14. November 2022

Cybercrime,

Wirtschaftskriminalistik

Globale Krisen – wer profitiert?

Globale Krisen – wer profitiert?

Von Monica Fahmy

Die Corona-Pandemie hat uns ohne Vorwarnung in ein neues «Normal» katapultiert. Der Ukraine-Krieg hat zudem gezeigt, dass geopolitische Bedrohungen weiterhin zu unserem Alltag gehören. Wirtschaftskriminelle wussten und wissen diese Krisen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die aktuellen Fragen dazu haben Fachleute in Bern rege diskutiert.

Unter dem Titel «Wirtschaftskriminalität im Dunstkreis globaler Krisen – wer sind die Profiteure?» trafen sich am 11. November 2022 über hundert Expertinnen und Experten an der Tagung der Schweizerischen Expertenvereinigung «Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität» (SEBWK) im Saal des Berner Bellevue Palace.

Wie sieht Wirtschaftskriminalität im Umfeld einer globalen Pandemie oder eines Krieges in Europa aus? Welche Lehren können wir dabei aus vergangenen Krisen ziehen? Hat die Schweiz geeignete Instrumente, um mit Krisen umzugehen? Sind internationale Sanktionen potenzielle Treiber für Wirtschaftskriminalität? Und wie schützt sich die Wirtschaft gegen neue Phänomene der Wirtschaftskriminalität? Die Referate und Diskussionen dazu waren engagiert und inspirierend.

«Was wäre, wenn Krisen zur Regel würden?»

André Duvillard, ehemaliger Delegierter des Nationalen Sicherheitsnetzwerks, widmete sich in seinem Vortrag der Frage, ob die traditionellen Modelle der nationalen Verteidigung überhaupt noch anwendbar sind. Die Rivalität zwischen den Grossmächten, Global versus Lokal, die technische Entwicklung und die gesellschaftliche Polarisierung sind Tendenzen, welche die Sicherheitspolitik herausfordern. «Auf Schweizer Ebene stellt sich die Frage, ob das Modell der Kompetenzverteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden nicht an seine Grenzen stösst», so Duvillard.

Spezialisten und Analyseexperten evaluieren kontinuierlich Risiken und empfehlen Übungen dazu, aus denen Vorschläge für Massnahmen abgeleitet werden. «In einer Übung wurde vor gut zehn Jahren eine grosse Gesundheitskrise vorhergesehen», sagte Duvillard. «Doch als die Pandemie tatsächlich kam, hat uns das auf dem falschen Fuss erwischt» Sein Fazit: «Denken Sie das Undenkbare!» Der Schutz einer Nation erfordert Ressourcen, die auch auf bis vor kurzem unwahrscheinlich erscheinende Fälle, wie eine Pandemie oder Strommangellage, koordinieren und trainieren.

In seinem Referat über den Krieg in der Ukraine und das Ende der «Ära des Endes des Kalten Krieges» führte Jean-Marc Rickli, Head of Global and Emerging Risks, Geneva Centre for Security Policy, die Risiken vor Augen, wenn aufkommende Technologien für böswillige Zwecke missbraucht werden. Das Ausspionieren von Akteuren hat eine neue Dimension erreicht. Beinahe täglich werden massenhaft Daten gestohlen und geleakt. Gleichzeitig entfernen wir uns von einer unipolaren Welt, mit China, Russland und Saudi Arabien als regionale Leader, während eine technologische Entkoppelung zwischen China und den USA stattfindet. «It is not really a bipolar system, it is rather an international system based on bloc politics. This system is in my opinion apolar rather than bipolar. This means that no actor can prevail across all dimensions of power», so Rickli. Sein Fazit: Es ist für einen Staat nicht mehr möglich, allen denkbaren Risiken adäquat zu begegnen. Daher müsse sich die Sicherheitspolitik von der Verteidigung zur Resilienz weiterentwickeln.

Sanktionen als Vektor krimineller Aktivitäten

Nach einer Kaffeepause mit angeregten Diskussionen, sprach Enrico Carisch, Experte für Sanktionen und strategische Handelskontrolle von Compliance and Capacity Skills International (CSSI) in New York, über kriminelle Aspekte von Sanktionen. Es erstaune ihn immer wieder, wie gering das Bewusstsein darüber sei, dass die Implementierung von Sanktionen eng mit einer Reihe krimineller Aktivitäten verbunden ist. Waffenembargos mit gefälschten Dokumenten umgehen, Betrug, Bestechung, Zollvergehen, Geldwäscherei, Erpressung, Identitätsdiebstahl, Spionage, Verstösse gegen die Menschenrechte, Straftaten an Leib und Leben – Beispiele gibt es nur allzu viele.

