6. Mai 2025

Dienstleistung und Beratung,

Forschung,

Gesundheitspolitik

12 Jahre Forschung und Beratung für ein besseres Gesundheitswesen

12 Jahre Forschung und Beratung für ein besseres Gesundheitswesen
Von Christine Beeler

Seit zwölf Jahren analysiert und gestaltet der Forschungs- und Beratungsschwerpunkt Management und Politik im Gesundheitswesen (MPG) an der Hochschule Luzern – Wirtschaft die Entwicklungen und Herausforderungen des Schweizer Gesundheitswesens. In einer neuen Publikation wird diese Forschungsarbeit reflektiert und ihre Auswirkungen auf Praxis und Politik beleuchtet. Im Interview sprechen die Leiter des Forschungs- und Beratungsschwerpunkts, Oliver Kessler und Matthias Wächter über zentrale Erkenntnisse, Herausforderungen und die Zukunft des Gesundheitssektors.

Matthias und Oliver, die neue Publikation blickt auf zwölf Jahre Forschungs- und Beratungsarbeit zurück. Was war das Hauptanliegen eurer Tätigkeit in dieser Zeit?

Matthias: Ein Hauptanliegen war und ist ein Beitrag für ein weiterhin solidarisch getragenes Gesundheitswesen, welches allen Versicherten einen guten Zugang zu qualitativ hochstehenden und finanzierbaren Gesundheitsleistungen gibt. Wenn es uns als Gesellschaft nicht gelingt Über-, Unter- und Fehlversorgung im Schweizerischen Gesundheitswesen wirkungsvoll anzugehen, führen die wachsenden medizinischen Möglichkeiten und steigende Ansprüche der Bevölkerung weiterhin zu einem “Immer mehr”, aber nicht unbedingt zum “Immer besser” in Bezug auf die Lebens- und Versorgungsqualität. 

Oliver: Dabei wird unsere Forschungs- und Beratungstätigkeit getragen von einer engen Zusammenarbeit mit Auftraggebern und mit Forschungs- und Praxispartnern, d.h. mit anderen Forschungseinrichtungen, Leistungserbringern, Krankenversicherern, Verbänden, der öffentlichen Hand und vielen anderen. Dieser Austausch auf Augenhöhe und die Umsetzungsorientierung waren und bleiben ein Hauptanliegen. 

Welche Forschungsergebnisse haben aus eurer Sicht den grössten Einfluss auf das Gesundheitswesen, auf einzelne Auftraggeber oder Partner gehabt? Habt ihr konkrete Beispiele für eine direkte Umsetzung in der Praxis?

Oliver: Grundsätzlich verstehen wir und unsere Team-Kolleg:innen uns als Forscher:innen, aber auch als Berater:innen und Dozierende. Immer dann, wenn wir direkt mit Organisationen und Unternehmen zusammenarbeiten, können wir nachverfolgen, ob und wie ein Projekt in der Praxis etwas verändert. Zum Beispiel sehen wir, wie sich die Organisationen oder auch einzelne Führungspersonen aufgrund unserer Zusammenarbeit verändern, wie sie die Erkenntnisse in die Praxis einfliessen lassen. Das kann auf der politischen und strategischen Ebene oder im operativen Arbeitsalltag sein. Ich habe beispielsweise während mehreren Jahren das Kantonsspital Graubünden (KSGR) bei der Entwicklung und Umsetzung ihres klinischen Risikomanagements begleitet. Über die Jahre haben sich dadurch im KSGR die Konzepte, die organisationalen Strukturen, die Prozesse und auch die Sicherheitskultur verändert. Den konkreten Effekt auf die Qualität der Versorgung, die Sicherheit der Patient:innen oder auf andere Zielbereiche des Risikomanagements ist dann wiederum schwieriger zu belegen. Dafür müssten wir weitere Forschungsprojekte durchführen.

Matthias: Ein anderes konkretes Beispiel gebe ich gerne aus unseren Projekten zu der Zukunft der Langzeitpflege und Betreuung. Diese Anliegen bilden einen Schwerpunkt des MPG-Teams, mit ihrem grossen Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsqualität vieler Menschen. Hier ist zum einen die definitive Einführung mobiler und zugleich vernetzter Palliative Care Dienste in allen Versorgungsregionen des Kantons Luzern zu nennen, zum anderen ein hochauflösendes Kostenrechnungsmodell und eine Benchmark-Plattform für die Spitex, die im Rahmen eines Innosuisse-Projekts mit den Wirtschaftspartnern Heyde und Polynomics entwickelt und 2022 auf den Markt gebracht wurden. Das war und ist aus unserer Sicht ein wichtiger Beitrag für die Integration der Langzeitpflege in EFAS.

Euer Fokus liegt schon seit vielen Jahren auf Management und Politik im Gesundheitswesen. Wie hat sich das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Bereichen in den letzten Jahren verändert?

Matthias: Das schweizerische Gesundheitswesen ist durch ein Modell des regulierten Wettbewerbs gekennzeichnet,innerhalb dessen die Balance zwischen Leistungserbringern, Versicherten bzw. Patient:innen, Sozialversicherungen und der öffentlichen Hand ständig neu auszuhandeln ist.  Hier kommt es heute häufig zu Doppelspurigkeiten, Konflikten um Einflusssphären, gegenseitigen Blockaden und Verantwortungsdiffusion. Rollenklärungen sind notwendig, mit einem wechselseitigen Geben und Nehmen in verschiedenen Handlungsbereichen. Gemeinsames Ziel sollte eine Stärkung des Qualitätswettbewerbs sein.

