5. Juni 2023

Studentische Beiträge

Tokenisierung im Immobilienmarkt – Eine ernstzunehmende Entwicklung

Tokenisierung im Immobilienmarkt – Eine ernstzunehmende Entwicklung
Quelle: Shutterstock.com

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Die Tokenisierung soll Investitionen in Immobilien effizienter machen. Aktuell beschränkt sie sich in der Schweiz auf indirekte Immobilienanlagen. Falls sich die Tokenisierung direkter Immobilienanlagen in Zukunft durchsetzt, könnte das Potential der intelligenten Verträge (Smart Contracts) voll ausgeschöpft werden.

Ein Artikel von Elias Meier und Lea Kiser

Tokenisierung von Immobilien

Bei der Tokenisierung wird das Eigentum an Vermögenswerten, beispielsweise an Wertpapieren mithilfe eines elektronischen Schlüssels digital abgebildet. Die Verwaltung und Übertragung der Token erfolgt auf der Basis der Blockchain-Technologie. Der Begriff Blockchain ist aktuell überaus populär. Er wird meistens mit Kryptowährungen wie Bitcoin in Verbindung gebracht. Blockchain ist aber lediglich die Technologie und Bitcoin eine daraus resultierende Anwendung ist (Ernst & Young, 2022). Eine Blockchain besteht aus einzelnen Blöcken, auf denen Datenverläufe, beispielsweise Transaktionen, gespeichert sind. Da alle Transaktionsschritte aufgezeichnet und mittels identischer Kopien auf verschiedenen Servern gespeichert werden, handelt es sich hierbei um ein dezentrales Register. Dieses kryptografische Protokoll ist sehr sicher, da es weltweit einmalig ist (UBS Chief Investment Office Global Wealth Management, 2022, S. 1).

Blockchain-Transaktionen in der Schweiz

Die Schweiz gilt in der Blockchain-Förderung als einer der global fortschrittlichsten Finanzplätze im Fintech- und Blockchain-Bereich (Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF, 2022).

Einen Meilenstein setzte die im März 2019 abgeschlossene Immobilientransaktion der Liegenschaft ‹Hello World› an der Grabenstrasse 3 in Baar mit rund 3 Millionen Franken bzw. 20 % des Liegenschaftswertes. Diese Anteile wurden tokenisiert und anschliessend an vier Investoren verkauft. Dies gilt als erste Immobilientransaktion auf der Blockchain in der Schweiz (Kasanmascheff, 2019).

Unmittelbar danach folgte der Kauf einer Immobilie ‹B52› an der Zürcher Bahnhofstrasse 52 durch die Unternehmung BrickMark. Diese hat im Januar 2020 mit dem Erwerb als erste europäische Immobiliengesellschaft eine Tokenisierung durchgeführt. Bei der Transaktion wurden 80 % des Liegenschaftswerts mit Anteilen an der Eigentümerschaft Bahnhofstrasse AG im Wert von 130 Millionen Franken abgewickelt, im Rahmen eines Share Deals in digitale Tokens umgewandelt und über die Blockchain-Plattform umgesetzt. Der Fall gilt als grösste Immobilientransaktion mit Token weltweit (Spett, 2020). Diese beiden Pioniertransaktionen können als wegweisend für den Start des tokenisierten Immobilienerwerbs in der Schweiz angesehen werden.

Aktueller Stand der Tokenisierung von Immobilien in der Schweiz

Der Gartner Hype Cycle ist ein Modell, das den Reifegrad und die Akzeptanz neuer Technologien und Anwendungen darstellt. Die Grafik zeigt den Verlauf einer Technologie von ihrer ersten Einführung bis zur allgemeinen Akzeptanz und verdeutlicht, wie Unternehmen sie am besten nutzen können, um Geschäftsprobleme zu lösen oder neue Chancen zu nutzen (Gartner Deutschland GmbH, 2023). Im Hinblick auf den Technologiereifegrad, siehe Abbildung 1, befindet sich die Blockchain-Technologie auf der «Spitze des Gipfels der überzogenen Erwartungen». Alles, was bisher als Blockchain benannt wurde, war einem ungebremsten Hype ausgesetzt. Es ist also davon auszugehen, dass eine Wende ins «Tal der Ernüchterung» unmittelbar bevorsteht. Nach Einschätzung von Blockchain-Experte Prof. Dr. Michael Trübestein und Studiengangsleiter des Master of Science in Real Estate an der Hochschule Luzern, wird eine langsame Annäherung an die Produktivität stattfinden (M. Trübestein, persönliche Kommunikation, 16. März 2023).

