3. April 2023

Allgemein,

Wirtschaftsrecht

Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung – Was bringt die Aktienrechtsrevision Neues für die Misswirtschaft?

<strong>Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung – Was bringt die Aktienrechtsrevision Neues für die Misswirtschaft?</strong>

Von Nadine Hagenstein

Per 1. Januar 2023 sind verschiedene Änderungen im Aktienrecht in Kraft getreten, darunter die revidierte Bestimmung zur Überschuldung sowie der neue Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Mit den Anpassungen wollte der Gesetzgeber die Pflichten des Verwaltungsrats konkretisieren. Welche Auswirkungen sind damit für den Straftatbestand der Misswirtschaft verbunden?

Teil der Aktienrechtsrevision sind unter anderem die sogenannten «(privatrechtlichen) Sanierungsbestimmungen» in Art. 725-725c des Obligationenrechts (OR). Sie regeln das Sanierungsverfahren im Obligationenrecht – dies im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Sanierungsbestimmungen im Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG). Die Bestimmungen sollen laut Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016 die Gläubigerinnen und Gläubiger schützen und möglichst frühzeitig Sanierungsschritte fördern. Zudem soll der neue Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach Art. 725 OR das Bewusstsein des Verwaltungsrats für die Liquidität schärfen und statuiert hierzu Handlungspflichten zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit. Demnach hat der Verwaltungsrat die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu überwachen und bei drohender Zahlungsunfähigkeit Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit sowie gegebenenfalls Sanierungsmassnahmen bis hin zur Einleitung eines Nachlassverfahrens zu ergreifen. Dabei muss er mit der gebotenen Eile handeln. Das Gesetz definiert den Begriff der «drohenden Zahlungsunfähigkeit» nicht, so dass dem Verwaltungsrat erhebliches Ermessen bei der Einschätzung der Liquiditätslage zukommt. Mit diesen Handlungspflichten wird im Wesentlichen die bisherige Rechtslage konkretisiert.

Der neu separate Überschuldungstatbestand in Art. 725b OR knüpft weitgehend an Art. 725 Abs. 2 altes OR an. Wohl wesentlichste Neuerung ist die gesetzliche Regelung der bisherigen Praxis des Bundesgerichts zur sogenannten «stillen Sanierung». Danach gestand das Bundesgericht dem Verwaltungsrat zu, bei Überschuldung die Benachrichtigung des Richters für eine kurze Zeitspanne aufzuschieben, wenn eine vernünftige Aussicht auf eine kurzfristige Lösung des Problems bestand. Dabei legte es aber keinen bestimmten zeitlichen Rahmen fest, innert welchem die Sanierung erfolgen musste. Neu ist dieser zeitliche Rahmen mit der Einführung einer fixen Toleranzfrist von 90 Tagen verbindlich geregelt. Die Frist beginnt mit Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse zu laufen, welche der Verwaltungsrat unverzüglich zu erstellen hat, wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht.

Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Glanzmann/Rutscheidt, Expert Focus 2021, 311

Auswirkungen auf den Straftatbestand der Misswirtschaft

Als Täterschaft kommt bei der Misswirtschaft nach Art. 165 Strafgesetzbuch (StGB) ausschliesslich die Schuldnerin oder der Schuldner selbst in Frage. Bei juristischen Personen wird die Tätereigenschaft in Anwendung von Art. 29 StGB auf deren Organe und damit auch auf den Verwaltungsrat übertragen. Die Bankrotthandlung, etwa in Form gewagter Spekulationen oder des Verschleuderns von Vermögenswerten, muss eine sogenannte Vermögenseinbusse bewirken. Darunter ist die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft und damit verbunden der Position der Gläubigerinnen und Gläubiger zu verstehen. Diese wird hervorgerufen durch die Herbeiführung oder Verschlimmerung der Überschuldung, die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit oder die Verschlimmerung der Vermögenslage im Bewusstsein der Zahlungsunfähigkeit. Zwischen der Bankrotthandlung und der Vermögenseinbusse muss sodann ein Kausalzusammenhang bestehen. Das Verhalten der Täterschaft muss demnach für die Vermögenseinbusse ursächlich sein. Zudem muss eine Konkurseröffnung, ein Verlustschein oder ein gerichtlicher Nachlassvertrag, also eine der sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen, vorliegen. An diesen Aspekten der Misswirtschaft hat sich mit der Aktienrechtsrevision nichts geändert. Mit den neuerdings explizit gesetzlich verankerten Überwachungs- und Handlungspflichten könnte aber deren Unterlassung beziehungsweise unsorgfältige Erfüllung neu als Bankrotthandlung im Sinne der «argen Nachlässigkeit in der Berufsausübung» eingeordnet werden. So zum Beispiel, wenn der Verwaltungsrat keine Überwachung sicherstellt, implementierte Instrumente nicht nutzt oder Alarmzeichen übergeht und keine adäquaten Massnahmen trifft, mit anderen Worten eine sogenannte «Sanierungsverschleppung» provoziert. Eine wirkungsvolle Liquiditätsüberwachung ist zudem eng mit der Buchführung verknüpft. Die Vernachlässigung der Rechnungslegung ordnet das Bundesgericht in der Regel als Sorgfaltspflichtverletzung unter den Tatbestand der Misswirtschaft ein, obschon insbesondere auch der Tatbestand der Unterlassung der Buchführung die Verletzung der Buchführungspflichten unter Strafe stellt. Bei fehlender oder unzureichender Liquiditätsüberwachung durch den Verwaltungsrat ist derzeit deshalb unklar, ob er mit den strafrechtlichen Konsequenzen der Misswirtschaft, also einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe, konfrontiert wäre, oder wegen Unterlassung der Buchführung zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe verurteilt werden könnte.

Praktisch steht bei der Tathandlung der «argen Nachlässigkeit in der Berufsausübung» die verspätete Überschuldungsanzeige oder Konkursverschleppung im Vordergrund. Der Vorwurf an die Täterschaft lautet, ihre Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig wahrgenommen zu haben. Diese Praxis dürfte unabhängig von der Einführung der fixen Toleranzfrist Bestand haben, denn das jedem Sanierungsversuch innewohnende Risiko ist nicht an Fristen gebunden.

Fallgruppen

Ändert die Aktienrechtsrevision die strafrechtlichen Risiken von Organen?

Weder die Bestimmung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit noch diejenige der Überschuldung bringen grundlegende Neuerungen. Den Tatbestand der Misswirtschaft tangieren sie primär im Bereich der Tathandlung der argen Nachlässigkeit in der Berufsausübung. Insgesamt bleibt es dabei, dass sich Organe mit und ohne Sanierungsbemühungen dem Risiko aussetzen, im Fall des Misserfolgs nachträglich wegen Misswirtschaft belangt zu werden.

Der nächste Beitrag auf dem Blog Economic Crime erscheint nach den Frühlingsferien am 8. Mai 2023.

Autorin: Nadine Hagenstein

Nadine Hagenstein hat ihre Masterarbeit im Rahmen des MAS Economic Crime Investigation zum Thema «Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und ihre Auswirkungen auf ausgewählte Aspekte der Misswirtschaft» verfasst. Sie ist als Juristin bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA und in verschiedenen Weiterbildungsprogrammen (CAS Financial Investigation, MAS Economic Crime Investigation) als Dozentin tätig. Vorliegender Beitrag gibt ihre persönliche Meinung wieder und bindet die FINMA nicht.

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