3. Oktober 2022

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Wie Videoberatung für komplexe Geschäfte im Banking funktionieren kann – das Beispiel UBS

Von Prof. Dr. Andreas Dietrich

Videotelefonate sind in der Schweiz verbreitet. Bei Schweizer Banken wird die Videoberatung aber wenig genutzt. Die UBS beweist nun aber, dass dieser Touchpoint mit der richtigen Strategieumsetzung von den Kund:innen auch (oder gerade) für komplexe Beratungsdienstleistungen im Bereich Anlage-, Finanzierungs- und Vorsorge-Geschäfte geschätzt und genutzt wird. Das sogenannte Remote Sales Advice Team von UBS ist in den letzten 12 Monaten stetig gewachsen. Im heutigen Blog zeige ich auf, warum bei UBS funktioniert, was sich bei vielen anderen Banken nur zögerlich entwickelt.

Videoberatung in der Finanzindustrie

Rund 29 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer führen gemäss einer Umfrage von Moneyland (in unterschiedlicher Häufigkeit) Video-Telefonate. Auch im Banking gibt es verschiedene Anwendungsfälle, bei denen die Kommunikation mit Video eingesetzt werden kann. Dazu gehören beispielsweise:

  • Zuschaltung eines Experten im Beratungsgespräch: Gerade in kleineren Filialen sind oft nur „generalistische“ Kundenberater anwesend. Hat ein Kunde einen spezifischen Beratungsbedarf, zum Beispiel zu Vorsorgelösungen, so kann ein Spezialist (per Video) eingeladen werden. In der Schweiz bietet dies beispielsweise die Basler Kantonalbank an (vgl. Blog vom 19.09.2016).
  • Co-Browsing auf der Webseite / im e-Banking. Dieser Fall wird von verschiedenen Call-Center von Banken angeboten, beispielsweise um dem Kund:innen etwas zu zeigen.
  • Videoterminal in der Selbstbedienungs-Zone: Bei diesem Anwendungsfall wird in der Lobby oder in der Selbstbedienungs-Zone einer Filiale ein Videoterminal installiert. Darüber können Kundinnen und Kunden per Video mit dem Callcenter sprechen. Gerade in Filialen, die nur noch halbtags oder gar nicht mehr besetzt sind, kann auf diese Weise dem Kunden eine Kontaktmöglichkeit gegeben werden.
  • Videoidentifikations-Verfahren: Dieser Anwendungsfall ist technisch auf allen Kanälen einsetzbar und ermöglicht die rechtskonforme Identifikation des Kunden als Ersatz für eine Kundenunterschrift (bzw. deren Beglaubigung).

Interessant finde ich vor allem die Videoberatung von Kundenberaterinnen und Kundenberatern zu komplexeren Beratungsthemen. Auch oder gerade für anspruchsvollere Beratungen eignet sich die Videoberatung aus meiner Sicht nämlich sehr gut. Der Vorteil für die Kundschaft ist, dass sie sich den Weg zur Filiale sparen und auch von erweiterten „Öffnungszeiten“ profitieren können. Gemäss einer Studie von BCG in 16 ausländischen Märkten präferieren schon heute 27 Prozent der Kund:innen bei komplexen Geschäften reine Videoberatungs-Leistungen (zusätzlich wünschen sich 21 Prozent der Kund:innen einen Mix zwischen persönlichen Treffen und Videoberatung).

Abbildung 1: Präferierter Touchpoint für komplexe Geschäfte in 16 europäischen Ländern (Quelle: BCG)

In der Schweiz wird Videoberatung bisher – und «trotz» verschiedener positiver Erfahrungen während der Pandemie – noch immer spärlich benutzt. Dies hatte ich bereits vor geraumer Zeit in einem Blog aufgezeigt . Die UBS beweist nun aber eindrücklich, dass man mit der richtigen Strategie innerhalb eines Jahres diesen Touchpoint enorm stärken kann.

Komplexe Geschäfte über Video

Grundsätzlich verfolgt UBS eine Multikanal-Strategie. Neben den klassischen Self-Service Angeboten (E-Banking, Mobile Banking, Geldautomat, etc.) ist das Contact Center in erster Linie für einfachere Anliegen da. Für komplexere Themen wie Anlegen, Vorsorgen oder Finanzieren können die Kund:innen seit rund einem Jahr zwischen der Videoberatung des Remote Sales Advice (RSA-) Team (siehe Abbildung 2) und dem klassischen physischen Treffen in der Geschäftsstelle wählen.