Oliver:  Ich würde sagen, dass in vielen Kantonen und Gemeinden, wo die Hauptverantwortung für Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung liegt, der Gestaltungswille und das Bewusstsein für die regionalen Handlungsspielräume gestiegen ist. Die Gesundheitspolitik, die öffentlichen Verwaltungen und zumindest teilweise auch das Management von Leistungserbringern ist in der Schweiz massgeblich durch den Föderalismus geprägt. Daher ist ein wichtiges übergeordnetes Ziel unserer Arbeit, die Praxis des Managements und der Politik im Gesundheitswesen evidenzbasierter zu gestalten. Das bedeutet z.B. Forschungserkenntnisse und Leitfäden für Entscheidungsträger:innen zur Verfügung zu stellen. Die Forschung der letzten Jahrzehnte – auch unsere – hat viele Erkenntnisse hervorgebracht, die den Weg in den Alltag und zur Bevölkerung finden müssen. Die zunehmende Informationsflut hat diese Aufgabe erschwert und fordert eine stärkere Koordination und Zusammenarbeit zwischen Forschung, Politik und Management.

Die Publikation über die Forschung und Dienstleistung des MPG-Teams soll nicht nur einen Rückblick geben, sondern auch Denkanstösse für die Zukunft liefern. Welche zentralen Fragestellungen seht ihr für die kommenden Jahre?

Oliver:  Das ist eine grosse Frage, denn alle Beteiligten müssen gleichzeitig viele Themen aufgreifen. In den nächsten Jahren wird bestimmt die Herausforderung im Zentrum stehen, trotz zunehmendem Fachkräftemangels überall den Zugang zu einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung sicherzustellen. So wie wir heute unterwegs sind, können wir nicht weitermachen. Wir müssen möglichst rasch die interprofessionelle Zusammenarbeit, die patient:innenzentrierte Koordination zwischen den Leistungserbringern und die integrierte Versorgung voranbringen. Dabei sollte die Qualität der Versorgung und die Verknüpfung mit anderen Politikfeldern, wie Soziales, Bildung, Wirtschaft usw., stärker in den Vordergrund rücken. Und ganz wichtig: Der Fokus muss stärker auf die Gesundheit anstatt auf Krankheit und Symptombekämpfung ausgerichtet werden. Wie können wir Prävention und Gesundheitsförderung ausbauen und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken, ohne die Bevölkerung zu bevormunden?

Matthias: Verschiedene Beiträge der Publikation spiegeln die zentrale Bedeutung, die wir unter anderem der Weiterentwicklung der Tarifstrukturen und Ausgestaltung der Tarifverhandlungen zumessen. Sie haben einen grossen Einfluss auf die erwähnten Handlungsspielräume und alltäglichen Entscheidungen. Darüber hinaus sollten, um neue Rollen und institutionelle Formen erproben zu können, Pilotprojekte gefördert und die Versorgungsforschung ausgebaut werden. Und selbstverständlich ist auch ein konstruktiver, behutsamer Umgang mit Gesundheitsdaten und den neuen technologischen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz notwendig.

Noch zum Abschluss: Was wünscht ihr euch für die Zukunft des Schweizer Gesundheitswesens?

Matthias: Häufig hervorgehoben, aber nichtsdestotrotz zentral: Den Menschen in den Mittelpunkt stellen – sowohl auf Seiten der Patient:innen als auch der im Gesundheitswesen tätigen Personen. Hier gibt es viele Fehlanreize, die sich mit steigendem wirtschaftlichem Druck noch verstärken dürften. Eine bedarfsgerechte Versorgung kann weder einer zu starren Markt- noch Planungslogik folgen, sondern muss sich an gemeinsamen Werten und Zielen orientieren und auf breit abgestützte institutionelle Regeln und Arrangements stützen. Zu den übergeordneten Zielen sollte auch eine Stärkung der Gesundheitskompetenzen und der Gesundheitsförderung gehören. Es sind beides Aspekte, die auch der Schweizerische Bevölkerungsrat in einem kürzlich erschienenen Bericht in den Mittelpunkt gestellt hat.

Oliver: Ich wünsche mir, dass sich die Politik, die Führungspersonen der öffentlichen Verwaltung und der Leistungserbringer, aber auch jede:r einzelne von uns sich seiner oder ihrer Verantwortung bewusster wird. Ich wünsche mir, dass wir auf allen Ebenen gezielter in die Gesundheit investieren und nicht vor allem über die Kosten klagen. Einerseits muss “das System” als Ganzes verbessert werden. Andererseits müssen wir alle einen Beitrag leisten, denn die Kosten der “Krankheitsversorgung” werden schlussendlich von uns allen verursacht.


Matthias Wächter ist Co-Leiter des Forschungs- und Beratungsschwerpunktes Management und Politik im Gesundheitswesen. Er ist Naturwissenschaftler und Ökonom und seit 2011 als Dozent und Projektleiter am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR der Hochschule Luzern – Wirtschaft.


Oliver Kessler ist Co-Leiter des Forschungs- und Beratungsschwerpunktes Management und Politik im Gesundheitswesen. Er ist Ökonom und Politikwissenschaftler und seit 2003 als Dozent, Forscher und Organisationsberater am IBR tätig. Seit 2024 ist er zusätzlich Co-Leiter des Interdisziplinären Netzwerks Gesundheit, in dem departementsübergreifend Lösungen zu Herausforderungen im Gesundheitsbereich entwickelt werden.

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