Schlagzeug-Schenkel gegen die Stille. Student Alen Hodzic erzählt, wie ihn die Flucht aus Bosnien noch heute musikalisch prägt.
Alen Hodzics Kindheit war alles andere als leichte Kost: Geprägt von der Nachkriegszeit, fand der bosnische Drummer Zuflucht in der Musik.
«Jazz-Schlagzeug im Bandkontext spielte ich das erste Mal an meiner Aufnahme- prüfung.»
Alen Hodzic ist still. Sehr still. Das hat seine Gründe: In den Überresten des Bosnienkriegs, an dessen vorderster Front sein Vater kämpfte, fand sich eine ganze Generation orientierungslos. «Zukunft existiert nicht in Bosnien. Die Zeit steht still», spricht Hodzic, der in Sanski Most aufgewachsen ist, dieses dunkle Kapitel seines Lebens an. Konträr dazu half die Musik: Der Sound von AC/DC, Deep Purple und Black Sabbath – roh und kratzig, wie er es mag – bot ihm als Jugendlicher einen wichtigen Input. Hodzic begann, Gitarre zu spielen und wechselte dann zum Schlagzeug. Doch Geld für das Erwerben eines Instruments besassen seine Eltern nicht. So begann er, auf seinen Oberschenkeln zu üben, die er grün und blau trommelte: «Noch heute wächst kein Haar an dieser Stelle auf meinen Beinen», meint Hodzic. Sieben Jahre später lieh ihm ein Freund schliesslich das nötige Geld für ein Drumset. So konnte der damals 15-Jährige endlich seine Wut rauslassen, denn wütend war er oft. Es gab Wochen, da sprach er mit niemandem – weder mit der Familie noch mit Freunden. In dieser Zeit begann er auch zu stottern, wenn er sozial interagieren musste. Dafür kommunizierte der Bosnier über sein Instrument, spielte in Rock-, Folk- und Metal-Bands. Aber niemals Jazz; den gab es im Balkan nämlich nicht.
Perspektive Liebe
Eine der zahlreichen Touren des jungen Mannes bedeuteten schliesslich den Wendepunkt: Während eines Konzerts zwinkerte ihm ein Mädchen zu, das sich im darauffolgenden Gespräch als Dalila vorstellte. Die Schweizerin war damals zu Besuch in Bosnien und hatte sich vom ersten Moment weg in Hodzic verliebt. Sie erkannte auch, dass er Hilfe – sprich eine Perspektive – brauchte und nahm ihn 2016 in ihr Heimatland mit, wo er an einem Integrationsseminar erfuhr, dass sein Abschluss in der Schweiz anerkannt wird. Noch im gleichen Jahr besuchte der Schlagzeuger die Info-Tage der Jazz-Abteilung der Hochschule Luzern, obwohl er noch nicht einmal Noten lesen konnte. «Notenlesen kann man lernen», wurde er jedoch vom Schulleiter beruhigt. Was Hodzic denn auch tat: Neben dem Blattlesen – die ungeliebte Tätigkeit nahezu aller Jazzstudierenden – musste er sich auch mit der Sprache des Jazz von Null auf vertraut machen. Jazz-Schlagzeug im Bandkontext spielte er das erste Mal an seiner Aufnahmeprüfung.
John Coltrane: Vergangenheit und Gegenwart
John Coltrane ist hierbei ein Bindeglied seiner Vergangenheit mit dem Jetzt. Die schnellen Linien des weltberühmten Saxofonisten untermalen seinen Alltag an der Jazzschule, während der schroffe Klang ihn an seine Kindheit erinnert. Heute strebt Hodzic eine professionelle Musikerkarriere an, die ihm Freiheit schenken soll. Er wolle einfach spielen, egal welches Genre, welcher Kontext, bekräftigt der heute 27-Jährige dieses Unterfangen. «Beim Spielen bin ich komplett ich selbst», meint er und fährt fort: «Ich werde immer ausgelacht, wenn ich sage, dass ich wie Charlie Watts, der Drummer der Rolling Stones, spielen will. Dieser ist bei weitem nicht der beste Techniker, aber er spielt grossartig mit seinen Bandkollegen zusammen». Die britische Gruppe, welche seit bald 60 Jahren besteht, hat für Alen Hodzic aber noch eine tiefere Bedeutung: «Eine Band muss wie eine Ehe sein – und ich suche noch nach meinen Rolling Stones.»
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