Wie entscheiden Konsumierende? Psychologie auf der Customer Journey

Wie entscheiden Konsumierende? Psychologie auf der Customer Journey

Im Rahmen des CAS Digital Analytics in Marketing an der Hochschule Luzern hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, als Qualifikationsschritt einen Blogbeitrag zum Thema zu verfassen. Bernadette Dettling, Autorin des folgenden Blogbeitrags, beschäftigte sich mit der Psychologie von Konsumierenden entlang der Customer Journey.

Digitale Daten-Analysen beantworten Fragen nach dem «Wieviel» und helfen Unternehmen ihre Online-Marketing-Ziele zu quantifizieren und zu kontrollieren. Die Psychologie der Kaufentscheidungen hält Antworten auf das «Warum» bereit. Wer sie kennt, dem fällt es leichter, aus Zahlen Massnahmen für eine bessere Customer Journey abzuleiten.

Wer mit einer Suchmaschine wie Google im Internet nach einem Produkt oder einer Dienstleistung sucht, erhält viele nahezu identische Angebote. Die grosse Mehrheit klickt auf das Erstbeste: In einer Studie mit über 100’000 Teilnehmenden wählten 92% der User einen Anbieter auf der ersten Seite der Suchanzeige. Das Fazit der Online-Marketer ist eindeutig: Wer im Internet erfolgreich sein will, muss bei relevanten Suchanfragen auf der ersten Seite erscheinen. Dies lässt sich erreichen mit GoogleAds, Suchmaschinenoptimierung und Content Marketing.

Die Frage nach dem «Warum»

Würden User:innen immer so einheitlich handeln, wie auf der ersten Google-Seite, könnten Daten-Analysten bald jede Entscheidung im digitalen Kaufprozess vorhersagen. Doch so einfach ist es selten. Je nachdem wie ein Unternehmen Online Marketing betreibt, gelangen die Nutzer:innen von verschiedenen Kanälen, wie Newsletter, soziale Medien oder der Google-Suche, auf die Website. Sie nutzen dafür abwechselnd andere Geräte, wie das Smartphone, den Desktop-Computer oder ein Tablet und begeben sich mal vom Büro und mal von zuhause aus ins Internet.

Die verschlungene Reise von User:innen zu verfolgen, ist technisch komplex und zudem rechtlich problematisch, weil der Datenschutz mitspielt. Dazu kommt, dass Zahlen nur die Frage nach dem «Wieviel» beantworten. Über das «Warum» geben sie keine Auskunft. Dieses wäre aber nützlich, um die Customer Journey zu verbessern, ohne Gefahr zu laufen, sich in zahlreichen Trial-and-Error-Schlaufen zu verstricken. Wer dies vermeiden möchte, dem dient ein Blick in die Herzen und Köpfe der Menschen – oder einfacher: in die Psychologie.

«The key objective of tracking the experience at customer touch points is to develop an understanding
of how an experience can be enriched for the customer throughout what marketers call the “customer’s decision making process”.»

Schmitt Bernd H., 2003

Psychologische Fachkräfte haben sich jüngst vermehrt mit Fragen des Konsumentenverhaltens und der Werbewirkung auseinandergesetzt. Für den folgenden Abschnitt habe ich eine Auswahl an Erkenntnissen aus der psychologischen Forschung gesammelt, von denen Daten-Analyst:innen und Experience Manager:innen profitieren können.

Ein Blick in die Herzen und Köpfe der Konsument:innen

Potenzielle Kunden beginnen ihre Reisen mit Einstellungen zum Kaufobjekt, zur Werbung, zur Anbieter-Marke. Möglicherweise hat der Konsumierende von Anfang an eine bestimmte Erwartung. Falls nicht, wird er/sie während der Customer Journey eine entwickeln und bis zum Kauf mehr oder weniger Zeit brauchen, um sich zu entscheiden. Die Aufgabe der Marketing-Leute ist es, den Entscheidungs-Prozess zu beeinflussen, bis es hoffentlich zu einem Kauf kommt.

