21. November 2022

Financial Crime

Bilanzfälschung – Vom Deliktsaufbau bis zur Aufdeckung mittels künstlicher Intelligenz

Bilanzfälschung – Vom Deliktsaufbau bis zur Aufdeckung mittels künstlicher Intelligenz

Von Susanne Grau und Dr. Claudia V. Brunner

In der Praxis führt die Unterscheidung zwischen zulässiger Gestaltung und strafbarer Fälschung von Bilanzen regelmässig zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Problemen. Die Teilnehmenden des Seminars «Bilanzfälschung» erhielten einen Einblick in die verschiedenen relevanten Aspekte. Wann sind solche Handlungen strafbar und wie kommt man den Verfehlungen auf die Spur?

Am 16. November 2022 konnten die Seminarleiterinnen Susanne Grau und Dr. Claudia V. Brunner einen hochinteressierten Kreis an Teilnehmenden aus der Justiz, Verwaltung und Privatwirtschaft am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern auf dem Campus Zug-Rotkreuz begrüssen. Gemeinsam mit den Expertinnen und Experten widmeten sie sich den unterschiedlichsten Aspekten der Bilanzfälschung.

Wann ist Bilanzfälschung strafbar?

In ihrem Vortrag «Bilanzfälschung aus Sicht des Strafrechts» führte Susanne Grau, Dozentin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern, die Anwesenden in den Deliktsaufbau der Bilanzfälschung beziehungsweise der Falschbeurkundung ein. Zunächst zeigte sie anhand eines einfachen Schemas auf, wie buchhalterische Verhaltensweisen strafrechtlich beurteilt werden können. Anschliessend wurden die vermittelten Grundlagen anhand zweier ausgewählter Fälle aus der Praxis vertieft. Wie der Fall Erb anschaulich zeigt, können Bilanzen, beziehungsweise Jahresabschlüsse auch nach deren Fertigstellung in betrügerischer Absicht manipuliert werden. So schönten die Verantwortlichen die Zahlen nachträglich mit dem Ziel, bestehende Bankkredite zu verlängern oder neue Kredite zu erhalten. Aber nicht nur die Finanzbuchhaltungen, sondern auch die Betriebsbuchhaltungen können von Manipulationen oder Fälschungen betroffen sein. So verringerte PostAuto mit fiktiven Buchungen den Gewinn der abgeltungsberechtigten Sparte «Regionaler Personenverkehr» mit dem Ziel, ungerechtfertigte Subventionen geltend zu machen. Dabei ist die Rede von Subventionsbetrug und manipulierten Zahlen. Die verwaltungsstrafrechtliche Untersuchung ist allerdings noch nicht abgeschlossen.

Welche Rolle nimmt die Revisionsstelle ein?

Marc Arnet, Mandatsleiter Wirtschaftsprüfung bei Mattig-Suter und Partner, führte die Teilnehmenden in seinem Referat «Bilanzmanipulation aus Sicht der Revisionsstelle» gekonnt durch verschiedene Fallbeispiele. Dabei durfte der Fall Wirecard nicht fehlen, bei welchem ein Viertel der Bilanzsumme, beziehungsweise 1.9 Milliarden Euro «frei erfunden» waren. Aber auch andere bekannte Fälle wurden diskutiert, wie beispielsweise derjenige der deutschen «Flowtex»-Gruppe, welche mit nicht existierenden Spezialbohrmaschinen ein fiktives Warenlager aufgebaut und ein Schneeballsystem betrieben hat. Im Anschluss an die Fallbesprechungen ging Marc Arnet auf das Problem der «mehrfachen Erwartungslücke» bei den Revisionsstellen ein. Zunächst ist es so, dass die Mehrheit der Schweizer Unternehmen gar nicht über eine Revisionsstelle verfügt, da nur wenige von ihnen überhaupt prüfungspflichtig sind. Bei denjenigen, die eine Revisionsstelle haben, werden die Auswirkungen deliktischer Handlungen auf den Abschluss nur geprüft, wenn sie der ordentlichen Revision unterliegen. Das betrifft gerade mal 2% aller Schweizer Unternehmen. Der  Schweizer Standard zur Eingeschränkten Revision (SER) schliesst das Einholen von Drittgutachten und Bestätigungen sowie die Begleitung von Inventuren explizit aus.

Wann ist Bilanzmanipulation erlaubt?

