19. Juli 2021

Studentische Beiträge,

Unternehmen

Mandatsübernahme leicht gemacht – dank künstlicher Intelligenz

Mandatsübernahme leicht gemacht – dank künstlicher Intelligenz

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Immer mehr Immobilienfirmen digitalisieren die Mieter- und Liegenschaftendossiers, damit die Daten von überall zugänglich sind (bspw. im Homeoffice oder via Mieterportal). Bei der Übernahme eines Bewirtschaftungsmandats werden die Daten oft via USB-Stick an die neue Verwaltung ausgehändigt, welche die Daten nicht einlesen kann, da die Unterteilung der jeweiligen Dokumenten-Typen der unterschiedlichen Firmen und Systeme nicht kompatibel sind. Eine Lösung für das branchenweite Problem wird zur Zeit von Arcplace in Zusammenarbeit mit VERIT entwickelt.

Von Lukas Wernli und Chantal Siegrist

Die Schweiz ist im Vergleich zum Ausland ein Land von Mietern – rund 63 % der Bevölkerung leben zur Miete (Bundesamt für Statistik). Die Mietliegenschaften gehören zum grössten Teil privaten Investoren (69 %), damit ist nur der kleinere Teil im Besitz von Genossenschaften und Immobiliengesellschaften (Bundesamt für Statistik).

Die Immobilienbranche konnte es sich in der Vergangenheit erlauben, die Portfolios auf konservative Weise zu verwalten – die Honorare waren gewinnbringend und die Margen für die Verwaltungen entsprechend hoch. Doch mit dem tiefen Zinsniveau und den somit sinkenden Immobilienrenditen gerät die Branche immer mehr unter Druck. Die Honorare werden seitens Eigentümer nach unten korrigiert – die Margen der Bewirtschaftung sinken und so müssen viele Verwaltungen ihre Prozesse und Kosten kritisch hinterfragen.

Prozesse werden digitalisiert

Mit dem Einsatz von digitalen Technologien können Standardprozesse automatisiert und somit Personalressourcen optimiert werden. Zum Beispiel kann ein Mieter/eine Mieterin seinen/ihren Reparaturauftrag zu jeder Tageszeit selbständig via App oder Mieterportal online erfassen, ohne Telefonanruf oder Meldung per Mail an die Verwaltung. Des Weiteren können Mietinteressenten ihre Bewerbungsunterlagen für ihre Wunschwohnung direkt via Web hochladen, eine erste Validierung des Dossiers findet automatisch durch das System statt. Bewerbungen, welche nicht den Kriterien entsprechen, zum Beispiel aufgrund fehlender Tragbarkeit, erhalten automatisch eine Absage. Der Verwaltung werden lediglich die Dossiers zugestellt, welche den festgelegten Kriterien entsprechen. Die Endauswahl sowie die Zusage an den Mietinteressenten werden anschliessend persönlich von der Verwaltung ausgeführt.

Mit Hilfe solcher digitalen Prozesse kann die Effizienz der Mitarbeitenden gesteigert werden. Diese können sich stattdessen dem “People Business” widmen, welches schwer durch technische Lösungen zu ersetzen ist – zum Beispiel Besichtigungen von Mietobjekten oder Vertragsverhandlungen. Die Digitalisierungsstudie Immobilienbranche Schweiz von EY zeigt dieses Bedürfnis klar auf (siehe Abbildung 1). Die Studie basiert auf einer Umfrage bei 60 leitenden Mitarbeitenden und Geschäftsführungsmitglieder aus der Immobilienbranche. Die Teilnehmenden wurden unter anderem gefragt, welche Auswirkungen der Einsatz von digitalen Technologien auf ihr Unternehmen haben. Das Ergebnis zeigt klar, dass die Branche effizienter werden will.

Abbildung 1: Bedürfnisse der Befragten (Digitalisierungsstudie Immobilienbranche Schweiz, EY, 2020)

Medienbrüche bei Mandatsübernahme

Doch bevor Bewirtschaftungsfirmen digitale Dienste anbieten und nutzen können, ist es in einem ersten Schritt unerlässlich, sämtliche physischen Akten aus den Mieterdossiers, Liegenschaftsakten sowie Buchhaltungsdaten digital zu erfassen und in einem Immobilienverwaltungssystem zentral zu verwalten. Dieses Initialscanning der Papierakten ist mit einem grossen manuellen sowie zeitlichen Aufwand verbunden. Sämtliche Dokumente werden vorgängig von Hand sortiert, klassifiziert, gescannt und anschliessend dem korrekten Dokumententypen zugeteilt. Mit dem Dokumententyp wird definiert, um welche Art von Schriftstück es sich handelt, beispielsweise einen Mietvertrag, Grundrissplan oder eine Versicherungspolice. Das Scannen der Akten kann in-house oder durch einen professionellen Anbieter von Scanleistungen, wie zum Beispiel der Firma Arcplace AG, durchgeführt werden (Arcplace AG, 2021).

