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«Die künstliche Intelligenz wird zur universellen Disziplin»

«Die künstliche Intelligenz wird zur universellen Disziplin»
Roboter Pepper verfügt nicht über universelle Fähigkeiten. Die KI und insbesondere Deep Learning werden jedoch zu universellen Disziplinen und Methoden: Medizin, Marketing, Architektur, Logistik, Kunst – überall wird der Einfluss von KI zunehmen.

Von Yasmin Billeter

Prognosen von unseren Expertinnen und Experten: Teil 2

Welche Neuerungen stehen im Bereich künstliche Intelligenz (KI) an? Unser Experte Marc Pouly spricht in diesem Interview darüber, wie durch KI neue Wege beschritten werden – und wir gleichzeitig daran scheitern, künstliche Intelligenzen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu entwickeln.

Herr Pouly, was ist in diesem Jahr im Bereich künstliche Intelligenz zu erwarten?

Der Wettbewerb zwischen Google, Facebook, dem von Elon Musk mitbegründeten Forschungslabor OpenAI und Co. wird sich fortsetzen: Alle streben nach immer besserer Performance in der Bild- und Sprachanalyse durch immer grössere und damit auch datenhungrigere Modelle. Zur Illustration: Das Sprachmodell GPT-3 von OpenAI, veröffentlicht im Mai 2020, hat 175 Milliarden Optimierungsparameter!

Die Industrialisierung von Deep Learning wird nochmals weiter voranschreiten. Vor einigen Jahren brauchten wir noch vertiefte Programmierkenntnisse, um zum Beispiel den HTML-Code für eine Webseite zu verfassen. Heute ist dies dank WordPress und Co. auch für Laiinnen und Laien barrierefrei möglich. Das Gleiche passiert aktuell mit Deep Learning.

Die KI und insbesondere Deep Learning werden zu universellen Disziplinen und Methoden: Medizin, Marketing, Architektur, Logistik, Kunst –  überall werden durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz neue Wege beschritten.

Parallel dazu werden uns die Herausforderungen und Limitierungen dieser Technologie noch mehr bewusst: Ethische und juristische Fragestellungen verdrängen den aktuellen Technologiefokus. Die Konsequenzen ihres unermesslichen Datenhungers werden auch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst.

Was wird es auch im kommenden Jahrzehnt noch nicht geben?

Ich habe keine Ahnung. Wir bauen heute Machine-Learning-Modelle und lösen damit Aufgaben, welche ich noch vor einem Jahr als unlösbar bezeichnet hätte.

Die Menschheit hat nie eine schnellere Technologieentwicklung erlebt, als wir es im Moment mit Deep Learning beobachten.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschheit jemals eine schnellere Technologieentwicklung erlebt hat, als wir es im Moment mit Deep Learning beobachten. Trotzdem wird sich diese Entwicklung ohne Paradigmenerneuerung verlangsamen – wir sind uns der fundamentalen Einschränkungen der aktuellen Form der KI durchaus bewusst. Die Grundlagenforschung hat grosse Aufgaben vor sich.

Worauf werden wir noch sehr lange warten müssen?

Die aktuelle Form der KI zeigt übermenschliche Leistungsfähigkeit in immer neuen Gebieten. Aber es sind geradezu autistische Inselbegabungen. Wir scheitern daran, künstliche Intelligenzen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu entwickeln – und damit meine ich nicht, einfach für jede Aufgabe ein einzelnes Modell zu erstellen und diese einzelnen Modelle miteinander zu kombinieren. Dieser Ansatz skaliert nicht.

Die aktuelle Form der KI zeigt übermenschliche Leistungsfähigkeit in immer neuen Gebieten. Aber es sind geradezu autistische Inselbegabungen.

Es ist eine ganz erstaunliche Fähigkeit des Menschen, seine Expertise (ohne Trainingsprozess) auf neue Aufgabenstellungen übertragen zu können. Wenn ich sagen würde, dass die KI diesbezüglich noch in den Kinderschuhen steckt, wäre das eine Beleidigung unserer Kinder.

Was ist der grösste Irrtum von Laiinnen und Laien in Ihrem Fachgebiet?

Da gibt es viele: dass künstliche Intelligenzen über universelle Fähigkeiten verfügten (siehe oben), dass wir menschliche Gehirne nachbauen, dass wir kreative Tätigkeiten noch immer als menschliche Bastion wahrnehmen, dass die Entwicklung von KI-Komponenten in der Industrie besonders risikobehaftet oder teuer ist, dass die KI den Menschen auf dem Arbeitsmarkt verdrängt, usw.

Was ist 2021 die grösste Knacknuss?

Im Januar 2020 geriet die Corona-Pandemie in den globalen Fokus. Aber erst ab Juni 2020 fanden sich zunehmend Publikationen, welche Covid-19-spezifische Problemstellungen mit künstlicher Intelligenz lösten (z.B. Diagnostik auf Bildaufnahmen der Lunge).

Überspitzt gesagt: Ein halbes Jahr war die KI in der Corona-Krise weitestgehend nutzlos – warum?

