH & Co. KG und kpm3 ag
Sich heilende Räume
Zuletzt möchte ich zu einer eventuell ungewöhnlichen Deutung kommen. Healing kann auch rückbezüglich verstanden werden, im Sinne von auf ein Selbst bezogen. Dann würde es auch self-healing bedeuten. Räumen die Fähigkeit zur Selbstheilung zuzusprechen, ist nicht so abwegig, wie es zunächst scheint. Lebende Systeme haben Selbstheilungskräfte. Genesung nach Krankheit oder Verletzung findet statt, wenn ein Organismus noch lebendig ist und Reparaturmechanismen durchführen kann. Räume, sofern sie nicht ausschliesslich aus Totem bestehen, müssten demnach ebenso über Selbstheilungskräfte verfügen. Räume sind zwar selbst keine Wesen, können aber als Ökosysteme verstanden werden, die verschiedene Arten von Leben vernetzen und beherbergen. Cédric Bühler arbeitete in seiner Bachelorarbeit[5] an der Förderung der Biodiversität im urbanen Raum Emmenbrücke. Dem bedenklichen Rückgang der Biodiversität möchte er durch Interventionen begegnen, welche die eigenständige Ansiedlung von Tierarten, etwa Bienen, begünstigen. Solche Tierarten können mit minimaler Unterstützung viel bewirken. Sie siedeln sich im urbanen Raum an und durchmischen die tote Welt mit Leben, sie vermehren sich und ziehen andere Arten an. Ein positiver Prozess wird in Gang gesetzt.
[5] Bühler, Cédric. Dialog zwischen den Arten. Hochschule Luzern – Design Film Kunst, 2025.
Die Umwelt als Mitwelt verstehen
Das Gedankenexperiment zeigt vier verschiedene Richtungen auf, die sich keinesfalls ausschliessen. Ein heilsamer Raum wird oft auch heilend oder gar selbstheilend sein können. Es stellt sich heraus, dass Healing Spaces solche sind, die unseren Bedürfnissen als Lebewesen entsprechen und in Beziehung stehen zu Natürlichkeit und Lebendigkeit. Ein Verständnis unserer Umwelt als Mitwelt kann in allen Dimensionen der Schlüssel sein. Martin Heidegger arbeitete in Sein und Zeit heraus, dass das In-der-Welt-sein fundamental auch das Mitsein und Mitdasein umfasse.[6] Die Welt ist nicht um uns, so als wäre sie etwas anderes als wir selbst. Wir leben vielmehr mit der Welt und sie mit uns.
[6] Heidegger, Martin. Sein und Zeit. Max Niemeyer Verlag, 2006, 19. Auflage, S. 114.
Methode: Vier Healing-Dimensionen
Die vier Dimensionen, die unser räumliches Erleben und die Raumgestaltung determinieren, bestehen aus dem kartesianischen Koordinatensystem (x-, y- und z-Achse) und der Zeit. Sie können dank des syntaktisch-semantischen Experiments nun um vier Denk-Dimensionen erweitert werden:
- Dimension: Räume, die Wohlbefinden und Erholung fördern, im Sinne der Prävention somatischer oder psychischer Krankheiten
- Dimension: Heilende Räume, die im Falle von Krankheit die Genesung fördern oder herausfordernde Situationen unterstützen
- Dimension: Dysfunktionale Räume, die durch die Intervention einer gestaltenden Instanz verbessert oder «geheilt» werden
- Dimension: Räume, die sich durch entsprechende Massnahmen als Ökosysteme selbst regenerieren können
Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um unsere Lebenswelten umfänglich zu Healing Spaces umzugestalten – auf planetarer wie lokaler Ebene, auf gesellschaftlich-kollektiver wie auf individuell-privater Ebene. Wir alle sind eingeladen und aufgefordert, Designprojekte dahingehend zu hinterfragen, welche dieser vier Healing-Dimensionen sie mit ihrem jeweiligen Vorhaben erfüllen können. Designentscheidungen fallen entsprechend der Haltung, die dem Designprozess zugrunde liegt – und ein Fokus auf die gesundheitsfördernden Auswirkungen für Mensch und Ökosystem ist notwendiger denn je. Nicht zuletzt verleiht eine solche Haltung unserer Arbeit Sinnhaftigkeit. Weiterdenken und -machen ist herzlich willkommen!

Dr. Barbara Mutzbauer ist Szenografin, Innenarchitektin und Dozentin. Sie leitet derzeit die Studienrichtung Spatial Design an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst ad interim. Ihr Schwerpunkt ist die Kreation und Reflexion des Phänomens Atmosphäre sowie die ästhetische und heilende Wirkung unserer gebauten Um- und Mitwelt.
In ihrer Dissertation Die Funktion der Unschärfe erforschte sie den kommunikativen Gehalt von Atmosphären in Ausstellungsräumen.
Im Competence Center Visual Narrative der Hochschule Luzern – Design Film Kunst widmet sie sich der Erforschung praktischer und theoretischer Aspekte von Healing Spaces.
Über den Bachelor Spatial Design
Der Bachelor Spatial Design an der HSLU – Design Film Kunst vermittelt, wie vielfältige räumliche Umgebungen gestaltet werden können – von multimedialen Ausstellungen über Lern- und Arbeitsumgebungen bis hin zu urbanen Räumen. Die Studienrichtung verbindet räumliche Gestaltung, Experience Design und digitale Technologien und legt Wert auf Atmosphäre, Wahrnehmung sowie nachhaltige und gesellschaftlich relevante Gestaltung.
Mehr über den Bachelor Spatial Design.
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