4. Januar 2021

Allgemein,

Corporate Crime,

Financial Crime,

Wirtschaftsrecht

Im Zweifel gegen den Angeklagten? Spannungsfelder im Strafprozess

Im Zweifel gegen den Angeklagten? Spannungsfelder im Strafprozess

Von Dr. Cornel Borbély

Wenn ein Beschuldigter angeklagt wird, sind die Meinungen meist gemacht. Nach dem Motto «Wo Rauch ist, ist auch Feuer» kommt es in der Öffentlichkeit auch zu Vorverurteilungen. Dabei wird übersehen, dass die Staatsanwaltschaft im Zweifelsfall Anklage erheben muss – selbst wenn die Beweislage lediglich schwach ist. Erst vor Gericht ist im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden.

Strafverfahren mit prominenten Involvierten oder bekannten Firmennamen erlangen mediale Aufmerksamkeit. Im Wirtschaftsbereich können als wenige von vielen Beispielen der Swissair-Prozess in den 2000er-Jahren oder das derzeit laufende Strafverfahren rund um den ehemaligen CEO der Bank Raiffeisen genannt werden. Wenn es schliesslich nach mehrjähriger Verfahrensdauer zu einer Verhandlung vor Kriminalgericht kommt – im Fall Swissair wurden von der Staatsanwaltschaft Zürich nach 5-jähriger Untersuchung über ein Dutzend ehemalige Organe aus dem Umfeld dieser Firma angeklagt – sind die Meinungen meist schon gemacht. Nach dem Motto «Wo Rauch ist, ist auch Feuer» kommt es in der Öffentlichkeit zu Vorverurteilungen, weshalb sollte die Staatsanwaltschaft anklagen, wenn sie nicht von einer erwiesenen Schuld der Beschuldigten überzeugt ist?

Dabei wird übersehen, dass auch diese medienwirksamen, wirtschaftlich meist bedeutenden Verfahren nach den gleichen Regeln wie einfachere Prozesse funktionieren. Die Strafprozessordnung gibt den gesetzlichen Rahmen vor, in welchem die Staatsanwaltschaft zu agieren hat. Das Bundesgericht interpretiert das Gesetz und präzisiert, wie die Bestimmungen auszulegen sind.

Der Zweifel gegen den Angeklagten

Eines der Kernprinzipien des Strafverfahrens lautet «im Zweifel für den Angeklagten» oder «in dubio pro reo». Diese Regel bezieht sich jedoch nicht auf die Untersuchung der Staatsanwaltschaft, sondern ist eine Beweisregel für die Richter: Ein Strafgericht darf sich nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und unüberwindbare Zweifel am Vorwurf bestehen. Oder einfach gesagt: Das Gericht muss freisprechen, wenn es an der Schuld zweifelt.

Wesentlich ist nun, dass dieser Grundsatz gemäss steter Rechtsprechung des Bundesgerichts erst vor Kriminalgericht Geltung erlangt; die Staatsanwälte haben dieses Prinzip nicht zu beachten. Am Ende des Strafprozesses entscheidet der Staatsanwalt über Anklage oder Einstellung des Verfahrens; selbst wenn er Zweifel am Tatgeschehen hat, darf er gerade nicht zugunsten eines Beschuldigten von einer Anklage ans Gericht absehen. Die Staatsanwaltschaft wird vom Bundesgericht als Ermittlungsbehörde qualifiziert, sie sei eben nicht dazu berufen, über Recht oder Unrecht zu befinden und dürfe nicht allzu rasch, gestützt auf eigene Bedenken, zu einer Einstellung schreiten.

Am Ende eines Strafverfahrens muss sich der Staatsanwalt nämlich von einem anderen Kernprinzip leiten lassen: «in dubio pro duriore» oder eben «im Zweifel für das Härtere» und damit für ein Gerichtsverfahren. Dieses weniger bekannte Prinzip prallt also konträr auf das berühmtere Schutzprinzip «pro reo». Tatsächlich entspringt diese Maxime jedoch nicht explizit der Prozessordnung, die Gerichte leiten das von anderen strafprozessualen Prinzipen ab. Dies kann sogar zur grotesken Situation führen, dass ein Staatsanwalt gegen seine Überzeugung anklagen muss. Es bleibt in solchen Situationen für den Staatsanwalt als letzten Ausweg eine Anklage auf Freispruch. Wie sinnvoll dies angesichts der knappen Ressourcen der Strafjustiz ist, kann dahingestellt bleiben. Eindeutig wird jedoch zu wenig beachtet, dass ein Gerichtsverfahren die Persönlichkeitsrechte eines Beschuldigten erheblich tangiert. Zwar können die Öffentlichkeit und die Medien zu Recht an einem Gerichtsverfahren teilnehmen – das Handeln der Justiz soll kontrolliert werden. Umgekehrt wird damit aber jedes Detail aus der Person des Angeklagten in die Öffentlichkeit getragen. Selbst bei einem Freispruch bleibt oft ein deutlicher Nachgeschmack hängen. Das Internet – und damit das öffentliche Gedächtnis – vergisst nie.

Wo Rauch ist, brennt höchstens ein Feuerchen

Der Grundsatz «in dubio pro duriore», wonach ein Beschuldigter im Zweifel anzuklagen ist, hat damit das Potential, zu einer (Vor-)Verurteilung zu führen. Zu wenig ist dieser von den Gerichten vorgegebene Mechanismus bekannt.

Die Tatsache einer Anklage sagt also nur wenig über Schuld aus. Wo Rauch ist, brennt eben meist nur ein kleines Feuer.

Autor: Dr. Cornel Borbély

Dr. Cornel Borbély ist Rechtsanwalt in Zürich und Spezialist für Wirtschaftskriminalität.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.