Jazz-Rock-Gitarrist mit Jura-Diplom
Kalle Kalima ist selbst in der Jazzwelt eine Ausnahmeerscheinung. Energie und Vielseitigkeit zeichnen den deutsch-finnischen Gitarristen aus. Und bilden eine Musikbiografie, die es in sich hat.
Von Stoph Ruckli
«Warte mal! Guck mal! Schau mal!» Wer bei Kalle Kalima Unterricht nimmt, hat Phrasen wie diese wohl des Öfteren gehört. Wenn den finnischen Gitarristen eine Idee packt, legt er los, egal ob im Gespräch oder am Instrument. In diesen Momenten ist eine nahezu unendliche Power zu spüren, die sich aus Kreativität, Leidenschaft, Vielseitigkeit, aber auch Hartnäckigkeit und Beständigkeit zusammensetzt. Und die den Menschen wie Musiker Kalima ausmacht. «Ich bin einfach schon mit viel Energie geboren worden», meint der Finne dazu und steigt gleich selbst in seine Biografie ein.
Berliner Erleuchtung
Geboren in Helsinki, wächst Kalima mit Rock, Klassik und Jazz auf, lernt neben Englisch und Finnisch zusätzlich Russisch sowie Schwedisch in der obligatorischen Schulzeit – bis heute kann er schwedische Zeitungen lesen. Nach dem Abschluss folgt ein Jurastudium mit Diplomabschluss – parallel zum Musikstudium. «Das war für mich ein Prozess, ein Herausfinden», kommentiert Kalima diese Zeit. «Im Musikstudium war ich ausserdem einer der Schlechtesten, weshalb ich wahnsinnig viel üben musste. Aber Musik war meine Leidenschaft und ich wollte es halt wirklich wissen.» Ein Austauschjahr 1998 führte ihn nach Berlin, wo er eine Art Erleuchtung erlangte: Die Stadt zeigte ihm erstmals, dass es möglich war, von alternativer Musik zu leben. Und: «Berlin hat mich gepusht. Es gibt sehr, sehr viele Musiker*innen hier, die viel investieren, und vielleicht bin ich deswegen so geworden.» In der Folge wanderte Kalima 2003 nach Deutschland aus, wo er bis heute lebt und arbeitet. Zu Beginn meistens in der Funktion des Freelancers: Als wichtige Zusammenarbeiten bezeichnet der finnische Gitarrist beispielsweise jene mit Landsmann und Afrobeat-Saxofonist Jimi Tenor, dank dem er mit Tony Allen (u. a. Drummer & Musical Director von Fela Kuti) zusammenarbeitete. Oder Kollaborationen mit Greg Cohen (Tom Waits, John Zorn), Marc Ducret sowie John Schröder (Der Rote Bereich, Chet Baker), seinem einstigen Lehrer in Berlin, welcher ihn unter anderem im Rahmen der gemeinsamen Formation Momentum Impakto in die Szene einführte. Um nur einige zu nennen, denn im Gespräch (und nach kurzer Online-Recherche) tauchen haufenweise weitere klingende Namen auf.
Musikalischer Tausendsassa
Kalle Kalima als Musiker ist denn auch ein Phänomen. Diversität lautet die Devise: Der Gitarrist kann fliegend wechseln zwischen Jazz-Standards, Freier Improvisation, Pop, Rock, Volksmusik oder gar Oper. Klima Kalima, Kalimas einstiges Abschlussprojekt, das bis heute besteht, fasst sein Spiel gut zusammen: Flageolett-Melodien und rhythmische Spielereien wie Kicks oder Verschiebungen treffen auf Kontraste sowie plötzliche Wechsel. Vom freien Part mitten in ein Prog-Rock-Solo oder einen Swing-Part , bestens dokumentiert auf der 2022 veröffentlichten Platte «Live on Planet Berlin». «Ich war schon immer breit interessiert», kommentiert Kalima seine Vielseitigkeit. Ein praktischer Umstand, der ihm 2016 eine Echo-Nomination in der Kategorie «Jazz-Gitarre» einbrachte. Weitere Referenzen bilden das Werk «High Noon» (feat. Greg Cohen & Max Andrzejewski), worauf Kalima finnische Volksmusik und Americana mischt. Oder «Flying Like Eagles»: ein Album, das mit kongenialen Covers von Stücken wie «Hotel California» aufwartet und laut dem Gitarristen «nach nur einer gemeinsamen Probe eingespielt wurde», zusammen mit Knut Reiersrud (g), Phil Donkin (b) und Jim Black (dr). Weiter verfasste Kalima gar eine Bearbeitung von Henry Purcells Oper «Dido und Aeneas», die er mit der Schweizer «Grand Prix Musik»-Trägerin Erika Stucky im blütenweissen Anzug in der Opéra de Lyon uraufführte.