Abbildung 2: Komplexe Beratungsthemen über Video bei UBS (Quelle: UBS Website)

«Nach einem Jahr arbeiten im Videoberatungs-Team bereits über 100 Mitarbeitende.», sagt Arnoud Rozendaal, Leiter RSA. Warum ist dieser Bereich bei der UBS so rasch gewachsen, derweil bei anderen Banken nur wenige Kund:innen Videoberatung für komplexe Geschäfte nutzen?

Die Antwort liegt in meinen Augen in der konsequenten Umsetzung dieser strategischen Initiative bei UBS. Als erstes wurden gewisse bislang den verschiedenen Geschäftsstellen zugeteilte Kund:innen aktiv in das RSA-Team umgeschichtet. Mit Hilfe von Algorithmen wurden in jeder Region jeweils mögliche Kund:innen identifiziert, welche das Angebot einer Videoberatung nutzen könnten. Hierfür hat man sich einerseits auf digital affine Kund:innen fokussiert, andererseits aber auch auf Kund:innen, welche schon seit längerer Zeit keinen physischen Kontakt mit Kundenberater:innen auf UBS-Geschäftsstellen mehr hatten («inaktive» Kund:innen). Die Kund:innen wurden vom RSA-Team telefonisch kontaktiert, um sie auf das Angebot mit der Videoberatung aufmerksam zu machen und um gewisse Kund:innen generell wieder zu aktivieren. Möchte ein «umgeteilter» Kunde oder eine Kundin weiterhin in der Filiale von «seinem» Kundenbetreuer:in betreut bleiben, ist dies auch weiterhin und jederzeit möglich.

Das Verschieben vieler Kund:innen in das neue Team wurde also nicht von den Kund:innen gesteuert. Vielmehr hat die UBS die Umteilung sehr systematisch und konsequent vorgenommen. Das ganze Vorgehen hat gemäss Aussage von Simone Westerfeld, Head Personal Banking bei UBS, dazu geführt, dass viele Kund:innen wieder aktiviert werden konnten. Zudem hätten viele Kund:innen positiv auf die Kontaktaufnahme reagiert.

Das Angebot von Videoberatung nutzen aber nicht nur bestehende Kund:innen. Über verschiedene Online Leads via die UBS-Website wird auch mit potenziellen Neukund:innen durch das Outbound-Team Kontakt aufgenommen. Dabei wird die Triage gemacht, ob diese Kund:innen eine (allfällige) Beratung lieber über Videoberatung oder im Rahmen eines Gesprächs in einer Geschäftsstelle machen wollen.

Weitere Fakten zur Videoberatung bei UBS

  • Die Mehrheit der Mitarbeitenden im RSA-Team haben von den UBS-Geschäftsstellen ins Team gewechselt. Die entsprechenden Mitarbeitenden müssen dabei nicht nur fachlich einen gewissen Leistungsnachweis erbringen. Zusätzlich werden diese Mitarbeitenden auch dazu ausgebildet, professionelle und gute Videoberatungen durchzuführen. Gemäss UBS sind Teilzeitarbeit und Home-Office möglich. Gemäss Webseite sucht UBS für jeden Standort noch 20-30 Mitarbeitende.
  • Die Berater führen pro Tag mehrere Kundengespräche. Dabei gibt es auch im RSA-Team einen «Case Ownership». Das heisst, wenn eine Kundin oder ein Kunde einen Folgetermin haben möchte, wird er wieder von der gleichen Person beraten.
  • Nach jedem Kundengespräch findet eine Auswertung der Videoberatung statt. Gemäss dem Net Promoter Score ist RSA auf grossen Anklang gestossen. Eine deutliche Mehrheit der Kunden würde die Videoberatung Freunden und/oder Familie weiterempfehlen.
  • Mittelfristig werden sich die einzelnen Kundenberater:innen von UBS auf eines der drei Themen (Anlagen, Finanzieren, Vorsorgen) fokussieren und spezialisieren.
  • Die bisherige durchschnittliche Gesprächsdauer ist gemäss Angaben von UBS 40 bis 60 Minuten.
  • UBS achtet bei Videoberatungen darauf, dass Kund:innen tendenziell von Kundenberater:innen beraten werden, die zu ihnen passen («Berater:in Matching»). 
  • Schweizweit baut die UBS in grösseren Städten fünf Remote Advice Standorte auf (siehe Abbildung 3)

