Im Juni 2021 hat die FINMA die Schrauben im Krankenzusatzversicherungsgeschäft angezogen (Revision Rundschreiben 2010/3). Unter anderem müssen die Krankenversicherer bis Ende 2024 alle Verträge mit den Leistungserbringern neu verhandeln und den «Mehrwert» für die Versicherten explizit klären. Ein Gespräch von Hannes Blatter mit Matthias Schenker vom Schweizerischen Versicherungsverband SVV zur aktuellen Situation und einer Einschätzung.
Hannes Blatter: Die Krankenversicherer sind unter Druck der FINMA. Weshalb?
Matthias Schenker: Lassen Sie mich kurz etwas ausholen. Die Krankenversicherer bieten ja sowohl die obligatorischen Grundversicherung als auch freiwillige Zusatzversicherungen an, welche sogenannte Mehrleistungen zur Grundversicherung abdecken. Solche Mehrleistungen umfassen ganz klassisch die freie Arztwahl, den bevorzugten Zugang und eine freie Zimmerwahl. Zusatzversicherte erhalten aber auch mehr Wahl- und Mitbestimmungsmöglichkeiten, etwa beim Miteinbezug weiterer Ärztinnen und Ärzte oder im Behandlungsablauf. Und nicht zuletzt erhalten sie auch Zugang zu personalisierten Medikamenten und Therapieformen.
Auf dem Papier ist der Unterschied zwischen Grund- und Zusatzleistung eigentlich ganz einfach: Alles, was über den Grundleistungskatalog hinausgeht, muss privat bezahlt oder über Zusatzversicherungen abgegolten werden. Die Abgrenzung der obligatorischen Grundversicherung nach Krankenversicherungsgesetzt (KVG) und der freiwilligen Krankenzusatzversicherung nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie die Transparenz der Leistungsabrechnungen nach VVG erzeugen seit einigen Jahren Diskussionspunkte. Seit 2017 findet dazu ein institutionalisierter Austausch zwischen der Finanzmarktaufsicht FINMA und den Krankenzusatzversicherern statt. Vorortkontrollen der FINMA haben im Jahr 2020 dann aufgezeigt, dass ihre Erwartungen noch nicht erfüllt sind, sodass sie in Folge konkrete Erwartungen an die Branche formuliert hat, wie diese Mängel zu beheben sind.
Was möchte die FINMA mit ihrer Intervention erreichen?
Die FINMA möchte – und wir finden absolut zu Recht –, dass die versicherte Person stets Transparenz über die Mehrleistungen hat. Also erstens, was diese gegenüber dem Grundleistungskatalog genau beinhaltet; zweitens, welche Mehrleistungen tatsächlich bezogen wurden; und drittens, wie und zu welchem Preis diese abgerechnet werden. Konkret müssen die Versicherer also dafür sorgen, dass die Leistungserbringer hierfür einerseits einen transparenten Mehrleistungskatalog definieren und andererseits nachvollziehbare Abrechnungen erstellen. So haben die Versicherer dann die Möglichkeit, ein wirksames Controlling aufzubauen.
Der SVV hat ein Branchen-Framework verabschiedet, welches als Leitlinie für die Überarbeitung der Verträge dienen soll. Taugt dieses Instrument?
Absolut. Mit den elf im Branchen-Framework definierten Grundsätzen haben wir schon viel erreicht: Sie legen die Grundlage für neue Verträge zwischen medizinischen Leistungserbringern und Versicherern, mit denen die Mehrleistungskataloge und die transparenteren Abrechnungen ermöglicht werden. Im September 2024 waren bereits 55 Prozent der rund 2’000 betroffenen Verträge angepasst und entsprechen den Vorgaben zu Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Bis Ende 2024 wird eine weitere grosse Anzahl hinzukommen. Bei einer Marktabdeckung der beteiligten Versicherer von 96 Prozent hat das einen grossen Effekt. Aber es ist natürlich ein zeitintensiver Prozess, der eine enge Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Leistungserbringern erfordert.
Wie realistisch ist es, dass die Krankenversicherer die Verträge bis Ende Jahr bereinigt haben?
Natürlich sind die Mitglieder des SVV bestrebt, so weit wie möglich sämtliche Verträge per 1. Januar 2025 anzupassen. Aber realistisch gesehen, ist das nicht mehr zu schaffen. Der SVV und die Krankenzusatzversicherer werden deshalb auch im Jahr 2025 ihre Arbeiten entlang dem Branchen-Framework fortführen.
Und was geschieht, wenn der Fahrplan nicht eingehalten wird?
Ohne konformen Vertrag können Mehrleistungen ab Januar 2025 nicht mehr – oder zumindest nur noch beschränkt – vergütet werden. Je nach Versicherungsbedingung der betroffenen Spitalzusatzversicherung bedeutet das, dass Versicherte für die entsprechenden Kosten teilweise oder vollständig selbst aufkommen müssen. Um solche Situationen zu verhindern, ist es deshalb äusserst wichtig, dass erstens, der Leistungserbringer seine Informationspflicht wahrnimmt und Patientinnen und Patienten über nicht gedeckte Kosten aufklärt. Und zweitens ist es wichtig, dass die Versicherten vor der Behandlung eine Kostengutsprache bei ihrem Versicherer einholen bzw. mit diesem in Kontakt treten. Sollten sich dabei herausstellen, dass Mehrleistungen von gewissen Leistungserbringern nicht vergütet werden können, versuchen die Versicherer dann, den Kunden und Kundinnen ein gleichwertiges Alternativangebot zu unterbreiten, damit erst gar keine ungedeckten Kosten entstehen.
