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Ordnung im Abfall

Marcel Schirmer beschäftigt sich in seiner Bachelorarbeit in Graphic Design mit Abfallsäcken. Er sieht in ihnen ein Abbild des helvetischen Föderalismus.

Als Graphic-Design-Student Marcel Schirmer nach einem Thema für eine Publikation als Teil seiner Bachelorarbeit suchte, brachte ihn die Mutter seiner Freundin darauf, dass es in der Schweiz sehr viele verschiedene Güselsäcke gibt. Aber wie viele sind es genau? Es dauerte nicht lange, da war Marcel Schirmer klar: Das weiss keiner. «Das war eine recht coole Erkenntnis», sagt der 23-Jährige. Auf der Suche nach einer Antwort wandte er sich zuerst an die Ämter auf Bundesebene: Statistikamt oder Verband der Abfallverwertungsanlagen. Aber er merkte bald, dass er tiefer ins Behördendickicht einsteigen musste. Denn zwar ist es auf Bundesebene geregelt, dass der Abfall nach dem Verursacherprinzip erfasst und vergütet wird, aber die Umsetzung dessen obliegt den Kantonen. Und die überlassen es Gemeinden und Kommunen. Das Ergebnis: Etwa 70 verschiedene Abfallsäcke allein im Kanton Tessin. Demgegenüber Zusammenschlüsse von bis zu 40 Gemeinden mit ein- und demselben Sack in den beiden Appenzell und St. Gallen. Ein kantonsweiter Sack in Obwalden, Nidwalden und Zug. Dazu Gemeinden, die mit Marken abrechnen, oder Genf, das ganz ohne Sackgebühr auskommt. 

1000 Mails hat Schirmer an Kantone, Städte und Gemeinden verschickt und um Auskunft und ein Exemplar des lokalen Sacks gebeten. An der Wand seines Arbeitsplatzes hat er eine grosse Schweiz-Karte aufgehangen, um keinen Sack zu übersehen. «An manchen Tagen lagen fünf bis zehn Säcke im Briefkasten», erinnert sich Schirmer, «wenn ich mal ein paar Tage nicht zuhause war, quoll er über.» Er brauchte zehn Ordner, um das Material zu sammeln. 

Der Trogener hat immer noch Spass an seinem Thema. Aber er hat auch längst erkannt, dass das Durcheinander auch Spiegelbild des helvetischen Föderalismus ist. «Man kann sich schon fragen, ob die vielen Systeme sinnvoll sind. Aber so absurd es erscheint: Es funktioniert ja trotzdem.» 

In seiner Abschluss-Publikation zur Abfall-Sack-Frage mit dem Titel «Föderalismus am Strassenrand» zeigt Schirmer auch anonymisierte Ausschnitte der vielen Mails, die er erhalten hat, und Ausschnitte aus Artikeln zum Thema. Und natürlich die breite Palette an Güselsack-Gestaltungen. «Die meisten Säcke sind grau, viele zeigen das Kantons- oder Gemeindewappen.» Aber es gibt Ausnahmen wie das Murner Güselsack-Monster oder Solothurner Aufschriften wie «Futter für die Kebag». Schirmers Liebling ist der «Sacco ufficiale per rifiuti» aus Rovio im Tessin: «Er war der erste lila Sack, den ich bekam, und die Raubkatze darauf gefällt mir.» Endlich kann er jetzt auch eine Antwort auf die Frage geben, wie viele Säcke es gibt: «Ich habe bereits 250. Ich schätze, am Ende werden es 370 sein.» 

Nach seinem Studium und dem Zivildienst würde der Schirmer gern als Buchgestalter arbeiten. Seine Eignung für ausgefallene Themen, in denen mehr steckt, als man nach dem ersten Blick denken könnte, hat er schon bewiesen.  

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