Sind Sanktionen demnach wenig zielführend? «Sanktionen sind ein Instrument, um ein non-compliant Land zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen», sagt Carisch. «Sie müssen aber so implementiert werden, dass kriminelle Aktivitäten in den betroffenen Gesellschaften stark erschwert werden.» Aufgrund der wenig griffigen länderübergreifenden Gesetze und der Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats, in dem fünf Mitglieder das Vetorecht haben, sei dies aber schwer durchzusetzen.

Die Suche im Heuhaufen oder ein Wald voller Bäume beim Missbrauch von Covid-19 Leistungen?

Am Nachmittag zog Brigitte Christ, stellvertretende Direktorin der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), mit ihrem engagierten Referat die Anwesenden in ihren Bann. Bei der Vergabe von Covid-19 Leistungen standen die gewohnten Spielregeln auf dem Kopf. «Es wurden Schleusen geöffnet», so Christ. 70 Milliarden Schweizer Franken Steuergelder sind während der Pandemie als Unterstützung an Unternehmen geflossen: Härtefallgelder, Kurzarbeitsentschädigung, Entschädigungen für Kultur und Sport, Solidarbürgschaften. Es musste schnell gehen. Statt Missbrauchsprävention galt die Devise: «Wir räumen später auf».

«Wir wussten, das wird teuer», sagt Brigitte Christ. Zu einer effizienten Missbrauchskontrolle braucht es klare, stabile Kriterien, eine ausreichende Belegbasis, kohärente rechtliche Grundlagen und Kontrollkonzepte. «Die Kriterien waren aber derart komplex, dass die Feststellung eines Missbrauchs praktisch unmöglich wurde», sagte Christ. Mit dem summarischen Verfahren für die Kurzarbeitsentschädigung, bei denen von den Unternehmen keine Daten verlangt wurden, fehlte ausserdem die Belegbasis. Zudem war die Kontrolle beim Härtefallprogramm, wie es die EFK in einem Prüfbericht festhielt, nur bei gerade sieben Kantonen wirklich vorhanden.

Abschluss mit Crypto und einem Panel über Krisen und Chancen

Im letzten Referat der Tagung «Travel rule compliance in crypto: will it help the fight against financial crime?» sprachen Delphine Forma, OpenVASP Association Board Member, und Deborah Lechtman, Junior Partner bei OA Legal, über die Regulierung von Kryptowährungen. Die Financial Action Task Force FATF setzt sich für die Bekämpfung der Nutzung von Finanzkreisläufen ein, die insbesondere zur Finanzierung des Terrorismus oder zur Geldwäsche beitragen können. In diesem Zusammenhang gehört die Regulierung von Transaktionen mit Kryptowährungen zu ihren Prioritäten. Sie bringt dies zum Ausdruck, indem sie eine Reihe von Standards erlässt, deren Umsetzung darauf abzielen, die Anbieter von Dienstleistungen für virtuelle Vermögenswerte denselben Verpflichtungen zu unterwerfen wie Finanzinstitute. «Persönlich erlebe ich immer wieder, dass die Daten zwar gut geschützt sein sollten, es aber zu viele Ausnahmen gibt», sagte Forma.

Den Abschluss eines spannenden Tages bildete die Diskussion über Krisen und Chancen im von Motivations-Coach Werner Bruch geführten Panel mit den Referentinnen und Referenten. Krisen tauchten nicht plötzlich auf, da waren sich die Expertinnen und Experten einig. Und die Schweiz bereite sich eigentlich gut vor, setze das Geübte aber im Ernstfall nur langsam oder gar nicht um. Das Unerwartete erwarten, planen und adäquat üben sei auch eine Haltung. Die Schweiz habe seit dem zweiten Weltkrieg keine Krise erlebt. Eventuell werde sich nun die Einstellung zur Prävention ändern.

Autorin: Monica Fahmy

Monica Fahmy ist Ökonomin (MA UZH) und Absolventin des MAS Economic Crime Investigation. Sie ist COO bei der auf Investigations und Business Intelligence spezialisierten Firma AC Assets Control AG und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Expertenvereinigung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität SEBWK.

 

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