Die Kantone haben sich durchgesetzt. Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) wird – falls die Stimmbevölkerung das Referendum ablehnt – unter Einbezug der Pflege eingeführt. Der teils heftige Widerstand der Krankenkassen wurde überwunden. Warum ist das eine gute Nachricht und was erhoffe ich mir davon?
Am 24. November 2024 wird die Bevölkerung über eines der grössten Reformprojekte im Schweizer Gesundheitswesen abstimmen. Die Finanzierung der ambulanten, stationären und pflegerischen Leistungen soll vereinheitlicht werden. Das Projekt läuft unter dem Titel EFAS (einheitliche Finanzierung ambulant und stationär) und soll primär heutige Fehlanreize beseitigen und die Last der Finanzierung ausgewogener unter den Kostenträgern (öffentliche Hand / Versicherer) verteilen. Die Vorlage kommt relativ technisch daher. Am Ende ist es aber gar nicht so kompliziert. Es gibt im Wesentlichen drei Bereiche der Grundversicherung (OKP), die vereinheitlicht werden:
Neu wird es EINEN einheitlichen Verteilschlüssel für alle drei Bereiche geben: In den ersten vier Jahren nach der Einführung (2028 bis 2031) übernehmen die Kassen 75.5% und die Kantone 24.5%. Dann wird die Pflege integriert und ab 2032 übernehmen die Kassen dann 73.1% und die Kantone 26.9%.
Einfach damit wir uns richtig verstehen: Wenn ich sage, die Kassen übernehmen die Kosten, dann meine ich uns Prämienzahlende. Und wenn ich sage, die Kantone übernehmen die Kosten, dann meine ich uns Steuerzahlende. Am Ende bezahlen wir das natürlich alles selber.
Angesichts der Komplexität dieser Vorlage fokussiere ich mich auf die Pflege. Dass die Pflege verbindlich als dritter Bereich in die Vorlage eingefügt wurde, ist eine sehr gute Nachricht. Dies ist vor allem den Kantonen zu verdanken, die hier äusserst hartnäckig verhandelt haben. Zu Beginn der Beratungen um EFAS waren die Kantone alles andere als gefestigt und einige Regierungsrätinnen und Regierungsräte dürften gehofft haben, dass die Forderung nach einer Integration der Pflege das Reform-Paket überladen und zum Absturz bringen würde. Die Forderung hat aber geholfen die Reihen zu schliessen und am Ende zu einer deutlichen Verbesserung der Vorlage geführt. Warum?
Man muss sich vergegenwärtigen, dass die drei Bereiche mit sehr, sehr unterschiedlichen Tarifsystemen arbeiten. Wir haben im stationären Bereich beispielsweise mit Swiss DRG ein hochmodernes System mit komplexen Fallpauschalen, einer klaren Governance durch die Swiss DRG AG und einer laufenden Weiterentwicklung, um mit dem rasanten medizinisch technologischen Fortschritt mithalten zu können. Im ambulanten Bereich wird immer noch über Tarmed abgerechnet (ab 2026 dann über Tardoc/Pauschalen). Tarmed ist ein veraltetes Einzelleistungs-Tarif-Modell, welches falsche Anreize setzt, kaum reformfähig ist und nicht mit der Entwicklung Schritt halten kann. Und schliesslich haben wir im Pflegebereich zwei unterschiedliche Systeme, die mit gesetzlich (KLV) festgelegten Minutentarifen arbeiten. Wenn sie in einem Pflegeheim sind, dann ist der Schweregrad massgeblich, der – by the way – mit unterschiedlichen Pflegebedarfserhebungssystemen erhoben wird, die bis heute nicht vereinheitlicht werden konnten. Wenn Sie durch die Spitex gepflegt werden, gilt eine andere Logik, die aber auch auf einem gesetzlich festgelegten Minutentarif basiert. Aus politikwissenschaftlicher Sicht formuliert haben wir es mit einer sehr, sehr unterschiedlichen Policy-Ausgestaltung zu tun: Der gesetzlich festgelegte Minutentarif atmet den Geist der Politikgestaltung der 80er Jahre, der Einzelleistungstarif Tarmed gehört mental in die 90er Jahre und das lernende System Swiss DRG kommt der heutigen Politikgestaltung schon deutlich näher.
Da die Tarifsysteme entscheidend für eine regelbasierte Abrechnung sind, durch eine Vergleichbarkeit auch Benchmarking ermöglichen und schliesslich eine Grundlage schaffen für datenbasierte Verhandlungen, engagieren sich die Krankenversicherer stark und bringen auch viel Know-How mit. Bis anhin hatten die Krankenversicherer mit der Pflege aber sehr wenig zu tun. Dank dem Minutentarif sind sie sehr gut geschützt vor einer Kostensteigerung. Die Restfinanzierung geht bisher ja immer zu Lasten der Kantone und Gemeinden. Das wird nach Einführung von EFAS nicht mehr der Fall sein und die Kassen tun gut daran, sich intensiv mit der Pflege auseinanderzusetzen. Zudem besteht ein hoher Zeitdruck: nur gerade acht Jahre stehen zur Verfügung, um das System der 80er Jahre in die heutige Zeit zu überführen. Dafür braucht es das Know-How der Krankenversicherer. Und hieraus resultiert auch meine Hoffnung. Die Krankenversicherer werden sich neu nun darum kümmern müssen und das ist gut. Denn die Entschädigung der Pflege braucht unbedingt neue Systeme, die Erfassung und Abrechnung erleichtern, die mehr Dynamik und Flexibilität ermöglichen und auch für besonders vulnerable Gruppen wie Palliativ Care oder die Pflege von Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen kostendeckende Tarife ermöglichen.
Kommentare
0 Kommentare
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.