8. November 2021

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Fünf Handlungsfelder für eine nachhaltige Wohnungswirtschaft: Teil 3: Entwicklungsrisiken im innerstädtischen Bestand

Fünf Handlungsfelder für eine nachhaltige Wohnungswirtschaft: Teil 3: Entwicklungsrisiken im innerstädtischen Bestand

Aus empirischen Arbeiten zeichnen sich fünf grosse Handlungsfelder für die Förderung und Sicherung einer nachhaltigen Wohnungswirtschaft ab. Nach «Langfristig bewerten und bewirtschaften» besteht der dritte grosse Handlungsbedarf im Abbau der innerstädtischen Entwicklungsrisiken. Planungs- und Bewilligungsrisiken verteuern oder blockieren Verdichtungsprojekte und Sanierungen. An den nachfragestarken innerstädtischen Lagen müssen Mietende einen signifikanten Teil dieser Risiken mittragen. Abgebaut werden können sie nur durch Kooperation zwischen öffentlicher Hand und privaten Eigentümern.

Von Christian Kraft, HSLU

Für das Ziel des günstigen Wohnraumes stehen häufig die Parameter Land- und Erstellungskosten, sowie Flächenverbrauch und Flächeneffizienz im Zentrum der Diskussionen. In einer Studie im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesens konnte zum Beispiel aufgezeigt werden, dass ein günstiges Produkt durch eine stark verbesserte Flächen- und Volumeneffizienz sowie durch eine Vereinfachung des Standards und der Ausstattung erreicht werden konnte. Die Baukosten lagen 12% bis 15% unter denjenigen eines höherwertigen Vergleichsprojektes. Bei identischem Landwert und gleicher Rendite konnten die Nettomietzinse pro Quadratmeter um 9% gesenkt werden. Aufgrund von 17% bis 33% kleineren Wohnungen resultieren Anfangsmonatsmieten von bis zu 37% unter dem Vergleichsprojekt (BWO, 2012).

Entwicklungsrisiken müssen eingepreist werden

Es resultieren zwei völlig unterschiedliche Produkte. Entwicklungsrisiken werden in dieser Berechnung nicht berücksichtigt. Dies obwohl in den Vorprojektphasen der Projektentwicklung grossvolumige Investitionsentscheide für derartige Produkte unter hohem Mass an Unsicherheit und hohem Komplexitätsgrad gefällt werden. Die bei der Projektinitiierung getroffenen Annahmen zu vielfältigen Chancen und Risiken sind nicht nur matchentscheidend für den finanziellen Erfolg des investierenden Unternehmens, sondern auch für den gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen der entstehenden Projekte in Schweizer Städten und Gemeinden.

Hauptfaktor der Risiken ist Unsicherheit

Die Business Cases einzelner Projektentwicklungen entstehen häufig in einer Phase, in der weder bauliche Machbarkeiten mit klaren Kostenstrukturen noch Nutzungsformen mit eindeutigen Ertragsmöglichkeiten vorliegen. Hinzu kommt ein hohes Mass an Unsicherheit bedingt durch öffentliche Planungs- und Abstimmungsprozesse sowie zu einem späteren Zeitpunkt Risiken durch kaum vorhersehbare Einzeleinsprachen. Werden die Risiken identifiziert und nicht beseitigt, wirken sie sich preissteigernd auf Verkaufspreise und Mieten aus. Werden Risiken nicht erkannt, drohen finanzielle Verluste bei investierenden Unternehmen und Risikoaversion für weitere Projekte wie z.B. komplexe Innenentwicklungen mit hoher Dichte. Muss zudem das Land für die Projektentwicklung noch erworben werden, steht der gesamte initiale Business Case unter dem hohen Zeitdruck mehrstufiger Bieterverfahren.

Unsicherheit ist in der Innenentwicklung besonders hoch

Bis zu einem gewissen Grad sind diese Risikoüberlegungen normaler und fester Bestandteil des Investitions- und Planungsprozesses. Problematisch wird es jedoch dann, wenn Risiken, Regulierungen oder lokale Komplexitäten sich derart überlagern, dass es entweder zu starken Kostensteigerungen, Fehlinvestitionen oder Abkehr von Investoren führt. Diese Situation gefährdet den Prozess der inneren Verdichtung, wo die Risikomodellierung derart komplex wird, dass Investoren und Entwickler auf die verbleibende grüne Wiese abwandern aufgrund risikoadjustiert höherer Gewinne und Renditen.

