Aussagekraft von Leitbildern auf dem Prüfstand

Aussagekraft von Leitbildern auf dem Prüfstand

Studierende der Studienrichtung Marketing & Kommunikation haben Schlüsselwörter aus den Leitbildern verschiedener Unternehmen einer semantischen Analyse unterzogen. Neben Modewörtern wie «nachhaltig» oder «innovativ» fanden sich auch Beispiele gelungener Alleinstellung.

Die Studierenden der Studienrichtung Marketing & Kommunikation erhielten den Auftrag, Texte der Wertekommunikation von Unternehmen unter die Lupe zu nehmen, also zum Beispiel das Leitbild, die Vision oder die Mission. Sie sollten vier bis fünf Schlüsselwörter in den Texten identifizieren, diese mittels Konzepten aus der Semantik analysieren und zuletzt deren Aussagekraft im konkreten Text bewerten. Die Semantik ist jene linguistische Disziplin, die sich mit der Bedeutung von Wörtern beschäftigt.

Von der Recherche in Wörterbüchern bis zur Umfrage

Die Studierenden waren bezüglich des methodischen Vorgehens relativ frei. Die meisten schlugen in einem ersten Schritt die gewählten Wörter in verschiedenen Online-Wörterbüchern nach. Hier gab es schon die ersten Überraschungen, ist doch das Bedeutungsspektrum vieler Wörter wesentlich breiter als erwartet. Wer denkt beim Wort «offen» schon daran, dass dieses nicht nur «unverschlossen» oder «zugänglich» bedeutet, sondern eben auch «noch nicht erledigt»?

Als zweites gingen viele der Etymologie, das heisst der Herkunft der Wörter nach. Viele regelmässig in Leitbildern verwendete Schlüsselwörter wie «Respekt», «Toleranz», «flexibel» oder «Innovation» stammen aus dem Lateinischen und haben eine mehr oder weniger bewegte Wortgeschichte hinter sich. Aber auch hier gab es Überraschungen. Ob das Reiseunternehmen Globetrotter weiss, dass «Sinnstiftung» vom althochdeutschen Wort «sinnan» abstammt, welches unter anderem «reisen» bedeutete?

Zur Anwendung gelangten weitere semantische Modelle, zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Denotation (wörtliche Bedeutung eines Begriffs), Konnotation (im Wort mitschwingende Bewertung) und Assoziation (häufig mit dem Begriff verbundene Gedanken). Einzelne Studierende nahmen sich sogar die Mühe, zu den Assoziationen eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis durchzuführen.

Plastikwörter weit verbreitet

Leitbilder stehen stets im Verdacht, viel heisse Luft zu produzieren und wenig Konkretes und Verbindliches zu sagen. Diesen Befund bestätigten auch die Analysen der Studierenden. Es gibt eigentliche Modewörter wie zum Beispiel «nachhaltig» oder «innovativ», die in vielen Texten auftauchen, aber ohne passende Erläuterung so gut wie nichts aussagen. So schreibt Bern Welcome in ihrer Vision: «Nachhaltigkeit, Verträglichkeit für die Bevölkerung und Wertschöpfung werden gleichermassen beachtet». Wie der selbst konstatierte Konflikt zwischen Nachhaltigkeit und Wertschöpfung gelöst werden soll, bleibt offen.

Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen hat solche Begriffe wie «Fortschritt», «Zukunft», «Flexibilität» oder «Innovation» einmal als Plastikwörter bezeichnet: Sie klingen modern und wissenschaftlich, entpuppen sich bei näherer Betrachtung jedoch als reine Luftblasen.

Die kreative Versicherung

Einzelne Unternehmen leisten sich auch ungewollte Fehltritte. So schreibt die Mobiliar: «Unternehmergeist, Initiative und Kreativität sind unser Antrieb». Obwohl Kreativität ein positiv konnotiertes Wort ist, wünscht sich die Kundschaft von einer Versicherung vermutlich kaum Kreativität bei der Behandlung ihrer Anliegen.

Das Pharmaunternehmen Roche schreibt «Für uns bedeutet die Arbeit für Roche eine tägliche Verpflichtung zur Aufrechterhaltung unserer persönlichen Integrität …». «Verpflichtung» bedeutet zwar wie von den Verfassenden wohl gewünscht «Verantwortung übernehmen», kann aber auch mit «Verschuldung» und «Zwang» in Verbindung gebracht werden.

Die mepha Schweiz schliesslich dürfte sich wundern, wenn sie hört, dass das Wort «Führung» von den Befragten nicht nur mit «Verantwortung wahrnehmen» und «Zielstrebigkeit» assoziiert wird, sondern auch mit «Bevormundung», «Unterdrückung» und sogar dem Dritten Reich.

Gelungene Alleinstellung

Einige Unternehmen schaffen es aber auch, mit der Wahl der Worte im Leitbild ihrem Unternehmen nicht nur ein positives, sondern auch unverwechselbares Image zu verleihen. So schreibt der Reiseanbieter Globetrotter unter dem Schlagwort «Sinnstiftung»: «Das Reisen in anderen Kulturkreisen gehört zu den wertvollsten Erfahrungen, da es das Leben bereichert und eine gute Lebensschule ist. Der Sinn unserer Tätigkeit ist, den Kunden organisatorisch und inhaltlich zu optimalen Reisen mit grosser Erlebnisfülle zu verhelfen». Diese Aussagen sind nicht austauschbar und finden sich entsprechend bei anderen Reiseanbietern nicht.

Die Tourismusorganisation Engadin – St. Moritz schreibt selbstbewusst: «Als regionales Leitunternehmen tragen wir massgeblich zur touristischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Engadins bei». Die Wortneuschöpfung «Leitunternehmen» bringt auf gelungene und unnachahmliche Weise den Anspruch zum Ausdruck, einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der Region zu leisten.

Das Transportunternehmen Galliker schliesslich unterstreicht die Tatsache, dass es ein Familienunternehmen ist, mit dem Begriff «Generationen» und einem kleinen Seitenhieb auf andere Unternehmen: «Bei Galliker denkt man in Generationen, nicht in ‘Quartalen’».

Semantik fürs Leben

Gefragt, was die semantische Analyse von Texten der Wertekommunikation gebracht hat, betonen alle Studierenden, dass ihnen nicht nur bewusst geworden ist, wie vielschichtig und assoziationsreich viele Wörter sind, sondern dass sie in Zukunft Wörter viel kritischer hinterfragen und in der Unternehmenskommunikation viel bewusster einsetzen werden. Die Studierenden zu Botschafterinnen und Botschaftern der reflektierten Wortwahl zu machen, das war auch das Ziel der Dozentin.

Der Beitrag stützt sich auf die Arbeiten von Marija Bekavac, Iris Brülisauer, Flavia Cereghetti, Florian Heckendorn, Nadine Jösler, Silvan Vogel, Daniel Waller.

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