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Kunst trifft Wissenschaft – und plötzlich wird Wissen erlebbar


Kunst wird zur Brücke zwischen Forschung und Gesellschaft: Der neue Major „Knowledge to Society“ im Master Kunst an der HSLU zeigt, wie wissenschaftliches Wissen durch künstlerische Praxis erlebbar und verhandelbar wird – etwa durch Klanginstallationen von Marcus Maeder.

Marcus Maeder leitet den neuen Major KNOTS im Master Kunst.

Was passiert, wenn man wissenschaftliche Daten nicht nur analysiert, sondern hört? Wenn Kunst nicht bloss illustriert, sondern Wissen erzeugt?

Marcus Maeder ist Umweltwissenschaftler, Künstler und Leiter des neuen Majors Knowledge to Society an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst. In diesem Master-Schwerpunkt erforschen Studierende, wie sie mit künstlerischen Mitteln gesellschaftlich relevante Themen verhandeln und wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich machen können.

Im Interview spricht Maeder über seine eigene Laufbahn zwischen Philosophie, Sound und Forschung, über kollektive Prozesse, das StudioLab – und über das Geräusch, das alles verändert hat.

Marcus, du bewegst dich beruflich zwischen Kunst und Wissenschaft – wie passt das für dich zusammen?

Für mich gehört das eigentlich zusammen. Ich bin einerseits Umweltwissenschaftler, andererseits Künstler. Und die meisten meiner Projekte versuche ich aus beiden Perspektiven gleichzeitig anzugehen: Also wissenschaftlich zu beobachten – aber auch künstlerisch erfahrbar zu machen und zu reflektieren. Das heisst zum Beispiel, dass mich wissenschaftliche Daten künstlerisch inspirieren. Oder dass etwas, was mich ästhetisch interessiert, plötzlich zu einem naturwissenschaftlichen Forschungsgegenstand wird.

Wie bist du überhaupt zu dieser Verbindung gekommen?

Ich habe als Jugendlicher begonnen, mich für Kunst und Musik zu interessieren. Nach meiner Lehre habe ich den Vorkurs gemacht und dann in Luzern die Klasse für freie Kunst besucht. Zuerst habe ich lange einfach als Künstler und Komponist gearbeitet. In dieser Zeit – in den 1990ern – wurde elektronische Musik und Medienkunst immer mehr auch gesellschaftstheoretisch reflektiert, vor allem in der Philosophie, etwa in poststrukturalistischen Theorien. Das hat mich sehr interessiert. Ich habe dann ein Masterstudium in Philosophie gemacht – wo ich mich mit Systemtheorie, Umweltethik, Umweltphilosophie und theoretischer Biologie zu befassen begann. Nachher war es für mich naheliegender, mehr Hands-on weiterzumachen und ich habe dann an der ETH Zürich in Umweltwissenschaften promoviert.

Und jetzt bist du zurück an der HSLU, wo du selbst mal studiert hast. Wie fühlt sich das an?

Ja, es schliesst sich schon ein Kreis. Ich habe vor bald 30 Jahren hier meinen Abschluss gemacht – damals war die Schule noch woanders, kleiner und es gab noch keine Bachelor- und Master- Studienmodelle. Jetzt zurückzukommen, in ein neues Gebäude, mit neuen Formaten, ist sehr schön für mich. Eine grundsätzliche Offenheit ist aber geblieben und der neue Major ist für mich fast eine logische Weiterentwicklung meiner Arbeit.

Seine Erfahrungen mit Kunst und Wissenschaft wird Marcus Maeder in den neuen Major «Knowledge to Society bringen». Hier bei seiner Ausstellung im Goethe-Institut fotografiert.

Du leitest den neuen Major „Knowledge to Society“ im Master Kunst. Was steckt dahinter?

Es geht darum, wie Wissen hergestellt wird und zirkuliert – nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Gesellschaft, in der Kunst, in alltäglichen Handlungsfeldern. Und wie man sich als Künstler:in mit wissenschaftlichen Themen auseinandersetzen und diese mit künstlerischen Strategien zugänglich machen kann. Wir richten uns an Personen, die in den Überlagerungsbereichen von Wissenschaft, Gesellschaft und Kunst arbeiten wollen – etwa in Projekten für Museen oder Wissenschaftsbiennalen, in Vermittlungsprojekten, Magazinen, für NGOs oder in der Beratung. Zugleich sprechen wir Personen an, die sich für eine Laufbahn in der künstlerischen Forschung interessieren sind und sich dafür die Grundlagen aneignen wollen.

Was lernen die Studierenden konkret?

Sie lernen, wie man sich künstlerisch mit wissenschaftlichen Forschungsgegenständen und Ergebnissen auseinandersetzt und wie man diese verstehbar und in öffentlichen Diskursen verhandelbar macht. Dazu setzen sich die Studierenden mit verschiedenen künstlerischen Reflexions- und Darstellungsformen auseinander und beschäftigen sich mit Theorien zur Herstellung und Transformation von Wissen in Kunst und Wissenschaft. Sie lernen auch, wie man Themen recherchiert, zu Forschungsfragen kommt und sich ein wissenschaftliches Thema aneignet. Zudem arbeiten wir mit der Wissenschaftsforschung der Uni Luzern zusammen, um zu verstehen, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert – historisch, strukturell, methodisch. Wichtig sind auch die Gäste und Praktika, durch welche die Studierenden in Kontakt mit Fachpersonen aus dem Vermittlungs- und Förderbereich sowie aus der Forschung kommen. So erhalten sie Einblick in ihre zukünftigen Berufs- und Arbeitsfelder und können wichtige Kontakte knüpfen.

