Kundenservice der Zukunft, oder: warum Bots nicht verkaufen!

Kundenservice der Zukunft, oder: warum Bots nicht verkaufen!

Welche Bereiche des Kundenbeziehungsmanagements werden in Zukunft sinnvollerweise automatisiert? Wer entscheidet dann, wie die Kundenbeziehung verläuft? An der Connecta 2018 in Bern referiere ich zum Thema automatisierte Services. Hier lesen Sie eine Zusammenfassung meines Referats «The Best Service is No Service – warum Bots nicht verkaufen!».

Schöne neue Welt. In 2025 ist ja alles besser. Das Thema Kundenservice ist auf den vorderen Plätzen der Management Agenda und jeder Studienanfänger im Bereich Betriebswirtschaftslehre lernt im ersten Semester, dass weiterempfehlende Kunden der Kern jeder Business Strategie sein sollten, die nicht auf den niedrigsten Preis abzielt. Dementsprechend sitzen die Mitarbeiter, die gelernt haben, mit Kunden zu reden ganz weit oben im Unternehmen. Aber: Es sind wenige. Denn:

Kunden reden mit Robotern und erhalten den perfekten Kundenservice. Schöne neue Welt.

Liest man heute die Voraussagen von Management-Gurus stellt man schnell fest, dass die Automatisierung im Kundenkontakt mit strahlenden Farben und vielen schönen Worten beschrieben wird. Nur frage ich mich dabei häufig, ob die heutigen Kern-Probleme der Kundenbeziehung überzunehmende Automatisierung und Machine Learning überhaupt gelöst werden können.

Können Unternehmen mit den Emotionen Ihrer Kunden umgehen?

Marketing und Kundenservice werden auch durch digitalisierte Instrumente nicht integriert geplant. Das führt dazu, dass Kunden, die eine schlechte Erfahrung mit einem Unternehmen gemacht haben, durch Werbung zusätzlich verärgert werden. Hier liegen grundlegende organisatorische Probleme vor.

Basis dieser Überlegung sind meine täglichen Erfahrungen im Austausch mit grossen Firmen. Häufig sind Marketing, Vertrieb und Kundenservice organisatorisch getrennt und haben völlig verschiedene Steuerungssysteme. Deklinieren wir das mal für einen zunehmenden Einsatz von Bots im Kundenservice durch: Ersetzen wir hier den Menschen am Telefon durch eine Maschine in der Problemlösung, werden unter Umständen grundlegende Möglichkeiten des Up- und Cross-Sellings nicht realisiert. Zwar ist das Problem des Kunden gelöst, für einen Kauf muss er aber erneut anrufen. Oder – noch schlimmer – er realisiert seinen Bedarf selbst zunächst nicht. Also ist es am Unternehmen, ihn noch einmal zu kontaktieren. Mit allen Nachteilen, die ein Outbound-Kontakt so mit sich bringt. Man denke nur an das «perfekte Timing».

Bots verkaufen halt nicht.

Zudem sind Bots heute noch sehr dumm. In Zukunft muss man sich also ganz genau überlegen, welchen Bereich der Kommunikation man mit Hilfe von Bots automatisieren will. Grundsätzlich wird man Bots in der mittleren Frist anlernen können, die komplette Konversation mit dem Kunden zu erlernen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Zum einen muss der Bot typische Fragestellungen und Antworten im Kundendialog kennenlernen und zum anderen muss ein Mensch dem Bot auch sagen, was ein erfolgreicher Dialog ist. Dieser Lernprozess der Maschine ist also sehr aufwändig.

Zum anderen kann ein Bot schnell in Bereichen weiterhelfen, die vom Kunden als nervig oder vom Unternehmen als teuer und wenig wertschöpfend wahrgenommen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Identifikation des Kunden oder das Ausfüllen von Formularen. Aber gerade in Bereichen hoher Wertschöpfung für den Kunden ist ein zwischenmenschlicher Dialog vielleicht wichtiger. Beispielsweise in einem komplizierten Beratungsgespräch.