Was sind mittel- und langfristig die Folgen der Intervention der FINMA auf den Krankenzusatz-versicherungsmarkt? Die PWC spricht von «erodierenden Margen».
Wir müssen das differenziert betrachten. Denn Konkurrenz und Margendruck gehören zu einer funktionierenden Marktwirtschaft – und Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Abrechnung von Mehrleistungen tragen also dazu bei, dass diese gestärkt wird. Kritisch würde es, sollten die FINMA oder der Preisüberwacher Preise künstlich drücken wollen. In einem marktwirtschaftlichen Umfeld wie der Krankenzusatzversicherung muss die Preisgestaltung frei und die Möglichkeit, Gewinne zu erwirtschaften, erhalten bleiben. Denn ohne Gewinne werden weder Leistungserbringer noch Versicherer in die zukünftige Versorgung – also in Innovation, Infrastruktur und neue Produkte – investieren können. Dies würde das Gesundheitswesen und die Versorgung insgesamt schwächen und den Kostendruck in der Grundversicherung zusätzlich erhöhen.
Und welche Folgen hat das für die Spitäler, die sowieso bereits unter hohem finanziellem Druck stehen?
Neben der Inflation und der zunehmenden Verlagerung in den ambulanten Sektor spielt vor allem die Tarifierung in der Grundversicherung eine wichtige Rolle dabei, warum Spitäler unter finanziellem Druck stehen. Denn bei der Vergütung obligatorisch versicherter Leistungen orientiert sich die Tarifierung gemäss Gesetz an einem Benchmark jener Leistungserbringer, die die Leistungen effizient und günstig erbringen. Nach der Logik des KVG müssten Spitäler, die damit ihre Kosten nicht decken können, effizienter werden oder ihre Tätigkeit reduzieren oder einstellen. Das wird sich vermutlich weiter akzentuieren.
Aber wichtig ist zu betonen, dass die Verwendung von allfälligen Überschüssen aus VVG-Erträgen innerhalb eines Spitals, die konform zu den Eckwerten des Branchen-Frameworks erwirtschaftet wurden, weiterhin den Spitälern obliegt. Die können also weiterhin wie erwähnt Investitionen ermöglichen, von denen auch das Spital gesamthaft profitiert. Insofern muss es auch als Chance gesehen werden, dass Spitäler gezwungen sind, sich – auch in Zusammenarbeit mit den Zusatzversicherern – genauer mit ihren Mehrleistungen zu beschäftigen. Durch die entstehende Differenzierung im Markt entstehen neue Ertragsquellen für Spitäler und damit Investitionsmöglichkeiten für die Zukunft unserer Versorgung, welche uns allen, auch den Grundversicherten, zugutekommen.
Wie muss sich der Zusatzversicherungsmarkt entwickeln, damit er wieder zu einem attraktiven Wachstumsmarkt wird?
Warum wieder? Der Zusatzversicherungsmarkt hat gesamthaft keineswegs an Attraktivität eingebüsst. Auch wenn die Trennung zwischen Halbprivat und Privat in der Spitalzusatzversicherung zunehmend aufbricht: Der Zugang zu innovativen Behandlungsmethoden, ein bevorzugter Leistungszugang, die Wahl und die Verfügbarkeit der Ärztinnen und Ärzten, ausserkantonale Behandlungen und natürlich auch die Hotellerie haben für die Versicherten weiterhin einen grossen Zusatznutzen – und das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Denn gerade in einer Zeit, wo Versorgungsengpässe in der Grund-versicherung zunehmen, kann eine Zusatzversicherung einen besseren Schutz bieten.
Wichtig ist, dass sich Zusatzversicherungen auch weiterhin an die Entwicklungen im Gesundheitswesen anpassen. Zum Beispiel wird sich der Trend fortsetzen, dass Leistungen vom stationären in den ambulanten Sektor verlagert werden – getrieben durch Fortschritte in der Medizin und durch die Bedürfnisse der Patienten und Patientinnen. Mit neuen ambulanten Zusatzversicherungen wird dieser Trend aufgegriffen: Patientinnen und Patienten können auch ambulante Leistungen versichern, die von der Grundversicherung nicht oder nur teilweise bezahlt werden. Und mit Blick auf die verbleibenden stationären Behandlungen wird es künftig vermehrt modulare Angebote geben, die sich in der Leistung unterscheiden. Zusatzversicherte erhalten so die Möglichkeit, eine individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Deckung zu wählen.
Und schliesslich ist zu vermeiden, dass das Grundversicherungsniveau immer weiter ausgebaut und damit dem Zusatzversicherungsniveau angeglichen wird. Denn das verunmöglicht eine Differenzierung und damit auch daraus entstehende Gewinne. Wichtig ist mir festzuhalten, dass ich das nicht sage, weil ich Versicherern damit einen sogenannten attraktiven Wachstumsmarkt ermöglichen will: Nein, diese Gewinne benötigt es für Investitionen in unser Gesundheitswesen, für funktionierende Spitäler und für Anreize, wirtschaftlich zu arbeiten. Denn wirklich unter Druck ist unser Gesundheitssystem, nicht die Zusatzversicherungen. Und ich bin überzeugt, dass Krankenzusatzversicherungen eine ganz relevante Rolle dabei spielen, die Situation in den Griff zu kriegen.
Matthias Schenker ist Leiter des Bereichs Kranken und Unfallversicherung und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV. Zuvor war er Head of Public Affairs bei der CSS Versicherung und Leiter Ressort Politik bei santésuisse. Studiert hat Mattias Schenker Internationale Beziehungen und Wirtschaft am Graduate Institute of International Studies in Genf. Er ist verheiratet, hat zwei Söhne und wohnt in Solothurn.
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