Du arbeitest viel mit Klang. Warum eigentlich Klang?

Klang macht Dinge hörbar, die man nicht sieht. Trockenstress von Bäumen zum Beispiel – das kann man hörbar machen. Oder die Artenvielfalt im Boden. Ich habe oft erlebt, dass Menschen völlig überrascht sind, wenn sie zum ersten Mal hören, was unter ihren Füssen los ist. Klang ist für mich kein Zusatz oder Gimmick – er ist eine ernsthafte Form, Wissen zu generieren und erfahrbar zu machen – wobei Erfahrung und Wissensherstellung in einer engen Wechselwirkung stehen; das zeigt die klangliche Herangehensweise an Forschungsgegenstände sehr schön.

Bei einer interaktiven Klanginstallation macht Marcus den Trockenstress von Bäumen hörbar.

Ist das dann noch Wissenschaft oder schon Kunst?

Das ist genau der Punkt: Ich versuche, die beiden Bereiche nicht hierarchisch zu trennen. Es geht nicht darum, erst Wissen zu erzeugen und dann künstlerisch zu übersetzen. Sondern beides passiert sozusagen gleichzeitig. In meinen Projekten betrachte ich wissenschaftliche Gegenstände von Anfang an auch künstlerisch. Das schafft Transparenz von Forschungsprozessen in der Öffentlichkeit – und bringt verschiedene Perspektiven gleichberechtigt zusammen.

Du hast Projekte in der ganzen Welt gemacht. Welche Rolle spielt Gemeinschaft für dich – auch im Studiengang?

Sehr viel. Ich habe in Japan, Korea, Chile oder Irland erlebt, wie intensiv man sich als Gemeinschaft einer Forschungsfrage widmen kann. In Japan zum Beispiel hat sich durch ein Projekt ein ganz neues soziales Netz entwickelt. Menschen, die sich vorher kaum kannten – Landwirte, Förster, Handwerker, Waldbesitzer – haben durch die Zusammenarbeit angefangen, sich auszutauschen. Heute besuchen sie sich gegenseitig. Das Projekt läuft weiter, auch ohne mich. Es hat ein Eigenleben entwickelt. Das ist für mich der schönste Moment.

Wie wird das im Studium gelebt?

Wir arbeiten im StudioLab, das ist unser gemeinsames Labor. Dort geht es nicht um Einzelkämpfertum, sondern um Austausch, Feedback, gemeinsames Denken. Studierende sollen sich gegenseitig herausfordern, sich vernetzen, voneinander lernen. Ich habe dafür keine Anleitung in der Schublade – das entwickeln wir gemeinsam.

Gibt es Projekte, die das besonders gut zeigen?

Ein Beispiel ist „Sounding Soil“. Wir haben eine Methode entwickelt, um Bodenlebewesen hörbar zu machen – mit Piezo-Mikrofonen, die ich früher für Performances benutzt habe. Heute nutzen Umweltforschende diese Technik, um Böden zu belauschen. Das ist für mich ein Fall von Methodentransfer: Künstlerische Praktiken werden so zu wissenschaftlichen. Sounding Soil wäre nie ein solch grosser Erfolg geworden, wenn nicht Leute aus den unterschiedlichsten Disziplinen und Domänen zusammengearbeitet hätten: Verschiedene naturwissenschaftliche Disziplinen, NGOs, Kunst, die Technologieindustrie.

Marcus Maeder im Einsatz für sein Projekt «Sounding Soil».

Was sollten potenzielle Studierende über die spätere Arbeit wissen?

Es geht nicht nur ums eigene Werk, sondern um kollektive Prozesse, einen Sinn für Kommunalität: Um Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen. Und man ist oft unterwegs – lokal und international. Nicht nur im Kopf, sondern auch geografisch. Der Major ist ein offenes Format für neugierige und wissenschaftlich wie ästhetisch denkende Menschen, die sich mit der Welt proaktiv auseinandersetzen.

Was würdest du jemandem sagen, der sich für den Major interessiert, aber noch unsicher ist?

Unsicherheit ist völlig normal. Es gibt Infoveranstaltungen, bei denen man sich informieren kann. Oder man sucht das Gespräch mit mir – das haben einige schon gemacht. Wichtig ist nur: Neugier und die Bereitschaft, sich auf andere Perspektiven einzulassen – aber für uns ist auch wichtig, zu sehen, dass Bewerber:innen bereits eine relativ differenzierte künstlerische Sprache  und Haltung ausweisen können.

Und zum Schluss noch persönlich: Gibt es ein Geräusch, das dich besonders geprägt hat?

Ja, mehrere. Das erste Mal, als ich einem Baum zugehört habe. Oder als ich stundenlang dem Boden zugehört habe – das war unglaublich faszinierend. Und ganz früh, als ich noch Student an der HSLU war, habe ich „I am sitting in a room“ von Alvin Lucier im Seminar von Franziska Lingg gehört. Das war ein Schlüsselmoment. Da habe ich gemerkt: Klang kann Bedeutungen erzeugen – jenseits von Sprache.

Autorin: Louis Hosali

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