27. Mai 2025
Stellen Sie sich vor, eine Pflegefachfrau mit brillanten Ideen steht vor der Tür eines Start-up-Hubs – und kommt nicht rein. Drinnen: Hoodie, Pitchdeck und Kaffeeflatrate. Warum gründet nicht sie, warum gründen im Gesundheitsbereich so selten jene, die sich wirklich auskennen? Und was müsste sich ändern, damit das anders wird? Eine Einladung zum Perspektivenwechsel.
Der Gesundheitsbereich zählt zu den grössten und dynamischsten Branchen unserer Zeit. Überlastete Systeme, demografischer Wandel, chronische Erkrankungen und Digitalisierung fordern das System täglich heraus und verlangen nach frischen, praxisnahen Lösungen. Doch ein Blick auf die Gründungsszene zeigt, dort wo eigentlich die Expert:innen gefragt wären, herrscht gähnende Leere.
Rund 70 % der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen sind Frauen. Sie sind systemrelevant, erfahrungsstark, und sie wissen genau, wo es im Versorgungsalltag klemmt. Mit Erfahrung, mit dem ehrlichen Wunsch etwas zu verändern. Doch wenn es ums Gründen geht, bleiben sie aussen vor. Statt Ärzt:innen, Therapeut:innen oder Pflegenden, die ihre Versorgungserfahrung in unternehmerische Konzepte übersetzen, dominieren Informatiker:innen, BWL-Absolvent:innen und Tech-Start-ups mit Buzzword-Kompetenz.
Es liegt nicht an mangelnden Ideen. Sondern an einem System, das sich selbst für offen hält, aber nur gewisse Codes versteht:
Das Resultat: Die Menschen mit tiefstem Einblick in die Versorgungslücken stehen vor der Tür, während im Inneren Gesundheitslösungen entwickelt werden, die oft mehr Buzzword als Praxisbezug haben.
Viele Studien zeigen: Frauen gründen nicht weniger, weil sie weniger Lust hätten, sondern weil sie seltener unternehmerische Bildung erhalten, weniger Rollenvorbilder haben, in einer Förderlandschaft agieren, die ihre Präferenzen ignoriert und in einem Umfeld arbeiten, das „Care“ zwar feiert, aber selten finanziert.
Ach ja, und dann wären da noch die berühmten Pitches: Studien zeigen, dass Investor:innen tendenziell Männern zutrauen, visionär zu skalieren. Frauen hingegen sind – so die Vorstellung – sorgfältig im Verwalten. Ganz nach dem Motto: „Don’t pitch like a girl.“
Und dann? Dann bleibt der Pflegeberuf eben unterbezahlt. Der Fachkräftemangel ungelöst. Und der „digitale Fortschritt“ entwickelt neue Tools, aber selten neue Perspektiven. Dabei gäbe es Alternativen. Wenn man nur wollte.
Ein ermutigendes Gegenbeispiel ist das Zürcher MedTech-Start-up b-rayZ. Gegründet von einem Team aus Radiolog:innen und Data Scientists, zeigt b-rayZ, wie medizinische Expertise, technologische Innovation und unternehmerischer Mut zusammenspielen können. Ihre KI-gestützte Software zur Brustbildgebung wird bereits in mehreren Kliniken eingesetzt. Ihr Ziel: Die Diagnostik von Veränderungen des Brustgewebes zu verbessern und die Qualität der Versorgung zu erhöhen.
b-rayZ steht für das, was im System oft fehlt: Gesundheitsfachpersonal, das die Struktur des Gesundheitswesens mitgestalten wollen. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie fundierte Fachkenntnis zum Motor für echte Innovation werden kann.
Was wäre, wenn nicht die Gründer:innen ins System «Start-up“ passen müssten, sondern das Start-up-System an die Gründer:innen angepasst würde? Wenn wir user-centricity nicht nur auf App-Oberflächen, sondern auf ganze Innovationsökosysteme anwenden würden? Wenn Start-up-Förderung an Hochschulen nicht nur Techies ansprechen würde, sondern auch Hebammen, Ergotherapeut:innen und Sozialarbeiter:innen?
Was wir brauchen, ist keine weitere Gründungs-Challenge mit Preisgeld. Sondern ein neues Narrativ: Unternehmertum als Versorgungsgestaltung. Als Brücke zwischen Beruf und Berufung. Als Chance für jene, die nicht nur Ideen, sondern auch Herzblut und Kontakt mit den Zielgruppen haben.
Wenn wir ernsthaft Innovation im Gesundheitswesen wollen, sollten wir nicht die lautesten Stimmen fördern, sondern die klügsten Perspektiven. Und manchmal kommt die eben nicht mit PowerPoint und Businessplan, sondern mit Nachtschicht und Verzweiflung. Health Care Entrepreneurship ist zu wichtig, um es den Betriebswirtschaftler:innen und Techies allein zu überlassen. Es ist Zeit, die Türen für die wahren Expert:innen zu öffnen.
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