Überspitzt gesagt: Ein halbes Jahr war die KI in dieser Krise weitestgehend nutzlos – warum? Wir nennen es Kaltstartproblem. Die aktuell erfolgreichste Form der künstlichen Intelligenz lernt aus Daten und ist dabei äusserst datenhungrig. Aber über ein neues Virus gibt es ganz einfach keine Daten – aber es gäbe menschliche Expertise, Erfahrung und Intuition.

Wir wissen heute nicht, wie sich explizites Wissen und implizit aus Daten gelerntes Wissen in einer KI vereinen lassen.

In den Neunziger- und Zweitausender-Jahren haben wir KI durch Einprogrammieren von menschlichem Wissen gebaut, und es hat in vielen Fällen nicht funktioniert. Erst als die künstliche Intelligenz selbstständig aus (unstrukturierten) Daten zu lernen begann, kamen die grossen Durchbrüche. Natürlich sind von Menschen bereitgestellte Daten auch eine Form menschlichen Wissens. Aber es ist eben implizit. Wir wissen heute nicht, wie sich explizites Wissen und implizit aus Daten gelerntes Wissen in einer KI vereinen lassen. Ich hoffe sehr, dass uns das Jahr 2021 diesbezüglich einen grossen Schritt weiterbringen wird.

Was fasziniert Sie an Ihrem Thema und warum stehen Sie dafür ein?

Die Generation meiner Eltern durfte beobachten, wie der Personal Computer die Welt eroberte. Meine Generation hat die Entstehung des kommerziellen Internets und später die Smartphone-Revolution miterleben dürfen. Mit der künstlichen Intelligenz stehen wir jetzt vielleicht am Anfang von etwas noch Grösseren, und ich schätze mich privilegiert, zumindest in kleinem Masse daran teilhaben und mitwirken zu dürfen.

Zur Serie «Prognosen»Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern – Informatik geben einen Ausblick auf Entwicklungen in ihrem Fachgebiet. 
An unsere Leserinnen und Leser: Welche Prognosen machen Ihnen Freude oder Sorge? Welche Entwicklungen streben Sie im Bereich künstliche Intelligenz an?

Veröffentlicht: 05.01.2021

Prof. Dr. Marc Pouly
Marc Pouly

Unser Experte für künstliche Intelligenz: Marc Pouly ist Co-Leiter der Forschungsgruppe Algorithmic Business Research Lab (ABIZ) an der Hochschule Luzern – Informatik. ABIZ unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung KI-basierter Anwendungen.

Angebote für Partnerfirmen: Das ABIZ-Forschungsteam unterstützt Industrie- und Kooperationspartner bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen und Dienstleistungen auf der Basis komplexer Algorithmen (Algorithmic Business) im Rahmen der digitalen Transformation. Nebst Forschung und Entwicklung bietet das Team folgende Dienstleistungen an: Beratung betreffend Digital Business, Vor-Ort-Schulung, Audits und Coaching in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen, Bildverarbeitung und Datenanalyse.

Künstliche Intelligenz an der Hochschule Luzern: KI ist ein Schwerpunkt an der Hochschule Luzern. Seit Frühling 2020 läuft der Bachelor-Studiengang Artificial Intelligence & Machine Learning.

Bilden Sie sich weiter: mit dem CAS Artificial Intelligence/Künstliche Intelligenz (AI/KI) KI verstehen, innovativ anwenden und hinter den Hype blicken!

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Kommentare

2 Kommentare

Christoph Stadelmann

Hinsichtlich der Generalisierbarkeit der Modelle stellt sich insbesondere die Frage bis wann ein geeigneten KI-Ansatz entwickelt ist welcher nicht die Lösung findet sondern die eigentliche Problemstellung erkennt. Die Lösungsfindung scheint mit den aktuellen ML-Ansätzen schon weit fortgeschritten. Das eigentliche Problem wird jedoch nicht durch die Maschine erkannt und dementsprechend durch denn Menschen mittels definierten Satz/Einzugsbereich an Inputvariablen vorgegebenen. Eine KI welche die jeweilige Problemstellung erkennt, leitet somit aus vorhandenen Daten die notwendigen In- und Outputs für die Lösungsfindung selbst ab.

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Marc Pouly

Sehr geehrter Herr Stadelmann, nebst Skalierbarkeit und der Anwendbarkeit auf unstrukturierte Daten gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen von Deep Learning, dass diese Methoden Features eigenständig und ohne menschliche Vorgaben aus Daten lernen. Manuelles Feature Engineering (in Ihren Worten: vom Menschen vorgegebene Inputvariablen) findet in der modernen KI kaum noch statt. Aber die Entwicklung geht schon viel weiter. Ende 2020 wurden erstmals Machine Learning Modell präsentiert, welche eigenständig Hypothesen vorschlagen. Wiederum in Ihren Worten: sie stellen Fragen und liefern nicht mehr nur Antworten. https://www.nytimes.com/2020/11/24/science/artificial-intelligence-ai-psychology.html Freundliche Grüsse Marc Pouly

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