Helsinki-Berlin-Luzern
Wichtige Eckpfeiler sind aber auch Die glorreichen Sieben unter Bandchef Alfred Vogel, im weitesten Sinne eine Neil-Young-Coverband, und Johnny La Marama, die afrikanische Volksmusik, Jazz und Freie Improvisation mischen, was dem Finnen gar den Übernahmen «Euro-Marc Ribot» einbrachte. Und schliesslich Andreas Schaerers A Novel of Anomaly, Oliwood mit Frank Gratkowski und Klima Kalima-Drummer Oli Steidle sowie KUU!, ein Quartett, dem neben Kalima Christian Lillinger (dr), Jelena Kuljić (voc) und Frank Möbus (g) angehören. Letzterer, seines Zeichens Gitarrendozent an der Hochschule Luzern – Musik, ist der Grund, warum Kalima nach Luzern gelangte. Konzerte in der Schweizer Leuchtenstadt wurden nämlich mit Workshops an der Jazzschule kombiniert, und als der legendäre Gitarrist und Mitgründer Christy Doran sein Amt als Gitarrendozent abgab, erhielt Kalima 2017 dessen Prestigestelle am Institut für Jazz und Volksmusik. Auf den Irland-Schweizer folgte also ein Finnland-Deutscher. «Mich hat es interessiert, mit jungen Menschen zu arbeiten und von ihnen zu lernen», gibt letzterer als einen Beweggrund seiner Bewerbung an. Aber auch, dass er an einem Punkt sei, wo er das weitergeben möchte, was er gelernt hätte: «Das Beste, was du an einer Akademie lernen kannst, ist Flexibilität. Wir lernen, zu improvisieren und in unterschiedlichsten Situationen klarzukommen», so Kalima.
«Musiker*in zu sein, ist Privileg»
Wer ihn an der Hochschule in Luzern erlebt, nimmt einerseits einen entspannten oder besser: coolen Menschen wahr, der sich zwar nie so wirklich in die Karten schauen lässt, aber stets wohlwollend-interessiert bleibt. Andererseits ist Kalima ein Powerhaus, dessen Energie durchaus überfordern kann – stellenweise sogar sich selbst, wie er eingesteht: «Die ersten Jahre in Luzern waren sehr intensiv, seit Corona gehe ich es entspannter an.» Zu Beginn seiner Lehrtätigkeit sah eine Unterrichtseinheit des Finnen nämlich durchaus wie folgt aus: am Morgen in Berlin den ersten Flieger Richtung Schweiz nehmen, dort den ganzen Tag unterrichten, bis in die Nacht hinein. Und tags drauf frühmorgens in den Zug nach Lyon steigen oder ins Flugzeug auf eine Kanada-Tournee. Überhaupt ist Kalima viel unterwegs auf der ganzen Welt, hat neben Nordamerika auch in Südamerika sowie ganz Europa gespielt und sogar in Entwicklungsländern. In diesem Kontext betont er sein Motto: «Egal, wo du bist, mach einfach das Beste draus» und führt aus: «Musiker*in zu sein, ist Privileg. Drum muss man auch mal was in Kauf nehmen.»
Segel-Fan und Karateka
Doch selbst bei einem Kalle Kalima gibt es Grenzen, die er durchaus benötigt: «Ohne meine tolle Familie hätte ich wohl übertrieben – sie hilft mir, Balance zu finden». Die Familie, das sind seine Frau und die beiden Kinder des Paars. Dabei gilt die Abmachung, dass der Gitarrist an höchstens 100 bis 120 Tagen unterwegs sein kann. «Wenn ich nicht reise, übernehme ich die familiären Pflichten –eine Frage der Organisation», kommentiert er diese gemeinsam getätigte Entscheidung. Jeden Sommer geht’s ausserdem nach Finnland in die Ferien, Bekannte und Verwandte besuchen sowie Segeln, eines seiner Hobbys. Ein anderes: Seit elf Jahren ist der 1973 geborene Kalima begeisterter Karatekämpfer. Im online getätigten Interview hockt er denn auch in einer pumpenvollen Berliner Bar und beantwortet seelenruhig Fragen. Dann aber muss er weiter: Kampfsporttraining, Energie ablassen. Genug davon hat er ja.
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