Das ist leichter gesagt als getan, denn Konsumierende denken begrenzt rational, entscheiden manchmal falsch und verfallen schnell der Bequemlichkeit. Menschen sind geprägt von verschiedenen Überzeugungen, Gedanken und Eigenschaften. Sie haben individuelle Emotionen und handeln je nach früher gemachten Erfahrungen. Im Internet sind die User:innen unterschiedlich motiviert und nicht alle gleich fähig, sich zurechtzufinden. Dies alles wirkt sich auf ihre Einstellungen und ihre Entscheidungen aus.

Psychologie der Einstellungsänderung und der Kaufentscheidungen

Wie Einstellungsänderungen und Kaufentscheidungen zustande kommen, ist Gegenstand vieler Studien. Für alle, die mit Customer Journeys zu tun haben, lohnt es sich, über folgende Stichworte Bescheid zu wissen:

Einstellungen. Eine Einstellung ist bewusst oder unbewusst wertend. Sie beeinflusst die Art und Weise, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und wie sie sich verhalten. Maio & Haddock (2010) definieren Einstellungen wie folgt: «Eine Einstellung ist eine Gesamtbewertung eines Objektes, die auf kognitiven (Kopf), affektiven (Herz) und verhaltensbezogenen Informationen (Hand) beruht.»

Elaboration-Likelihood-Modell (Werbewirkungsmodell). Petty & Caccioppo (1986) haben zwei Arten der Informationsverarbeitung gefunden: die zentrale und die periphere Route. Auf der zentralen Route setzen sich Konsumierende bewusst mit Argumenten auseinander. Auf der peripheren Route, nehmen sie Werbung unbewusst oder mit verminderter Aufmerksamkeit wahr. Welche Route eingeschlagen wird, hängt vom Involvement ab. Mit diesem Begriff bezeichnen Petty & Caccioppo die Motivation und die Fähigkeit oder Gelegenheit, sich mit Werbung auseinanderzusetzen. Ist das Involvement hoch, wie zum Beispiel bei einem Autokauf, sind Konsumierende empfänglich für rationale Argumente. Bei niedrigem Involvement, sind Menschen auf der emotionalen Ebene besser erreichbar.

Elaboration-Likelihood-Modell (Werbewirkungsmodell)

Heuristiken. Weil die Folgen eines Kaufs nie ganz vorauszusehen sind, gelten Kaufentscheidungen als «Entscheidungen unter Unsicherheit». Bei dieser Art von Entscheidungen sind die Heuristiken bedeutsam. Menschen ziehen Heuristiken unbewusst hinzu, um mit möglichst wenig kognitivem Aufwand zu entscheiden. Zum Beispiel sind Heuristiken verantwortlich für das eingangs erwähnte Resultat auf Googles Suchanzeige. Wollen wir diesen Schritt auf der Customer Journey genauer verstehen, müssen wir uns fragen, warum er fast ausschliesslich auf diese Weise erfolgt. Ist es reine Bequemlichkeit, dass sich kaum jemand die Mühe macht, eine Seite weiter zu klicken? Oder vertrauen die User:innen einfach darauf, dass Unternehmen, die es so weit nach vorne geschafft haben, auch eine befriedigende Leistung erbringen? Beide Erklärungen sind nicht unwahrscheinlich: Nach der Theorie der Heuristiken wählt der impulsive Mensch die am schnellsten erkannte Alternative (Fluency Heuristik). Geht man davon aus, dass sich oft die erfolgreichen Marken auf den vorderen Rängen befinden, reagieren Gewohnheits-Menschen auf Wiedererkennung (Rekognitions-Heuristik) oder auf das Prinzip, den Erfolgreichen zu folgen (imitate the successful).

Die Rolle der Emotionen. Wie wichtig es ist, über die Rolle der Emotionen in der Werbung Bescheid zu wissen, zeigen verschiedene Versuche mit erotischer Werbung und mit Angstappellen. So weckt Erotik zwar die Aufmerksamkeit, doch lenkt sie auch vom Produkt ab. Angstappelle wirken nur in verträglicher Dosierung und auch nur, wenn eine Bewältigungsmöglichkeit aufgezeigt wird.

Typologie der Kaufentscheidungen. Je nach Produkt und menschlicher Neigung unterscheidet die Werbepsychologie vier Typen von Kaufentscheidungen:

  • Extensiver Kauf
  • Limitierte Kaufentscheidung
  • Gewohnheitskauf
  • Impulsiver Kauf

Extensive Käufer:innen sind hoch involviert, meist unentschlossen und suchen aktiv nach Infos. Sie sammeln Argumente und achten auf Werbebotschaften. Meistens sind langlebige Güter, wie ein Auto oder ein Haus, der Gegenstand des Interesses.