Abbildung 1: Positionierung digitaler Technologien im Hype-Zyklus 2023 (pom+Consulting AG, 2023, S. 17)

Indizien dafür liefern die Erhebungen der pom+ Consulting AG gemäss der Abbildung 2. Diese Firma erhebt den Technologiereifegrad in der Schweiz jährlich mittels der Digital-Real-Estate-Umfrage. Dabei belegt Blockchain mittlerweile den Schlussrang. «Begründen lässt sich dies, dass Nutzen vieler Technologien, die in der Bau- und Immobilienbranche zum Einsatz kommen, heute kritischer gesehen werden als noch vor drei Jahren. Wenn sich die Geschäftsmodelle auf Basis der Tokenisierung nachhaltig verändern, wird sich der Einsatz und Nutzen verändern, was dieser Technologie zu Auftrieb verhilft. Dass Blockchain einen stärkeren Nutzen und Einsatz erlangt, sind gesetzliche Vorgaben nötig, die aber heute sehr weit fortgeschritten sind», so Michael Trübestein (M. Trübestein, persönliche Kommunikation, 16. März 2023). Damit meint er die gesetzlichen Regelungen für die Blockchain-Technologie zur Rechtssicherheit und Ermöglichung von Innovation und Wachstum. Diese hat  die Schweiz am 1. August 2021 als eines der ersten Länder der Welt erlassen (Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF, 2022).

Abbildung 2: Rangfolge der digitalen Technologien bezüglich Einsatz und Nutzen in der Bau- und Immobilienwirtschaft (pom+Consulting AG, 2023, S. 18)

Bei der Tokenisierung von Immobilien wird zwischen direktem und indirektem Erwerb unterschieden. Bei einem direkten Erwerb wird die Immobilie tokenisiert. Bei indirektem Erwerb ersteht die Zweckgesellschaft die Immobilie. Anschliessend werden die Anteile der Zweckgesellschaft tokenisiert oder die Zweckgesellschaft emittiert Anleihen, die tokenisiert werden, siehe Abbildung 3.

Ein direkter Erwerb durch Tokenisierung ist heute noch nicht möglich. Derzeit ist bei einem direkten Immobilienkauf immer einen grundbuchliche Eigentumsübertragung notwendig, welche mittels einer Überschreibung des Grundbuchtitels erfolgt (Mauchle, 2021).

Im Gegensatz dazu ist die Tokenisierung indirekter Immobilienanlagen heute bereits gängige Praxis, wie an den Beispielen der Liegenschaften ‹Hello World› und der ‹B52› aufgezeigt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die ökonomischen Rechte an Liegenschaften zu vermitteln, ohne dass das Eigentum tatsächlich übertragen wird. Beispielsweise kann eine Immobiliengesellschaft die Liegenschaft erwerben und Investoren können als Fremd- oder Eigenkapitalgeber durch Anleihen, Aktien oder Partizipationsscheine an der Gesellschaft beteiligt sein. Diese Wertpapiere können durch die Blockchain-Gesetzgebung unproblematisch tokenisiert werden. Alle anderen Formen von indirekten Immobilienanlagen wie Fondsstrukturen können ebenfalls ihre Anteile in tokenisierter Form ausgeben.

Diese Emissionen unterliegen der Prospektpflicht, genau wie bei der herkömmlichen Ausgabe von Wertpapieren, Wertrechten oder Bucheffekten. Bei Wohnliegenschaften ist zu beachten, dass bei der Tokenisierung ebenfalls das Lex-Koller-Gesetz gilt (Luchsinger Gähwiler, 2022).

Abbildung 3: Tokenisierung von Immobilien (UBS Chief Investment Office Global Wealth Management, 2022, S. 2)

Kurzfristig wird durch die Tokenisierung kein Preiseffekt auf dem Schweizer Immobilienmarkt erwartet (UBS Chief Investment Office Global Wealth Management, 2022, S. 2). «Die Tokenisierung könnte vielmehr zur Stärkung des Immobilienmarkts führen. Je mehr diversifizierbare Anlageprodukte zur Verfügung stehen, desto interessanter kann das für Investoren werden», so Michael Trübestein (M. Trübestein, persönliche Kommunikation, 16. März 2023).

Über das aktuelle Handelsvolumen indirekter Immobilienanlagen gibt es ausser bei den beiden Pioniertransaktionen keine verlässlichen Schätzungen. «Das liegt daran, dass der Markt sehr intransparent ist und nur wenige Transaktionen öffentlich bekannt werden und die Transaktionen noch vorübergehend auf privaten Plattformen durchgeführt werden», erklärt Michael Trübestein. Zu den privaten Anbietern zählen unter anderem Crowdlitoken, Brickmark Group und SwissRealCoin. Neben privaten Plattformen positionieren sich die öffentlichen Handelsplätze wie die Digitale Börse Zürich SDX (Six Digital Exchange) sowie die Berner Börse BX Swiss ebenfalls für den tokenisierten Immobilienhandel. «Die Schweiz hat gute Arbeit geleistet im Bereich der Tokenisierung. Es wurden bereits grosse, erfolgreiche Transaktionen gemacht. Die Schweiz ist ein innovatives Land, welches eine gute Gesetzgebung hat. Dieser Vorsprung darf nun aber nicht verspielt werden. Aktuell braucht es mehr positive Pilotprojekte, welche die Anwendung vor allem für institutionelle Anleger zeigen», stellt Michael Trübestein fest (M. Trübestein, persönliche Kommunikation, 16. März 2023).

