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Wie geht «Integrierte Versorgung»? Von Erfolgsfaktoren und Stolpersteinen – ein kurzer Erfahrungsbericht

Wie geht «Integrierte Versorgung»? Von Erfolgsfaktoren und Stolpersteinen – ein kurzer Erfahrungsbericht
Von Christoph Buerkli

Integrierte Versorgungsmodelle versprechen höhere Effizienz, eine stärkere Patienten-/Klientenorientierung, bessere Ergebnisqualität, einen Mehrwert für die Mitarbeiter:innen, die Nutzung von Synergien und damit Kostenoptimierungen auf verschiedenen Ebenen. Dazu ist die Weiterentwicklung des Systems für politische Entscheidungsträger:innen geradezu eine ideale Bühne. Eigentlich eine perfekte Ausgangslage – und trotzdem kommt die Integrierte Versorgung nur schleppend voran. Ginge es nicht auch anders? Eine Selbsterfahrung aus einem erfolgreichen Projekt der Integrierten Versorgung beleuchtet zentrale Erfolgsfaktoren.

Integrierte Versorgungsmodelle stehen seit den 90er Jahren auf der gesundheitspolitischen Agenda. Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Verbesserung der Vernetzung und Koordination nötig ist, damit unser Gesundheitswesen auch in Zukunft – hoffentlich – noch bezahlbar bleibt. Auch wenn sich einiges tut, das Potenzial ist bis heute bei Weitem nicht ausgeschöpft. Liegt es an den Anreizen und Rahmenbedingungen? Oder ist der Kostendruck auf die Leistungserbringer noch zu tief? Was braucht es noch für Impulse, damit die Kantone ihre Gesundheitsversorgung mehr in Richtung «Integrierter Versorgung» lenken?

Weil darüber schon viel geschrieben worden ist, fokussiere ich meine weiteren Ausführungen nicht auf das Gesamtsystem, sondern auf ein einzelnes, aber durchaus komplexes und lehrreiches Projekt. Aus einer Froschperspektive beleuchte ich Erfolgsfaktoren aus einem Vorhaben der Spitex Stadt Luzern, in das ich mehrere Jahre in unterschiedlichen Rollen – bis Mitte 2024 als Präsident – als mitverantwortlicher Entscheidungsträger involviert war.

Seit 2021 beschäftigt die Stadt Luzern die Frage, ob die Alters- und Pflegeorganisationen in der Stadt Luzern vereint werden sollen. Auf der Basis eines parlamentarischen Vorstosses gab damals der Stadtrat bekannt, eine Fusion von Viva Luzern (rund 1200 Mitarbeiter:innen), Spitex Stadt Luzern (rund 350 Mitarbeiter:innen) sowie der Quartierhilfeorganisation Vicino Luzern ergebnisoffen zu prüfen – ganz im Sinne der integrierten Versorgung. Aktueller Stand ist, dass die beiden Organisationen Spitex Stadt Luzern sowie Viva Luzern eine vertiefte Zusammenarbeit beschlossen haben, eine Fusion ist aktuell jedoch nicht mehr in Planung, könnte aber am Ende immer noch aus der vertieften Zusammenarbeit resultieren (Luzerner Zeitung, 25.1.2025).

Rückblickend stellt sich die Frage nach den Gelingensbedingungen für Projekte der integrierten Versorgung. Aus meinen Erfahrungen sehe ich rückblickend sieben Erfolgsfaktoren:

1. Sinn und Purpose first: Nur wer den Sinn versteht und sich damit identifiziert, kann und wird sich im Projekt engagieren und über die nötige Energie und den Durchhaltewillen verfügen. Die Entwicklung und Umsetzung von Integrationsprojekten dauert mehrere Jahre, gemeinsamer Konsens über die Projektziele, deren Wirkungen und Mehrwerte auf unterschiedlichen Ebenen sind unabdingbar (z.B. für die Organisationen, für die Klient:innen und die Mitarbeitenden, für die Region). In einfacher und verständlicher Sprache formuliert schaffen die Projektziele Antrieb und Motivation bei den Verantwortungsträger:innen und können auch von weiteren Anspruchsgruppen innerhalb und ausserhalb der betroffenen Organisationen nachvollzogen werden. Zudem stärkt und festigt der gemeinsam erarbeitete Sinn das gegenseitige Vertrauen in und zwischen den strategischen und operativen Gremien sowie den Mitarbeiter:innen der von der Integration betroffenen Organisationen.

2. Co-Creation: In der Co-Creation überwinden Menschen ihre eigene Perspektive und werden offen für das «gemeinsame Neue». Sie verbinden sich, um neue Wege zu gehen und nutzen die vorhandenen Potenziale optimal. Deshalb sind weitere Erfolgsfaktoren Offenheit und Neugierde im Sinne der Co-Creation. Es braucht ein positiv besetztes, neugieriges und schrittweises aufeinander Zugehen der Organisationen. Dies auf Augenhöhe und unabhängig von Grösse, Einfluss und Macht der beteiligten Organisationen. Im Zentrum muss das Neue stehen, die gemeinsame Weiterentwicklung – ohne jedoch den Blick für die eigene Organisation und die kulturellen Gegebenheiten zu verlieren. Zudem ist ein breiter Miteinbezug der Mitarbeiter:innen und deren Mitwirkung im Prozess unabdingbar. Nur was breit abgestützt ist, wird letztlich in der Umsetzung funktionieren. Kurz gesagt: Die Betroffenen zu Beteiligten machen – «ohni Lüüt got nüt».

