Wie menschliche Designs unseren digitalen Alltag formen
Erstmals fördert der Schweizerische Nationalfonds im Rahmen seiner Doc.CH-Ausschreibung ein Doktoratsprojekt der Hochschule Luzern. Fernando Obieta konnte mit «Die Kontingenz der Gestaltung – Eine Kritik» überzeugen.
i dropped the metal ball on the glass table and it broke. what is it? (2024) von Fernando Obieta und Cynthia Schemidt untersucht die Reproduktion von Haltungen und Perspektiven zu Genderidentitäten durch künstliche Intelligenz.
Mit Instagram verfolgen wir die Stories von Influencer:innen, BeReal gewährt uns Einblicke in das «echte» Leben unserer Freund:innen und über Tinder & Co. lernen wir die Liebe unseres Lebens kennen. Was wir dabei vielfach vergessen: Die Algorithmen und Maschinen, die uns all dies ermöglichen, sind menschengemacht. Genauer sind es Designer:innen und Entwickler:innen, die das Produkt (weiter-)entwickeln, neue Features kreieren und die Mechanismen einbauen. Sie entscheiden, wie wir durch Apps und Geräte andere Menschen beobachten, mit ihnen interagieren, sie vielleicht sogar bewerten. Doch worauf basieren ihre Entscheidungen? Und sind sich die Gestalter:innen dieser Entscheidungen überhaupt bewusst? In seinem Doktoratsprojekt «Die Kontingenz der Gestaltung – Eine Kritik» untersucht Fernando Obieta genau das. «Mich interessiert, unter welchen Umständen Entscheidungen getroffen werden, die unseren Alltag so massgeblich beeinflussen.» Denn jede Entscheidung, so Fernando weiter, werde in einem bestimmten Kontext getroffen und von einer Person, die wiederum einem Kontext entspringt und ganz persönliche Ansichten und Werte, aber auch Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringt.
Kunst schafft Wissen
Zur Doktorarbeit gehört – ganz klassisch – ein theoretischer Teil. Dieser fokussiert auf was eine feministische Ethik der Gestaltung sein könnte. Zeitgleich mit der theoretischen Auseinandersetzung entwickelt Fernando künstlerische Interventionen – oder «Setzungen» wie er sie nennt. «Die Setzungen ermöglichen es, die Problematik und immense Reichweite dieser gestalterischen Entscheidungen erfahrbar zu machen.» Der künstlerische Zugang zur Fragestellung des Doktoratprojekts fördert die Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs und lädt dazu ein, diese zu erleben. Die Setzungen greifen dabei verschiedene Betrachtungspunkte auf. So rückt die Bildserie «SUGGESTING, » die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf die Perspektive und Interpretation von Fotograf:innen. Die Soundinstallation «forever» spielt mit dem akustischen Erinnerungsvermögen eines Raumes. Die Besuchenden hörten zuvor im selben Raum aufgenommene Geräusche und Gespräche. Und die fotografische Arbeit «i dropped the metal ball on the glass table and it broke. what is it?» verhandelt die Reproduktion von Haltungen und Perspektiven zu Genderidentitäten durch künstliche Intelligenz.
Die Klanginstallation forever von Fernando Obieta und Gregor Vogel spielt mit dem akustischen Erinnerungsvermögen eines Raumes, indem zuvor aufgenommene Geräusche und Gespräche hörbar gemacht werden. Hier 2023 im Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil-Jona ausgestellt.
Vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert
Fernando Obieta ist der erste mit der HSLU assoziierte Doktorand, der durch das Förderinstrument Doc.CH vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird. Ein grosser Erfolg, der unterstreicht, wie wichtig der Beitrag der künstlerischen Forschung zum gesellschaftlichen Diskurs ist. Rachel Mader, Leiterin der Forschungsgruppe Kunst, Design & Öffentlichkeit an der HSLU, ordnet ein: «Fernando hat sich in einem sehr kompetitiven Förderformat mit seinem innovativen Projekt durchgesetzt. Das freut mich für ihn, weil er so genügend Zeit für die Bearbeitung seines komplexen Vorhabens erhält. Und es freut mich für uns, weil wir so der Erarbeitung dieses aktuellen Wissens folgen können.»
Über Fernando Obieta
Fernando Obieta (er/ihm, *1990) ist ein konzeptioneller Medienkünstler und künstlerischer Forscher. Nach einem Computer-Science-Studium mit Schwerpunkt Medientechnologien studierte er Interaction Design und Transdisziplinarität in den Künsten an der Zürcher Hochschule der Künste. Seine künstlerische Arbeit und Forschung konzentrieren sich auf die Kritik und Reflexion von (digitalen) Medien, Artefakten, Systemen, Diensten und Lösungen und darauf, wie zufällig sie sind und welchen Kontexten sie entspringen. Er arbeitet an der Schnittstelle von Konzept, Design, Kunst und Technologie, wobei drei Methoden im Fokus stehen: Fehler oder Lücken in einem System zu finden und diese gezielt sichtbar zu machen; bestimmte Parameter eines Systems zu verschieben und neu zusammenzusetzen; ein System in andere Medialitäten zu übersetzen. Derzeit promoviert er in Medientheorien an der Kunstuniversität Linz und am Departement Design Film Kunst der Hochschule Luzern. Die Dissertation «Die Kontingenz der Gestaltung – eine Kritik» wird von Prof. Dr. Gloria-Stella Meynen (Linz) und Prof. Dr. Rachel Mader (Luzern) betreut.
Mehr Infos auf: fernando-obieta.com
Autorin: Nina Meier
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