Welches Interesse haben Kunden und Unternehmen am persönlichen Dialog?

Das erste, was wir also mal klären sollten, ist, dass die Bereiche Marketing, Vertrieb und Kundenservice integriert geführt werden, anhand eines einheitlichen Kennzahlensystems und gemeinsamer integrierter Ziele. Das zweite dann, welche Dialoge überhaupt automatisiert werden können und sollen. Dafür existiert schon seit rund zehn Jahren mit der von Bill Price entwickelte Value-Irritant Matrix ein sehr einfaches Instrument, wie ein Unternehmen seine Kundendialoge gezielt mit den Möglichkeiten der digitalen «Automatisierung» und so häufig gepriesenen «Vereinfachung» gestalten kann. Denn nur, wenn Kunde und Unternehmen ein Interesse an einem persönlichen Dialog haben, werden Werte geschaffen. Dies zeigt die folgende Abbildung 1 auf:

Value-Irritant-Matrix_Price_Jaffe_2008
Abbildung 1: Value-Irritant-Matrix nach Price und Jaffe (2008).

Danach wird einerseits aus der Sicht der Unternehmung überlegt, ob diese an einem Kontakt mit dem Kunden unter Service-Gesichtspunkten interessiert ist. Kann sie etwas über ihre Produkte und Dienstleistungen lernen? Ergeben sich dadurch Ideen für Einsparungen oder Chancen, weitere Produkte oder Leistungen zu verkaufen? Andererseits wird systematisch die Perspektive des Kunden auf den Servicekontakt eingenommen. Ist der Kunde wirklich an einem persönlichen Kontakt interessiert, weil er Antworten auf seine Fragen oder einen Rat bekommt und im Idealfall Geld sparen kann? Oder sieht er gar keine Notwendigkeit mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten und empfindet den Kontakt als ärgerlich?

Die Grundidee ist, dass ein Unternehmen analysieren sollte, wo Kunde und Unternehmen gleichzeitig Interesse am persönlichen Kontakt haben. Nur hier kommen wertstiftende Gespräche zustande.

Besteht eine Interessendivergenz, hat also der Kunde ein hohes Interesse, eine Problemlösung zu erhalten, das Unternehmen schätzt diesen Kontakt jedoch nur als zusätzliche Kosten ein, sollte der Kontakt automatisiert werden. Das ist vor allem da von Interesse, wo Kunden immer wieder die gleichen Fragen stellen. In diesem Zusammenhang geht es häufig um das Verständnis der Funktionsweise von Produkten und Dienstleistungen, auch Self-Service genannt.

Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, dass das Unternehmen darauf angewiesen ist, dass der Kunde einen Kontakt mit dem Unternehmen hat und bestimmte Informationen preisgibt, wie beispielsweise bei einem Check-In oder einer E-Mail Bestätigung. Derartige Kontakte empfinden Kunden häufig als lästig. Hier gilt es die Kontakte, wie bspw. einen Check-In oder Teilkontakte, wie eine notwendige Identifikation des Kunden, möglichst zu vereinfachen.

Ein wunderbares Beispiel dafür stellt heute schon der YouTube Service Kanal der Royal Bank of Scotland (RBS) dar. RBS hat hier zu den häufigsten Service-Vorfällen im Bereich des E-Banking ausgesprochen unterhaltsame Erklär-Videos produziert, die für den Kunden einen hohen Mehrwert im Self-Service darstellen. Es geht also auch unterhaltsam UND schnell! Dabei ist es jedoch essentiell, dass ein Kundenservice-Center-Manager weiss, welche Geschäftsvorfälle im Contact Center anfallen und wie die Wertschätzung der Kundschaft für eine rasche Problemlösung aussieht.