Nach dem gemeinsamen Mittagessen widmete sich Marco Passardi, Professor für Accounting am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern, dem Thema der erlaubten Bilanzpolitik. Brilliant führte er die Anwesenden anhand von anschaulichen Fallbeispielen durch die Materie. Zunächst verwies er auf Fehler, die häufig keinen deliktischen Hintergrund haben dürften, wie beispielsweise solche im Bereich der Gliederung. Sobald Fehler aber zu einer klaren Beeinträchtigung der Aussagekraft der Jahresrechnung führen, müssen sie als qualitativ wesentlich bezeichnet werden. Wie mit diesen im Rahmen der ordentlichen Revision umgegangen wird, erläuterte er anhand des Schweizer Prüfungsstandards 240, welcher sich mit deliktischen Handlungen auseinandersetzt. Nach einigen Erläuterungen zum «Journal-Entry-Testing», der Analyse zur Feststellung von auffälligen Abweichungen, wie beispielsweise Buchungen mit runden Beträgen oder zu ungewöhnlichen Zeitpunkten, leitete Marco Passardi zu einzelnen Beispielen über. Dabei entstand unter den Anwesenden eine angeregte Diskussion, wie sich der Wechsel der Abschreibungsmethode auf die Bilanz und Erfolgsrechnung auswirkt und welche Buchungen erlaubt sind und welche nicht.

Wie kommt man Bilanzfälschung auf die Spur?

Zum Abschluss des Seminartages erklärte Daniel Pfäffli, Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Informatik der Hochschule Luzern, wie man mit künstlicher Intelligenz Unregelmässigkeiten visualisieren und identifizieren kann. Zunächst führte er die Teilnehmenden in den Begriff der künstlichen Intelligenz ein und erläuterte anhand eines einfachen Beispiels, was Algorithmen sind. Danach demonstrierte er anhand des Fallbeispiels der Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom, wie potenziell auffällige Angaben der Netzbetreiber identifiziert werden können. Weiter legte er anhand von Demonstrationen und Übungen mit den Teilnehmenden dar, wie sich in Datensätzen sogenannte Anomalien, also Auffälligkeiten, erkennen und isolieren lassen. Dieses Vorgehen kann auch bei der Feststellung und Aufdeckung von Bilanzmanipulationen oder -fälschungen hilfreich sein.  

Bedürfnis nach Erweiterung des Fachwissens

Die angeregten Diskussionen während den Referaten, in den Pausen und während dem gemeinsamen Mittagessen zeigten, wie wichtig und anspruchsvoll das Thema Bilanzfälschung ist. Im Rahmen des Fachbereichs Wirtschaftskriminalistik können Interessierte im CAS Economic Crime Investigation ihr Wissen über die Bilanzfälschung hinaus vertiefen. Das Weiterbildungsprogramm kann in einem Zeitraum von sieben Jahren mit einem Master vervollständigt werden. Das Seminar Bilanzfälschung wird auch im Jahr 2023 wieder durchgeführt.

Autorin: Susanne Grau

Susanne Grau ist Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern und Inhaberin und Geschäftsführerin der SUSANNEGRAU Consulting GmbH. Sie amtet als Vizepräsidentin von veb.ch und Verwaltungsrätin der Controller Akademie AG. Zudem ist sie Vorstandsmitglied der Schweizerischen Expertenvereinigung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität SEBWK und des ACFE Switzerland Chapters.

Autorin: Dr. Claudia V. Brunner

Rechtsanwältin Dr. Claudia V. Brunner ist verantwortlich für den Themenbereich Wirtschaftskriminalistik, Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug der Hochschule Luzern sowie Partnerin bei Jositsch Brunner Rechtsanwälte. Sie verfügt über weitreichende Erfahrungen im Bereich Wirtschaftskriminalität, Compliance und Wirtschaftsstrafrecht. Zudem hat sie bei der BrunnerInvest AG ein Mandat als Vizepräsidentin des Verwaltungsrats inne und ist Vorstandsmitglied der SRO PolyReg.

Autorin: Dr. Claudia V. Brunner

Rechtsanwältin Dr. Claudia V. Brunner ist verantwortlich für den Themenbereich Wirtschaftskriminalistik, Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug der Hochschule Luzern sowie Partnerin bei Jositsch Brunner Rechtsanwälte. Sie verfügt über weitreichende Erfahrungen im Bereich Wirtschaftskriminalität, Compliance und Wirtschaftsstrafrecht. Zudem hat sie bei der BrunnerInvest AG ein Mandat als Vizepräsidentin des Verwaltungsrats inne und ist Vorstandsmitglied der SRO PolyReg.

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