3. Fokus auf den Prozess, nicht auf das Ergebnis: Integrierte Versorgung kann vieles heissen und sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Es macht deshalb Sinn, den Prozess ergebnisoffen zu gestalten, die betroffenen Organisationen für ihre unterschiedliche Werte, Kulturen und Organisationsverständnisse zu sensibilisieren. Dies bedingt Offenheit, Respekt und Zeit. Gegenseitige Erwartungen müssen transparent und laufend geklärt werden, dem informellen Austausch muss sowohl in den strategischen als auch operativen Gremien sowie in der Projektgruppe und in den Teilprojekten genügend Raum gegeben werden.

4. Kommunikation, Medien und Öffentlichkeitsarbeit: Es braucht eine proaktive Kommunikation über die Projektfortschritte nach innen in die Organisationen und nach aussen in die Öffentlichkeit. Diese Kommunikation erfolgt idealerweise «aus einer Hand». Weil die Prozesse in der Projektgruppe, in den Gremien der betroffenen Organisationen, auf der politischen Ebene, in der Öffentlichkeit und bei weiteren Anspruchsgruppen jedoch typischerweise unterschiedlich schnell vorankommen, ist die Abstimmung einer adressatengerechten Kommunikation komplex und zeitintensiv. Der rechtzeitige Miteinbezug der Kommunikations-/Medienverantwortlichen ist deshalb unabdingbar.

5. Projektmanagement: Selbstredend ist ein professionelles Projektmanagement inkl. Projektzielen, Meilensteinen, Projektorganisation, Projekt- und Budgetplan usw. Gleichzeitig müssen aber auch die Spielräume genügend gross sein: Komplexe Vorhaben lassen sich nicht «einfach» umsetzen, ein agiles Projektmanagement mit inhaltlichen und zeitlichen Spielräumen ist nötig. Es braucht Justierungsmöglichkeiten damit rollende Anpassungen möglich sind, hin und wieder auch einen Marschhalt, den Mut für Pilot(teil-)projekte und für Experimente. Vielversprechend scheint das schrittweise aufeinander Zugehen durch Ausprobieren. Mögliche potenzielle «Zusammenarbeitsfelder» können beispielsweise durch die Mitarbeiter:innen diskutiert und definiert bzw. ausprobiert werden. Die Kommunikation von early wins, die Sicherung der finanziellen und zeitlichen Ressourcen bei den Mitarbeiter:innen, aber auch in den Geschäftsleitungs- und strategischen Gremien gehören selbstredend dazu. Ein hohes Engagement aller Beteiligten ist für den Projektfortschritt und für das Halten der positiven Energie (siehe Punkt 1) unerlässlich.

6. Systemisches Verständnis und Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven, vor allem auch mit Blick auf den politischen Kontext: Naturgemäss richten Projektgruppen häufig den Blick nach innen. Deshalb ist der Einbettung der beteiligten Organisationen in ihre Umfelder genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Nur so erhält der umfangreiche Miteinbezug bzw. die Einbindung von weiteren Leistungserbringern und Anspruchsgruppen genügend Gewicht (weitere Leistungserbringer/Partnerorganisationen, aber auch die Verwaltung, die Exekutive, das Parlament und die Kommissionen).

7. Kompetente, branchenerfahrene, externe Prozessbegleitung: Der unabhängige Blick von aussen ist nötig und bereichernd, die Delegation des «Projektoffices», das Einbringen von (Projekt-)Expertise der Integrierten Versorgung schaffen hilfreiche Mehrwerte. Ein Wechsel der externen Prozessbegleitung im Verlauf des Projekts kann allenfalls gezielte(re) und neue Perspektiven und Ressourcen ermöglichen. Ein punktueller Beizug von gezielter Fachexpertise (z.B. für rechtliche oder finanzielle Fragestellungen) ist in der Regel unabdingbar.

Fazit: Projekte integrierter Versorgung sind «en vogue». Sie werden in den nächsten Jahren weiterhin einen hohen Stellenwert einnehmen. Auf Grund ihrer Komplexität ist es umso wichtiger, gegenseitig von Erfahrungen zu profitieren und voneinander zu lernen. Dafür bietet unser Forschungs- und Beratungsschwerpunkt Management und Politik im Gesundheitswesen an der Hochschule Luzern – Wirtschaft eine ideale Plattform: Wir bündeln Know-How aus den Themenfeldern integrierte Versorgung, Finanzierung, Palliative Care, regulierter Wettbewerb, Qualität und Führung im Gesundheitswesen. Gemeinsam mit Auftraggeber:innen und Partner:innen entwickeln wir umsetzungsorientierte Projekte und Lösungen, die wissenschaftlich fundiert sind. Melden Sie sich, wenn Sie an einem Austausch interessiert sind!


Die auf diesem Blog veröffentlichten Beiträge spiegeln die persönlichen Meinungen und Einschätzungen der Autor:innen wider und entsprechen nicht zwingend der offiziellen Haltung der Hochschule Luzern.

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