Finanzierungsmodelle,

Leistungserbringer,

Tarifstruktur

Können Management und Politik die Gesundheit gefährden?

Können Management und Politik die Gesundheit gefährden?
Von Oliver Kessler

Herzlich willkommen zum ersten Beitrag des Blogs «Management und Politik im Gesundheitswesen» (MPG). In einem Interview in der Luzerner Zeitung vom 17. August 2024 habe ich aktuelle Fragen zu Herausforderungen im Schweizer Gesundheitswesen beantwortet. Spital-Krise, Tarife, Fallpauschalen, EFAS, Wettbewerbsfragen und die Digitalisierung werden hier kurz angetippt.   

Viele Spitäler kämpfen derzeit mit Millionen-Verlusten, und das aus mehreren Gründen. Ein Hauptproblem liegt bei den finanziellen Rahmenbedingungen. Spitäler retten Leben und erbringen wertvolle Leistungen für uns, die heutzutage oft nicht kostendeckend finanziert werden. Die Fallpauschalen und Tarife bilden die tatsächlichen Kosten nicht immer ab, insbesondere wenn sich die Kostenstrukturen durch Inflation und andere Faktoren rascher verändern als die Preise. Die heutige (zumindest partielle) Unterfinanzierung der Spitäler macht es auch bei gutem, kostenbewusstem Management und hoher Professionalität der Gesundheitsfachleute immer schwieriger, rentabel zu arbeiten und gleichzeitig sowohl eine hohe Behandlungsqualität als auch die Patientensicherheit sicherzustellen. Hinzu kommt, dass der Fachkräftemangel weiter zunimmt und die Spitäler – gemeinsam mit anderen Akteuren, die ich in der Verantwortung sehe – dringend verstärkt in die digitale und technologische Entwicklung investieren sollten. Sonst gefährden Management und Politik tatsächlich die Gesundheit. 

Tarife und Finanzierungsmodelle werden in der Schweiz nicht nur fachlich und wissenschaftlich diskutiert, sondern vor allem politisch verhandelt. Dies hat langwierige politische Prozesse zur Folge. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist die geplante Reform zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS), über die wir am 24. November 2024 abstimmen werden. Doch es gibt noch viel zu tun, wenn wir sicherstellen wollen, dass Spitäler und andere Leistungserbringer zukünftig für qualitativ hochstehende Leistungen angemessen bezahlt und die Anreize richtig gesetzt werden. Dabei müssen wir achtsam sein. Voltaires Aussage «Das Bessere ist der Feind des Guten» darf nicht wahr werden. Immer wieder gilt es, mit machbaren und politisch mehrheitsfähigen Lösungen zufrieden zu sein, anstatt notwendige Reformen auf eine noch längere Bank zu schieben.

Oft wird auch im Gesundheitswesen nach mehr Wettbewerb und weniger Staat gerufen. Doch leider sind gerade die Diskussionen über Gesundheit und deren Kosten oft ideologisch und moralisch aufgeladen. Nur schon von der Logik her ist die Gegenüberstellung von Staat (Gesetze/Vorschriften) und Markt (Wettbewerb) falsch. Dass es «Vorgaben» und gesetzliche «Rahmenbedingungen» geben muss, bestätigen alle, die ernsthaft argumentieren. Gerade auch bei diesem Fabelwesen namens Gesundheitswesen, welches kaum zu bändigen ist. Wir sollten uns als Bürger:innen und als Fachleute viel öfter die Frage stellen, WARUM wir etwas so oder anders regeln respektive finanzieren wollen und welche WIRKUNG eine neue, andere Regelung (z.B. Finanzierung) bei den einzelnen Menschen und in der gesellschaftlichen Systemdynamik hat. Beim regulierten Wettbewerb im Gesundheitswesen muss immer die Frage beantwortet werden, wie sinnvoll und zweckmässig der Wettbewerb oder eben eine konkrete Regelung ist. Ein regulierter Wettbewerb, der auf realistischen Kosten und evidenzbasierten Qualitätsindikatoren basiert, könnte die Leistungen der Spitäler vergleichbar(er) machen und würde eher zu kontinuierlichen Verbesserungen führen. Aber dafür brauchen wir verlässliche Qualitätsdaten (im doppelten Sinn), die auch tatsächlich genutzt werden können und dürfen, um daraus die richtigen Erkenntnisse abzuleiten.

Der heutige, nicht wirklich funktionierende Preis- respektive Kostenwettbewerb müsste deutlich transparenter werden, um wirkungsvoll zu sein. Es müssten z.B. auch die Vergütungen gemeinwirtschaftlicher Leistungen und die Beteiligungen an Investitionskosten durch die Kantone offengelegt würden. De facto sind dies – wenn auch oft wichtig für eine angemessene Versorgung – versteckte Subventionen, die den sogenannten Wettbewerb «verfälschen», sofern sie nicht transparent ausgewiesen werden.

In der Digitalisierung hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich nach wie vor hinterher. Ein flächendeckendes, leistungsfähiges elektronisches Patientendossier (EPD) oder andere breit eingesetzte digitale Plattformen gibt es immer noch nicht. Das föderalistische Gesundheitssystem und die vielen Partikulärinteressen verzögern wichtige und dringende Entwicklungen. Oft stehen uns auch fehlender individueller oder politischer Wille vor dem Glück. Doch mit strategischen Programmen wie DigiSanté könnte auf Bundesebene Bewegung in die digitale Transformation kommen. Ich bin hoffnungsvoll, doch noch nicht optimistisch. Auch bei den Kantonen (z.B. Luzern) und den Leistungserbringern (z.B. LUKS) tut sich einiges. Wir müssen nur wollen, denn wir können und dürfen schon länger. Am Schluss soll die Bevölkerung als Ganzes und jede:r einzelne Patient:in profitieren.

Ja, Management und Politik können die Gesundheit gefährden. Nichts tun aber ebenso. Die Diagnosen sind in vielen Bereichen klar und eindeutig. Doch die «Therapie» respektive die Umsetzung der wissenschaftlichen und politischen Erkenntnisse ist anspruchsvoll. Alle Akteure des Gesundheitswesens und der Politik sollten mutiger, innovativer und evidenzbasierter sein. Doch nur gemeinsam mit den Patient:innen und der Bevölkerung ist es möglich, ein effizientes, nachhaltiges und solidarisches Gesundheitswesen zum Fliegen zu bringen. Gemeinsam ist es realistisch, Bewährtes zu pflegen und gleichzeitig neue Wege zu finden, Ungleichheiten in der Versorgung zu verringern und die Gesundheit der Bevölkerung aktiv zu fördern. Auch Zuversicht und Hoffnung sind wichtig für die Gesundheit. 

Das Interview mit Oliver Kessler lesen Sie hier: «Das wäre grossartig» – Experte der Hochschule Luzern empfiehlt Qualitätswettbewerb für Spitäler», 17.8.2024 (PDF)

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.

Pin It on Pinterest