Und wenn der Dialog nun automatisiert werden soll…

Ein zusätzlicher Aspekt, der mir bei der Digitalisierung von Kundendialogen Sorge macht, ist die Frage, wer den Sprach- oder Chatbot für den Kundenservice überhaupt entwickelt und betreibt. Eine grosse Zukunft wird im Zusammenhang mit «Conversational UI» Bots zugschrieben, die als Chat- oder Voice-Bot auf den Infrastrukturen von Facebook, Apple, Google, Tencent oder Amazon basieren. Mehr als zwei Milliarden Menschen nutzen weltweit diese Infrastruktur, also ist die Verlockung gross, Kunden auf einem Touchpoint zu begegnen, den diese schon kennen.

Bots werden neu in die jeweiligen Messenger-Umgebungen integriert und dienen den Nutzern als Gesprächspartner oder integrieren sich auch in den Dialog zwischen mehreren menschlichen Nutzern. Die Kern-Idee dahinter ist, dass die Teilnehmer des Dialoges durch den Bot automatisiert zu Produkten und Services geleitet werden, die in den Dialogen eine Rolle spielen.

So kann beispielsweise die Ferienplanung komplett, von der Flugbuchung, über die Hotelreservation bis hin zur Auswahl von Ausflügen oder von Restaurants, in einem Gespräch stattfinden, ohne die Messenger Umgebung zu verlassen oder kommerzielle Apps oder Websites aufrufen zu müssen, um bspw. Preise und Alternativen zu recherchieren. Derartige Geschäfte, die mittels Kommunikation abgeschlossen werden, subsumiert man unter dem Schlagwort «Conversational Commerce».

Ist der Chatbot also in einer allgemein genutzten Messenger-Plattform, bspw. von Facebook, integriert, vereinfacht dieser dem Kunden den Alltag, da weniger Aufwand benötigt wird, um beispielsweise einen Flug mit einer Kurzmitteilung zu bestellen und sich nicht durch die App der Airline durcharbeiten muss.

Das richtige Potenzial wird aber erst dann erreicht, wenn eine mittels Bot geplante Reise nicht wunschgemäss verläuft: Realisiert der Bot bspw. schon bei der Anfahrt zum Flughafen, dass ein Flug eine grosse Verspätung aufweist, kann er selbständig Umbuchungen vornehmen, damit die geplanten Termine eingehalten werden können. Der Kunde bekommt davon nichts mit. Die Airline spart sich so eine Fülle unerwünschter Servicedialoge. Auch hier wieder schöne neue Welt. Meine Kernfrage dabei ist jedoch:

Können Unternehmen eine Kundenbeziehung durch den Sprachbot von Amazon, das iPhone von Apple oder die Suchmaschine von Google überhaupt noch eigenständig planen, oder entscheiden Dritte, wie die Kundenbeziehung zu den Kunden verläuft?

Und wenn es Dritte sind, nach welchen Regeln entscheiden diese? Hier müssen Unternehmen Szenarien entwickeln, wie sie den Tradeoff zwischen der aufwendigen eigenen Entwicklung digitaler Bots und der Nutzung allgemein bekannter und verfügbarer Infrastruktur handhaben, um auf der einen Seite Entwicklungskosten effizient zu steuern anderseits sich aber nicht in verheerende Abhängigkeiten zu begeben. Und so bleibe ich gespannt. Auf die schöne, neue Welt.


Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen. Er ist Professor an der Hochschule Luzern und Alumnus der Studenteninitiative MTP. In seinem Blog «Hafner on CRM» versucht er dem Thema seine interessanten, spannenden, skurrilen und lustigen Seiten abzugewinnen. Gerade erschien sein Buch «Die Kunst der Kundenbeziehung – Die besten Ratschläge für ein langfristig profitables CRM» im Haufe Verlag.

Kommentare

1 Kommentare

Markus Peter

3. Oktober 2018

Da gibt man in der Neukundenakquise mitunter tausende von Franken für einen neue Kunden aus und wenn er dann da ist, will man nicht mehr mit ihm kommunizieren. Für mich das Ende der Wertschätzung.

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