20. Juni 2022

Allgemein

Betrug am Arbeitsplatz: Lagebild 2022

Betrug am Arbeitsplatz: Lagebild 2022

Von Susanne Grau und Michael Dietrich

Wie schädigen Mitarbeitende, Geschäftsführende, Firmeninhaber oder Organe ihre Arbeitgeber-Organisation oder ihr Unternehmen und welchen Schaden verursachen sie? Die Antworten auf diese und weitere Fragen veröffentlicht die Association of Certified Fraud Examiners ACFE alle zwei Jahre im Report to the Nations. Welches sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Report 2022?

Occupational Fraud, beziehungsweise Betrug am Arbeitsplatz, ist ein Phänomen und Risiko, mit welchem sich Organisationen seit Jahren ununterbrochen befassen müssen. Durch strafrechtlich relevante Handlungen schädigen Mitarbeitende, Geschäftsführende, Firmeninhaber oder Organe das Unternehmen oder die Organisation, für welche sie tätig sind. Der kürzlich erschienene Report to the Nations 2022 von ACFE, dem weltweit grössten Verband von Spezialistinnen und Spezialisten zur Betrugs- und Korruptionsbekämpfung, umfasst 2’110 Fälle aus 133 Ländern und liefert detaillierte Informationen zu den nachfolgend abgehandelten Fragestellungen.

Wie wird am Arbeitsplatz betrogen?

Betrug am Arbeitsplatz geschieht über Asset Misappropriation, was mit Vermögensveruntreuung übersetzt werden kann. Mitarbeitende stehlen beispielsweise Vorräte aus dem Warenlager oder Geschäftsführer beziehen unberechtigterweise Darlehen und zahlen diese nicht zurück. Eine weitere Form des Betrugs am Arbeitsplatz stellt die Korruption dar. Darunter fallen beispielsweise unerlaubte Leistungen von Lieferanten an Mitarbeitende in Einkaufsabteilungen. Des Weiteren gehören aber auch Interessensbindungen von Verwaltungsräten dazu, die zu firmenschädigenden Entscheiden führen können. Beim Financial Statement Fraud beziehungsweise Bilanzbetrug, der dritten Form des Betrugs am Arbeitsplatz, machen Projektverantwortliche beispielsweise absichtlich falsche finanzielle Angaben gegenüber der Geschäftsleitung, um ungerechtfertigterweise einen Bonus zu erlangen. Schliesslich dient der Bilanzbetrug den internen Tätern aber auch dazu, ihre Handlungen im Zusammenhang mit der Vermögensveruntreuung oder Korruption zu verschleiern.

Quelle: ACFE Report to the Nations 2016 bis 2022
Quelle: ACFE Report to the Nations 2016 bis 2022

Wie die Übersicht der Jahre 2016 bis 2022 zeigt, kommt die Vermögensveruntreuung am häufigsten vor. Im Report 2022 ist sie mit 86% ausgewiesen, mit einem darauf entfallenden durchschnittlichen Schaden von USD 100’000. Die Korruption nahm seit 2016 stetig zu und macht im Jahr 2022 50% der Fälle aus. Der darauf entfallende durchschnittliche Schaden beträgt USD 150’000, das sind USD 50’000 mehr als noch im Jahr 2020. Der Bilanzbetrug erscheint mit 9% der Fälle unverändert am Schluss. Der darauf entfallende durchschnittliche Schaden schlägt auch im Jahr 2022 mit USD 593’000 am stärksten zu Buche – trotz Rückgang gegenüber dem Jahr 2020 von USD 361’000. Weil Mehrfachnennungen in der Umfrage möglich sind, übersteigt das Total der Prozentzahlen die Zahl 100.

Das Aufkommen der Blockchain-Technologie und die Tatsache, dass immer mehr Unternehmen Kryptowährungen in ihre regulären Geschäftsprozesse integrieren, hat eine neue Möglichkeit geschaffen, Betrug am Arbeitsplatz zu begehen. 8% der im Report to the Nations 2022 ausgewerteten Betrugsfälle fanden unter Verwendung von Kryptowährungen statt. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl in den kommenden Jahren steigen wird. Kryptowährungen wurden am häufigsten für Bestechungs- und Schmiergeldzahlungen sowie für die Umwandlung veruntreuter Vermögenswerte in Kryptowährung verwendet.

Wie wird Betrug am Arbeitsplatz entdeckt?

Die mit Abstand häufigste Methode zur Aufdeckung von Betrugsfällen am Arbeitsplatz ist der Hinweis. Dieser ist in der nachfolgenden Grafik als «Tip», also als Meldung eines Hinweisgebers, aufgeführt und umfasst 42%. Mehr als die Hälfte solcher Hinweise kommen von «Employees», also den Angestellten. Fast ein Drittel entfällt auf Kunden, Lieferanten und Konkurrenten (Customer, Vendor, Competitor).

Quelle: ACFE Report to the Nations 2022

Wer ist von Betrug am Arbeitsplatz betroffen?