Mietende müssen Unsicherheit finanziell mittragen

Die hohen innerstädtischen Mieten in Neubauprojekten sind somit nicht nur auf hohe Baustandards und grosse Wohnungen zurückzuführen. Schwer greifbare Planungs-, Bewilligungs- und Einspracherisiken sowie eine zunehmende Regulierungs- und Abgabendichte müssen eingepreist werden. Wer die Rechnung zahlt, ist situativ unterschiedlich. Sicher ist jedoch, dass Mietende in vielen innerstädtischen Entwicklungen einen signifikanten Teil dieser Mehrkosten tragen müssen.

Hohe innerstädtische Entwicklungsrisiken bedrohen auch Sanierungen und Erweiterungen

m Bestand und in dichten innerstädtischen Quartieren sind gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Potenziale hoch, die Umsetzung jedoch gleichzeitig am komplexesten. Mit dem öffentlichen Verkehr sehr gut erreichbare Standorte sind gleichzeitig jene mit der höchsten Bevölkerungsdichte. An Projektstandorten der ÖV-Güteklasse A (sehr gute Erschliessung) lag die Bevölkerungsdichte zwischen 2010 und 2020 bei durchschnittlich 138 Personen pro Hektar, gegenüber 39 Personen pro Hektar an Standorten der Klasse D (schlechte Erschliessung). Auf die Klasse D entfielen in diesem Zeitraum 26% aller Investitionen in Neubauten und 17% der Sanierungen. Auf Standorte der Klasse A entfielen hingegen 13% der Neubauinvestitionen, aber 27% aller Investitionen in bewilligungspflichtige Umbauten und Sanierungen. Neu gebaut wird somit dort, wo Platz ist. Umgebaut und erweitert wird hingegen dort, wo der Bedarf im Altbestand hoch ist und wo die Nachfrage einen hohen Return on Invest verspricht.

Kooperative Lösungen sind gefragt

In dichten, urbanen Gebieten sind alle involvierten Partien gefragt, zusammen Lösungen zu erarbeiten. Dies mit einem Regelwerk, das gezielte Schritte fördert und ermöglicht und immer mit dem Bewusstsein, dass abseits der grossen Strategien der Teufel im Detail steckt: Was bedeutet die Kündigung aufgrund energetischer Sanierung für langjährige Mieter? Wie gestaltet man Sanierungen im bewohnten Zustand sozialverträglich ohne zu hohe Mietzinssteigerungen? Was sind die Alternativen zur 10-jährigen Öl- oder Gasheizanlage, die noch lange nicht abgeschrieben ist? Welche Massnahmen sind in welcher Situation rentabel und bewilligungsfähig und welche werden finanziell gefördert? Wie reagiert die Nachbarschaft auf eine Aufstockung oder Nachverdichtung? Mit wie vielen Einsprachen ist zu rechnen, und wie beeinflussen die Verzögerungen und Risiken die Projektrechnung?

Fragmentierte Eigentümerschaft erschwert innerstädtische Entwicklung

Dies sind nur einige Fragen, die sich hinsichtlich der innerstädtischen Entwicklung und energetischen Erneuerung dringend stellen, sich aber vor allem in den Städten nicht universell beantworten lassen. Investitionsentscheide sind per se sehr individuell und die Eigentümerschaft des städtischen Altbestandes ist stark fragmentiert und wenig organisiert. 65% aller Mietwohnungen mit Baujahr vor 1946 und 45% aller Mietwohnungen mit Baujahren zwischen 1946 und 1980 befinden sich im Privatvermögen ihrer Eigentümer (BfS). Sie haben keine gemeinsame übergeordnete Portfoliostrategie, oftmals kein professionelles Management der Liegenschaften und auch keine ESG-Nachweispflichten gegenüber weiteren Investoren. Der Bezug zu den Bewohnenden ist oftmals direkter als bei grossen Gesellschaften. Der Informations- und Abklärungsaufwand ist hoch und mit nur einem oder mit wenigen Häusern im Eigentum werden bereits kleinere Sanierungen zum Klumpenrisiko. Hier besteht die grosse Herausforderung der innerstädtischen Bestandsentwicklung. Gefragt sind Eigentümer mit Unternehmergeist und Risikobereitschaft, aber auch Behörden, die im Bewilligungsprozess unterstützen und Transparenz schaffen, um Unsicherheiten und damit teure Entwicklungsrisiken abzubauen.

Das vierte Handlungsfeld «Portfoliosicht entwickeln» folgt in diesem Blog am 15. November 2021. Melden Sie sich hier an, um diese und weitere Themen am 15. Dezember 2021 mit Expertinnen und Experten aus Praxis und Forschung persönlich zu diskutieren. Das Begleitbuch erscheint ebenfalls im Dezember.

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