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580 Spitalbetten weniger für die Zentralschweiz – der Himmel auf Erden?

580 Spitalbetten weniger für die Zentralschweiz – der Himmel auf Erden?
Diskutierten über Himmel und Hölle der Spitalversorgung (von links): Stefan Felder, Philomena Colatrella, Moderator Hannes Blatter, Michaela Tschuor und Peter Werder. Foto: Monique Wittwer
Von Hannes Blatter und Jonas Willisegger

Die Zukunft der Gesundheitsversorgung in der Zentralschweiz sorgt für hitzige Debatten. Eine Expertenrunde hat kürzlich diskutiert, wie sich die Spitalversorgung bis 2040 entwickeln sollte. Besonders kontrovers war eine Prognose von Prof. Dr. Stefan Felder von der Universität Basel: Seiner Berechnung zufolge könnte die Zentralschweiz bis 2040 rund 38 % weniger Spitalbetten benötigen – ein Abbau von 580 Betten. Ist das eine Effizienzsteigerung oder droht eine Verschlechterung der Versorgung?

Die Hintergründe

Die eingangs gestellte Frage, wie die Spitalversorgung der Zentralschweiz im Jahr 2040 im besten Fall („Himmel“) und im schlechtesten Fall („Hölle“) aussehen könnte, eröffnete eine angeregte Diskussion mit teils pointierten Aussagen. Zunächst war für alle Beteiligten klar: Die künftige Spitalversorgung soll nicht mehr an kantonalen Grenzen ausgerichtet, sondern überregional organisiert werden. Die Zentralschweiz geht hier bereits erste Schritte. 2021 schloss sich das Kantonsspital Nidwalden der LUKS Gruppe an, und Obwalden wird im Herbst 2025 über einen möglichen Anschluss entscheiden. Es bleibt abzuwarten, ob auch Uri, Zug und Schwyz enger mit der LUKS Gruppe kooperieren werden.

Doch die individuellen Vorstellungen zur künftigen Gesundheitsversorgung der Zentralschweiz lagen in der Diskussion weit auseinander.

Unterschiedliche Zukunftsvisionen

Die Luzerner Regierungsrätin Michaela Tschuor plädiert für eine starke ambulante Grundversorgung mit regionalen Gesundheitszentren, interdisziplinären Teams zur Patientenbetreuung und einer digitalisierten Steuerung der Versorgungsprozesse. Eine Gesundheitsleitstelle sowie eine App könnten die Patientinnen und Patienten effizient triagieren und steuern.

Philomena Colatrella, CEO der CSS, unterstreicht die Bedeutung eines zentral koordinierten Netzwerks von Leistungserbringern. Voraussetzung dafür sei eine einheitliche Digitalisierung, damit alle Akteure mit derselben Kliniksoftware arbeiten und Zugang zu relevanten Patientendaten haben. Peter Werder, CEO des Kantonsspitals Obwalden, geht noch weiter: In seiner Vision der Zukunft spielen die Kantone bei der Spitalplanung keine Rolle mehr. Stattdessen sei eine überregionale Planung erforderlich, um Kosten zu reduzieren. Der Fokus soll weniger auf Standorten, sondern auf spezifischen Angeboten liegen. Langfristig sei nicht die Lebensverlängerung, sondern die Lebensqualität entscheidend.

Die provokante Rechnung von Prof. Felder

Besonders kontrovers diskutiert wurde die Prognose von Prof. Dr. Stefan Felder von der Universität Basel. Seiner Berechnung zufolge würde die Zentralschweiz bis 2040 rund 38 % weniger Spitalbetten benötigen – das entspricht einem Abbau von 580 Betten.

Wie kommt er zu dieser Zahl?

  • Er prognostiziert für die Zentralschweiz ein Bevölkerungswachstum von 11 % bis 2040.
  • Gleichzeitig nimmt er an, dass die durchschnittliche Verweildauer in den Spitälern weiter sinken wird, was eine Reduktion um 19 % bedeutet.
  • Schliesslich rechnet er mit einer Ambulantisierung von 30 %, was zu einer weiteren Reduktion führt.

In seiner Vision benötigt die Zentralschweiz im Jahr 2040 nur noch 940 Akutbetten, die die Spitäler Luzern und Zug abdecken könnten. Die bisherigen Standorte in Wolhusen, Sursee, Sarnen, Stans, Altdorf, Schwyz, Lachen und Einsiedeln würden zu Ambulatorien umfunktioniert.

Was bedeutet das für die Bevölkerung?

Die entscheidende Frage ist: Wird die Gesundheitsversorgung flächendeckend und qualitativ hochwertig bleiben? Ein Abbau von Spitalbetten kann nur dann funktionieren, wenn der ambulante Bereich entsprechend gestärkt wird. Ohne ausreichende Investitionen und angepasste Tarife könnte es zu Engpässen kommen.

Ein weiteres Problem: Spitäler verdienen aktuell mehr an stationären Eingriffen als an ambulanten Behandlungen. Ohne wirtschaftliche Anreize könnte die Ambulantisierung ins Stocken geraten.

Zudem stellte das Fachpublikum eine kritische Frage: Wer stellt sicher, dass Patientinnen und Patienten zu Hause adäquat versorgt werden? Eine verstärkte Ambulantisierung setzt voraus, dass nicht nur die medizinische, sondern auch die pflegerische und soziale Betreuung sichergestellt ist. Hier besteht noch erheblicher Nachholbedarf.

Fazit: Paradies oder Risiko?

Die diskutierte Reduktion der Spitalbetten in der Zentralschweiz könnte zu Kosteneinsparungen und einer effizienteren Versorgung führen – aber nur, wenn gleichzeitig der ambulante Bereich massiv gestärkt wird. Andernfalls droht eine Unterversorgung.

Ob die aktuellen und geplanten Entwicklungen schlussendlich zum „Himmel auf Erden“ oder zur gesundheitspolitischen Fehlentscheidung werden, zeigt sich erst in den kommenden Jahren. Entscheidend ist, dass nicht nur betriebswirtschaftliche Überlegungen, sondern vor allem die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen.


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