Abbildung 3: Derzeitige und geplante Standorte der Remote Advice Hubs

  • Die Öffnungszeiten der Remote Advice Hubs sind etwas länger wie diejenigen einer klassischen Filiale. Die Videoberatungsgespräche können von Montag bis Donnerstag von 08:00 bis 20:00 Uhr und am Freitag von 08:00 bis 17:30 Uhr durchgeführt werden. Ein entsprechendes Angebot am Samstag wird – aus meiner Sicht etwas überraschend – (noch) nicht angeboten.
  • In der technischen Umsetzung ist wichtig, dass der Kunde nicht zusätzliche Software installieren muss. Die Funktionalität der Videoberatung darf lediglich einen Mausklick entfernt sein. Als Lösung wird daher bislang Zoom eingesetzt. Die Kund:innen erhalten per E-Mail die Terminbestätigung und einen Link, über den diese das Gespräch starten können. Während des Gesprächs kann die Kundschaft die Berater:innen per Video sehen (und der Bildschirm wird geteilt). Die Kundschaft kann selbst entscheiden, ob sie ihre Kamera auch einschalten möchten.
  • Die Terminvereinbarung für eine Beratung von komplexen Geschäften funktioniert derzeit nicht online («Rufen Sie uns an oder verlangen Sie einen Rückruf für eine Terminvereinbarung.»). Als Begründung wird von Seiten UBS angegeben, dass derzeit keine technische Lösung bereitsteht und die Triage-Funktion beim ersten Anruf wichtig sei.
  • 25% der Beratungsgespräche finden nach 18 Uhr (und damit ausserhalb der «regulären» Filialöffnungszeiten) statt. Bislang wurden rund 15’000 Beratungsgespräch über Video durchgeführt.

Fazit

Kund:innen ändern zunehmend ihr Kanalnutzungsverhalten. Digitale Touchpoints und hybride Beratungskonzepte gewinnen an Bedeutung. Aus meiner Sicht gibt es eine substanzielle und – nicht zuletzt durch die Covid-19 Pandemie – wachsende Kundengruppe, die nicht mehr unbedingt die Filiale nutzen möchte, aber weiterhin qualitativ hochwertige und persönliche Beratung benötigt. Genau für diese Kund:innen scheint das Videoberatungs-Angebot (Wegersparnis, Erreichbarkeit ausserhalb Filialöffnungszeiten) relevant(er) zu werden.

Wichtig zu verstehen ist, dass viele Kund:innen im Banking (noch) nicht proaktiv nach einer Videoberatungs-Möglichkeit fragen. Wie die UBS aber zeigt, kann das Potenzial dieser Kundschaft möglicherweise besser ausgeschöpft werden, wenn man einen konsequenten und auch strategisch hoch priorisierten Ansatz wählt und Kund:innen proaktiv angeht.

Zentral ist dabei die verstärkte Nutzung von Data Analytics im Multikanal-Management. Wer dank Data Analytics und Machine Learning versteht, welche (auch inaktive) Kund:innen über welchen Touchpoint angesprochen werden können, ist gegenüber der Konkurrenz in Vorteil und kann auch die Ertragspotenziale besser ausschöpfen.

Die Herausforderungen in diesem Projekt sehe ich vor allem in den Bereichen Change Management und Leadership. Für einige Filialmitarbeitende werden nämlich wohl «gefühlt» Kund:innen «weggenommen». Die entsprechenden Befindlichkeiten müssen gut abgeholt und auch kommunikativ begleitet werden. Auch das Anreiz-Modell muss gut aufgesetzt werden (gehören diese Kund:innen einem separaten Profit-Center oder werden die Erträge immer noch einer Region zugeteilt?). Zudem ist es aus Organisationssicht wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen den Filialen und dem Videoberatungs-Team in beide Richtungen gut funktioniert und allen Beteiligten der Gesamtnutzen für die Bank ersichtlich wird.
Schliesslich ist es ja die Aufgabe einer jeden Bank, die Kundenbedürfnisse ins Zentrum zu stellen und für jeden Kunden und jede Kundin herauszufinden, für welchen Anwendungsfall welcher Touchpoint ideal ist.

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