Mit dem Abschluss der digitalen Erfassung von bestehenden Portfolioakten ist dieser Prozess nicht vollendet. Immer wieder wechseln Liegenschaften ihre Besitzer/innen und in den meisten Fällen auch die zuständige Verwaltung. Vor der Digitalisierung wurden alle zur Liegenschaft gehörenden Unterlagen in Kisten gepackt und der neuen Verwaltung / Eigentümerin physisch übergeben. Heute erfolgt die Aktenübergabe beim Mandatsübergang oftmals via USB-Stick oder Datentransfer in digitalisierter Form. Die neue Verwaltung erhält eine Datei mit sämtlichen Daten und implementiert diese in ihr Verwaltungssystem. Dies ist jedoch oft nicht möglich, da es bis heute keine entsprechende Softwarelösung gibt, welche es ermöglicht, die erhaltene Datei eins zu eins hochzuladen und digital zu verarbeiten. Die aktuellen Systeme erkennen lediglich ein einziges, grosses Dokument, welches nicht automatisiert getrennt und korrekt klassifiziert werden kann. Trennung und Klassifizierung haben manuell zu erfolgen.

In der Praxis bedeutet dies, dass die erhaltene Datei entweder auf Papier ausgedruckt oder die PDF-Datei aufwändig manuell in einzelne Dokumente aufgeteilt wird. Anschliessend werden tausende von Dokumenten von Hand nach Dokumententypen sortiert und diese im korrekten Mieter- oder Liegenschaftendossier wieder hochgeladen. Dieser Ablauf raubt enorme Personal- und Zeitressourcen. Es ist der Branche bis dato nicht gelungen, eine automatisierte Lösung zu erarbeiten, welche diesen Prozess eliminiert. Bis heute – denn die VERIT Immobilien AG (kurz VERIT) und Arcplace AG bieten ab Mitte 2021 eine branchenweite Systemlösung an, welche die automatische Erkennung und Zuteilung der Dokumente ermöglicht (Interview Arcplace/VERIT, 18:10).

Künstliche Intelligenz hält Einzug in die Immobilienbranche

Der Immobiliendienstleister VERIT hat in Zusammenarbeit mit Arcplace seine Bewirtschaftungsprozesse im Bereich Inputmanagement während den vergangenen Monaten und Jahre komplett digitalisiert. Die physische Tagespost wird automatisch im Scancenter von Arcplace verarbeitet. Die eingehenden Dokumente werden eingescannt, nach Dokumententyp klassifiziert und digital dem zuständigen Mitarbeitenden in seinen ePosteingang zur Bearbeitung triagiert. VERIT und Arcplace bauen diesen bestehenden Prozess als Basis für die Lösung der automatischen Implementierung von Mandatszugängen aus. Sie entwickeln ein Produkt, das die Dokumentenerkennung und –zuteilung automatisieren wird. Die Basis dieser Innovation bildet eine Künstliche Intelligenz (kurz KI) mit Machine Learning.

Unter KI versteht man unter anderem die automatische Bilderkennung, eine natürliche Sprachgenerierung, virtuelle Assistenten, Roboter-basierte Prozessautomatisierung (RPA) sowie maschinelles Lernen. Künstliche Intelligenz unterstützt technische Systeme selbständig dabei, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Im Gegensatz zu einfachen Computerprogrammen, welche durch den Menschen mit klassischen Algorithmen vorprogrammiert werden, ist die KI in der Lage, selbständig weiter dazuzulernen und sich während dieses Lernprozesses automatisch zu verbessern. Das Wissen eignet sich die KI anhand der gefütterten Daten mittels maschinellen Lernens und Mithilfe der Mustererkennung an. Die mit Abstand verbreitetste Form von Künstlicher Intelligenz, welche im Alltag genutzt wird, ist die Spracherkennung und -assistenz “Siri” und “Alexa” beim Smartphone. Sei es zum Stellen des Weckers mittels Sprachbefehl oder zur Abfrage der neusten Sportresultate und aktuellen Wetterbericht.

Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz der KI ist ein umfangreiches Training. VERIT ist mit ihrem digital aufgebauten Posteingang Innovations-Leader auf dem Markt. Täglich werden mehrere hundert Dokumente bereits bei Arcplace gescannt und mittels der trainierten KI dem korrekten Dokumententyp sowie der Mieter/in zugewiesen. Zum Beispiel kann ein Mietvertrag eine Vielzahl verschiedener Layouts und Inhalte aufweisen, solche aus dem Jahr 1950 sind schlichter dargestellt als heutige Versionen. Trotz dieser Unterschiede wird die KI beide Exemplare treffsicher nach Dokumenttyp “Mietvertrag” klassifizieren können, aufgrund der Kombination aus Content- und Visualerkennung. Das Training umfasst im Idealfall pro Dokumententyp mindestens 400 Dokumente. Bei gesamthaft 120 verschiedenen Dokumententypen ergibt dies 48’000 Dokumente, mit welcher die KI mindestens gefüttert werden soll, damit eine automatische Erkennung und korrekte Zuordnung der Akten mit einer sehr hohen Treffsicherheit erfolgen kann (Interview Arcplace/VERIT, div.).

Hoher Qualitätsstandart als Voraussetzung

VERIT und Arcplace haben sich als Voraussetzung für den erfolgreichen Launch ihres Produktes eine automatische Zielerkennungsquote von über 90 % als Massstab gesetzt. Um dieses ambitionierte Ziel erreichen zu können, kommt zusätzlich zu den umfangreichen Trainings eine Konfusionsmatrix bei den bereits trainierten Dokumenten zum Einsatz. Anhand der Auswertung dieser Matrix wird aufgezeigt, welche Dokumente im automatisierten Prozess eine gewisse Konfusion bei der KI verursacht haben. Bei diesen Fällen wird die Trennschärfe manuell nachjustiert mittels Keywords oder Layoutdarstellungen, um der KI zu helfen, künftig Dokumente, welche ähnlich sind, zum Beispiel ein Mietvertrag und Nachtrag, noch besser erkennen und korrekt zuteilen zu können. Diese bereits entwickelten Prozesse sowie Algorithmen wird VERIT und Arcplace weiter ausbauen, um das Bedürfnis der Branche nach der digitalen Erfassung von Mandatsübergaben gerecht zu werden. Die Softwarelösung wird mit jedem Archivsystem, in welchem diese Dokumente revisionssicher digital abgelegt werden (bspw. ELO, Docuware, EASY Archive etc.), kompatibel sein und soll den Anwendern Kosten- und Zeiteinsparungen bescheren (Interview Arcplace/VERIT,12:30 und 30:15).

In der Systemversion, welche ab Mitte 2021 auf dem Markt kommt, ist die automatische Trennung der Dokumente noch manuell notwendig. Diese Vorarbeit kann vom Kunden selbst oder durch den Dienstleister Arcplace durchgeführt werden. Die anschliessende Einordnung nach Dokumententypen sowie die Hinterlegung im korrekten Dossier wird automatisiert erfolgen. Bereits ab 2022 kann das Produkt die PDF-Dateien selbständig trennen (Interview Arcplace/VERIT, 21:40).

Es ist der VERIT in enger Zusammenarbeit mit Arcplace gelungen, die branchenweite Herausforderung betreffend der vollumfänglichen digitalen Mandatsübergabe zu lösen. Die End-to-End Lösung kann ab Mitte 2021 von Drittkunden erworben und genutzt werden.

Dieser Beitrag ist während eines Projektes der Studierenden des MAS Immobilienmanagement entstanden.

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Quellenverzeichnis

Arcplace – Home – Informationsmanagement und Archivierung. (o. D.). Arcplace AG. Abgerufen am 27. Mai 2021, von https://www.arcplace.ch/

Bundesamt für Statistik. (o. D.-a). Mieter / Eigentümer. Abgerufen am 27. Mai 2021, von https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/wohnungen/wohnverhaeltnisse/mieter-eigentuemer.html

Bundesamt für Statistik. (o. D.-b). Mietwohnungen. Abgerufen am 27. Mai 2021, von https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/wohnungen/mietwohnungen.html

Digitalisierungsstudie Immobilienbranche Schweiz. (2020). EY Real Estate Schweiz.

Künstliche Intelligenz. (2021, 7. Juni). In Wikipedia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=K%C3%BCnstliche_Intelligenz&oldid=212753112

Maschinelles Lernen. (2021, 28. April). In Wikipedia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Maschinelles_Lernen&oldid=211393971

Interview vom 14. Mai 2021

Durchgeführt via Teams mit folgenden Teilnehmenden:

  • Martin Frei, VERIT Immobilien AG
  • Roger Egli, Arcplace AG
  • Lukas Wernli, HSLU
  • Chantal Siegrist, HSLU

Kommentare

1 Kommentare

Martin Frei

26. Juli 2021

Toller Blogbeitrag! lg Martin

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