Mehr als zwei Drittel, beziehungsweise 69% der Betrugsfälle, fanden in gewinnorientierten Organisationen statt, mit einem durchschnittlichen Schaden von USD 120’000. Gefolgt von der öffentlichen Hand mit 18% und einem durchschnittlichen Schaden von USD 138’000, Non-Profit-Organisationen mit 9% und einem durchschnittlichen Schaden von USD 60’000 sowie «andere» mit 4% und einem durchschnittlichen Schaden von USD 218’000.

Grundsätzlich können alle Branchen von Betrug am Arbeitsplatz betroffen sein. Die höchste Zahl der im Report to the Nations 2022 ausgewerteten Fälle entfiel mit 351 auf Banken und Finanzdienstleistungen, gefolgt von der Regierung und öffentlichen Verwaltung mit 198 Fällen und «Manufacturing», beziehungsweise Herstellung, mit 194 Fällen. Dieses Ergebnis muss nicht unbedingt bedeuten, dass in diesen Branchen mehr Betrugsfälle vorkommen. Vielmehr könnte es auch darauf hindeuten, dass in diesen Branchen mehr Betrugsermittler beschäftigt sind und vergleichsweise mehr Fälle gemeldet haben. Den höchsten durchschnittlichen Schaden erlitt im Übrigen die Immobilienbranche mit USD 435’000, gefolgt vom Grosshandel mit USD 400’000.

Wer begeht Betrug am Arbeitsplatz?

Auf die Gruppe «Inhaber/Geschäftsführung» entfielen gemäss Report to the Nations 2022 mit 23% am wenigsten Fälle. Der durchschnittliche Schaden war jedoch mit USD 337’000 am höchsten. Die übrigen Führungskräfte, beziehungsweise «Manager», verursachten 39% der Fälle mit einem durchschnittlichen Schaden von USD 125’000. Auf die Mitarbeitenden entfielen schliesslich 37% der Fälle mit einem durchschnittlichen Schaden von USD 50’000. Ein Viertel der internen Betrugsfälle wurden von Frauen begangen. Auf die Männer entfielen drei Viertel der Betrugsfälle, wobei es weltweit regionale Unterschiede gibt. In Amerika waren es beispielsweise 38% Frauen und in Südasien nur 5%. Westeuropa liegt bei 20%. Auch das Bildungsniveau der Täterinnen und Täter wurde ausgewertet. 80% hatten mindestens einen Hochschulabschluss.

Interessant ist auch die Zeitdauer, bis die Betrugsfälle intern aufgedeckt wurden. Diese betrug bei den hochrangigen Tätern, also bei der Gruppe Inhaber/Geschäftsführung, 18 Monate. Bei den übrigen Führungskräften waren es 16 Monate und bei den Mitarbeitenden 8 Monate. Eine Erklärung für die längere Zeit bis zur Aufdeckung könnte darin liegen, dass hochrangige Täter und Führungskräfte in der Lage sind, Kontrollen zu umgehen, die den Betrug sonst früher aufdecken würden. Hinzu kommt, dass diese Personen untergeordnete Mitarbeitende schikanieren oder einschüchtern können, was diese davon abhalten kann, mutmassliches Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten zu melden oder zu untersuchen.

Was wurde nach der Entdeckung der Betrugsfälle unternommen?

Nachdem der interne Betrugsfall entdeckt wurde, haben die betroffenen Unternehmen und Organisationen das Arbeitsverhältnis in 61% der Fälle beendet. Mitarbeitende wurden eher entlassen, als die Inhaber/Geschäftsführung. Es kam teilweise zu Zivil- oder Strafverfahren, wobei Unternehmen und Organisationen insbesondere auch auf Strafverfahren verzichtet haben. Sie begründeten dies damit, dass interne Disziplinarmassnahmen als genügend erachtet wurden. Als Grund wurde aber auch die Angst vor Reputationsverlust angeführt.

Die Bedeutung der Erkenntnisse für die Praxis

Die breit und global abgestützten Erkenntnisse aus dem Report to the Nations stellen für Unternehmen und Organisationen eine wichtige Grundlage für die Erkennung wirtschaftsdeliktischer Handlungen dar und dienen damit als wertvolle Basis für die Aufsetzung präventiver Massnahmen.

Autorin: Susanne Grau

Susanne Grau ist Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern und Inhaberin und Geschäftsführerin der SUSANNEGRAU Consulting GmbH. Sie amtet als Vizepräsidentin von veb.ch und Verwaltungsrätin der Controller Akademie AG. Zudem ist sie Vorstandsmitglied der Schweizerischen Expertenvereinigung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität SEBWK und des ACFE Switzerland Chapters.

Autor: Michael Dietrich

Michael Dietrich ist Inhaber von Nodon, einer Beratungsboutique für Wirtschaftsforensik. Seit über 25 Jahren unterstützt er Organisationen bei der Erkennung, Aufarbeitung und Verhinderung von Compliance-Verstössen und wirtschaftskriminellen Aktivitäten. Er ist im Fachrat des Weiterbildungslehrgangs MAS/DAS Economic Crime Investigation der Hochschule Luzern und doziert an verschiedenen Ausbildungsinstitutionen in der Schweiz. Im Weiteren ist er Präsident des Switzerland Chapters der Association of Certified Fraud Examiners ACFE, des weltgrössten Verbands von Experten zur Betrugs- und Korruptionsbekämpfung.

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