Sind nicht alle nötigen Informationen erhältlich und wird dennoch entschieden, kommen die Heuristiken zum Zug. In diesem Fall handelt es sich um eine limitierte Kaufentscheidung.

Gewohnheitskäufe tätigen wir für Güter des alltäglichen Gebrauchs nach stabilen, positiven Erfahrungen. Für Marketer ist es schwierig, Gewohnheitskäufer von einem alternativen Produkt zu überzeugen.

Impulskäufe sind stimmungsabhängig. Die Produktwahl scheint beliebig. Ausschlaggebend ist, was im entscheidenden Moment ins Auge sticht.

Datenanalysen und Psychologie – wie sie zum Dream-Team werden

Digitale Datenanalysen und Psychologie können sich gegenseitig auf vielseitige Weise befruchten. Wie die oben zusammengefasste Theorie in der Online-Marketing-Praxis nützlich sein könnte, zeigen folgende sechs Anwendungsbeispiele:

  1. Zahlen liefern keine Antworten auf Warum-Fragen, deshalb müssen Online Marketing-Leute das Kundenverhalten auch qualitativ analysieren. Es fällt leichter, in Umfragen und Interviews zielführende Fragen zu stellen, wenn man weiss, wie Einstellungen beeinflussbar sind und Entscheidungen zustande kommen.
  2. Um eine begeisternde Customer Journey zu entwickeln, ist es nötig, den Menschen ganzheitlich zu betrachten. Ganzheitlich bedeutet, Kopf, Herz und Hand zu berücksichtigen. Daten-Analyst:innen mit psychologischen Kenntnissen können in A/B-Tests gezielt Kopf-, Herz- und Verhaltens-Ansprachen entwickeln und sie gegeneinander testen.
  3. Ist das Involvement der potenziellen Kundschaft bekannt, können Daten-Analyst:innen das ideale Mass an funktionaler und emotionaler Ansprache anhand des Elaboration-Likelihood-Modells von Petty & Caccioppo ausrichten und testen.
  4. Hinter dem Ziel den User:innen positive Erlebnisse (Customer Experience) und eine flüssige Customer Journey zu bieten, steckt nicht nur die Absicht, den User:innen eine Freude zu bereiten, sondern auch, sie zu einer schnellen, emotionalen Bauchentscheidung zu verleiten. Bauchentscheidungen fallen aufgrund von Heuristiken. Wer die Heuristiken kennt, kann sie durchdenken, um nach Gründen für Unterbrüche der Customer Journey zu suchen.
  5. Sollen Emotionen geweckt werden, wäre es spannend mithilfe von A/B-Tests herauszufinden, welches Mass an Erotik oder Angst noch verkaufsfördernd wirkt und ab wann die geweckten Gefühle zu sehr vom Produkt ablenken. Daten-Analyst:innen, die den aktuellen Stand der psychologischen Forschung kennen, müssen nicht bei Adam und Eva anfangen, um die Rolle der Emotionen zu testen.
  6. Auf strategischer Ebene bietet sich eine Kombination von Datenanalysen mit dem Modell des human-centered Marketings an, das auf einer möglichst detaillierten Persona aufbaut. Bei der Entwicklung einer Persona ist es nützlich zu wissen, welche Käufer-Typen sich für ein Produkt interessieren.

Die Zusammenarbeit von Werbepsychologen und Daten-Analyst:innen dürfte sich in Zukunft mehr und mehr als unverzichtbar erweisen, um die Kundschaft besser zu verstehen, die Persona prägnanter zu beschreiben und die Customer Journey erlebnisreicher zu gestalten.

Kennst du deine Zielgruppe wirklich? Konsument:innen ticken oft nicht so, wie wir nach Bauchgefühl erwarten würden. Mehr darüber gibt es in meinem Blog «Konsumenten ticken widersprüchlich – 9 psychologische Facts» zu erfahren.

Autorin: Bernadette Dettling

Geschäftsführerin von b-dettling.com / Content Marketing-Agentur / Texte und Konzepte für anspruchsvolle Zielgruppen

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