Probleme und Potentiale in der Zukunft

Aktuell gilt aufgrund der aktuellen Gesetzgebung in der Schweiz ein Grundbuchzwang. Solange das Grundbuch nicht auf einer Blockchain verfügbar ist, kann ein direkter Handel nicht stattfinden (Mauchle, 2021).

Des Weiteren fehlen aktuell noch die technischen Standards, um die regulatorischen Vorschriften wie die Identitätsprüfung der Token-Käufer mit der Konformität von ‹Lex Koller› zu überprüfen (UBS Chief Investment Office Global Wealth Management, 2022, S. 2).

Die Tokenisierung von Fonds und das Crowdfunding von Immobilien bieten Investoren ein erhebliches Potential, da jeder Token alle Informationen, Rechte und programmierbaren Anweisungen in digitaler Form enthält. Jeder Teilnehmer hat somit direkte Zugriffsrechte und kann innerhalb von Sekunden handeln sowie spätere Zins- oder Dividendenzahlungen automatisch erhalten. Im Vergleich zum Fonds- und Crowdfounding Prozess sparen die Vertragsparteien bürokratischen Aufwand, Zeit und Geld. Die direkte Handelbarkeit der Tokens stärkt zudem die Liquidität der Investoren, was den Handlungsspielraum sowohl für Emittenten (grösserer Liquiditätspool) als auch für Anleger (Erweiterung des Anlagespektrums) erweitert. Darüber hinaus ermöglicht die Tokenisierung von geschlossenen Fonds auch eine größere Flexibilität bei der Portfoliozusammensetzung und erweitert das Anlagespektrum für Investoren, da es möglich wird, auch kleinere Vermögenswerte zu einem Fonds zusammenzufassen. Dadurch können Fondsmanager breiter diversifizieren und das Portfolio mit einer grösseren Vielfalt an Anlageklassen bestücken, was wiederum das Risiko-Rendite-Profil verbessern kann (O’Brien, Rietz, & Kranz, 2022).

Zusätzlich erweitert die Tokenisierung das Anlagespektrum für Investoren, da es ihnen ermöglicht, in Vermögenswerte zu investieren, die ihnen normalerweise nicht zugänglich wären. So können beispielsweise Immobilien oder Kunstwerke, die normalerweise einem begrenzten Kreis von Investoren zur Verfügung stehen, in Tokenform auf den Markt gebracht werden und für eine breitere Palette von Anlegern zugänglich gemacht werden.

Der Schweizer Immobilienmarkt ist ein entscheidender Faktor der Wirtschaft und wird aufgrund seines hohen Gesamtwertes von rund 3,6 Billionen Schweizer Franken als einer der bedeutendsten Märkte des Landes betrachtet (Neff, 2020). Aktuell ist allerdings lediglich ein Bruchteil davon für die Allgemeinheit handelbar. Die Tokenisierung von Immobilienassets ermöglicht in den kommenden Jahren die Entfaltung des Marktpotentials.

Für die Zukunft sind intelligente Verträge (Smart Contracts) vielversprechend. Sie können mit den Token verknüpft werden. Das bedeutet, dass alle relevanten Objektinformationen und vertraglichen Vereinbarungen in programmierter Form dokumentiert werden. Somit ist es technisch möglich, Vermögenswerte in Form von Token digital direkt von Nutzer zu Nutzer schnell und zu jeder Zeit zu übertragen oder auf einem Sekundärmarkt zu handeln. Auf Basis der Blockchain-Technologie können Transaktionen nachvollziehbar, nachträglich unveränderlich und damit manipulationssicher durchgeführt werden. Damit würden traditionelle Bindeglieder wie Notare und Banken nahezu wegfallen oder deren Tätigkeit würde sich verändern. Im Weiteren besteht die Option, Mieterträge automatisiert an den Token-Inhaber auszuzahlen. Es können auch Vermögenswerte in Anteile zerlegt und für eine breite Zielgruppe zugänglich gemacht werden (UBS Chief Investment Office Global Wealth Management, 2022, S. 1).

Fazit

Die Blockchain-Technologie, die auf der die Tokenisierung basiert, bietet eine dezentralisierte und sichere Möglichkeit, Eigentum an Vermögenswerten abzubilden. Die Tokenisierung hat ein grosses Entwicklungspotential. Die Legislative und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA haben in den letzten Jahren ein gesetzliches Umfeld dafür geschaffen und somit die Vorreiterrolle der Schweiz gestärkt. Es wurden auch bereits wegweisende Transaktionen auf indirekten Immobilienanlagen durchgeführt. Die Blockchain-Technologie befindet sich derzeit auf dem Höhepunkt des Hypes und es wird erwartet, dass eine Phase der Ernüchterung folgen wird, bevor sie ihre volle Produktivität entfalten kann. Dann wird Tokenisierung in der Immobilienwirtschaft eine ernstzunehmende Entwicklung darstellen und die Schweiz wird angehalten sein, den erarbeiteten Vorsprung nicht zu verlieren.

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