7. November 2022

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Ist das IT-Sourcing für Retailbanken im Umbruch?

Von Dr. Felix Buschor

Seit vielen Jahren hat eine grosse Zahl der Retailbanken einen wesentlichen Teil der IT-Leistungen an Dritte ausgelagert. Die entsprechenden Sourcing-Strategien der Banken haben sich bewährt und sind weitgehend identisch. Technische Entwicklungen und Geschäftsanforderungen scheinen nun aber zu einem Wendepunkt zu führen. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Blog die These zur Diskussion gestellt, dass das IT-Sourcing für Retailbanken im Umbruch begriffen ist.

Seit Jahren gehört das Outsourcing von IT-Services zu den Spitzenreitern in der alljährlichen IFZ Sourcing Studie. In der aktuellen Studie[1] geben 94% der Banken an, IT-Leistungen von Dritten zu beziehen. Bezogen werden in erster Linie der Betrieb der Bankanwendungen (mehr als 90% der Banken), die Bewirtschaftung der Arbeitsplatzinfrastruktur (rund zwei Drittel der Banken) und Leistungen zur Entwicklung von Bankanwendungen (rund 60% der Banken). Der damit verbundene hohe Grad an Outsourcing wirft die Frage auf, wie die IT-Sourcing Strategien aussehen und wie sie sich weiterentwickeln könnten.

Die Retailbanken haben über viele Jahre – meist im Rahmen von Kooperationen mit anderen Banken – IT-Anwendungen selbst gebaut und in-house betrieben. Damit hatte man die IT-Entwicklung und den Betrieb der Anwendungen fast vollständig unter Kontrolle (siehe Abbildung). Hohe und steigende Kosten haben Ende der Nullerjahre dazu geführt, dass Banken die Informatik weitgehend ausgelagert haben (siehe Abbildung 1): Bankanwendungen, im Wesentlichen Kernbankensysteme mit ergänzenden Umsystemen, wurden bei Softwarehäusern lizenziert. Der Betrieb der Bankanwendungen wurde an spezialisierte Provider übergeben. Durch Standardisierung und Skaleneffekte konnten die erwarteten Kosteneinsparungen in den meisten Fällen realisiert werden. Und noch heute kann davon ausgegangen werden, dass diese Strategie eines hohen Outsourcing-Grads, der auf einige wenige nationale Provider konzentriert ist, bei vielen Retailbanken erfolgreich gelebt wird.

Abbildung 1: Entwicklung der IT-Sourcing Strategien für Retailbanken

Neue Technologien und Geschäftsanforderungen führen dazu, dass die bisherige IT-Sourcing Strategie, die im Wesentlichen rund um das Kernbankensystem mit seinen Umsystemen angelegt ist, vermehrt kritisch hinterfragt wird.

  • Die Cloud-Technologie führt zu neuen Möglichkeiten, Bankanwendungen zu betreiben. Auch wenn dies noch nicht für alle Kernbankensysteme der Fall ist, so ist doch davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit der Betrieb der Bankanwendungen aus der Cloud nicht nur möglich, sondern Standard sein wird. Dabei kann der Schritt in die Cloud so weit gehen, dass im Rahmen von SaaS-Lösungen[2] über Betriebsleistungen hinaus ganze Bankanwendungen als Service aus der Cloud bezogen werden. In diesem Fall werden Bankanwendungen nicht mehr wie gewohnt lizenziert und installiert, sondern als Gesamtpaket, das die Anwendung und den Betrieb umfasst, gemietet.
  • Im Zuge der Digitalisierung hat die strategische Bedeutung der Informatik für die Banken deutlich zugenommen. Die Bankanwendungen haben sich von einem Arbeitsmittel der Bankmitarbeitenden zu einem Selfservice- und Erlebniskanal für die Kundschaft entwickelt. Die IT-Anwendungen werden so zu einer wichtigen Visitenkarte für die Banken. Dadurch ergeben sich neuartige Geschäftsanforderungen an die Informatik. Auch wenn die Kosten wichtig bleiben, so wird von der Informatik doch mehr Innovation, mehr Tempo in der Umsetzung und insgesamt mehr Flexibilität verlangt. Für das Sourcing-Modell bedeutet dies, dass vermehrt diskutiert wird, ob Anwendungen an der Kundenschnittstelle nicht mehr als Produkte bei Dritten eingekauft, sondern entweder durch die Bank selbst oder im Auftrag der Bank durch Dritte entwickelt werden sollen.

Zukünftige IT-Sourcing Strategie: Mehr Eigenleistung, mehr Auslandbezug, mehrere Sourcing-Partner und mehr Verzahnung mit der Geschäftsstrategie

Was bedeuten nun neue Geschäftsanforderungen und der Einsatz von Cloud-Technologien für die IT-Sourcing Strategien der Banken?

Erstens verschiebt das Bedürfnis nach mehr Flexibilität der Informatik den Schnitt zwischen Make-or-Buy. Bankanwendungen an der Kundenschnittstelle werden vermehrt massgeschneidert gebaut und weniger ab Stange gekauft. Der damit verbundene Softwarebau kann entweder durch die Bank selbst oder im Auftrag der Bank durch einen Dritten erfolgen. Unabhängig vom gewählten Ansatz wird die Flexibilität erhöht. Um auch die Kosten unter Kontrolle zu halten, kann es sinnvoll sein, den Softwarebau im Rahmen einer Kooperation gemeinsam mit gleich gesinnten Banken vorzunehmen. Jedoch, wird der Bau von Software selbst an die Hand genommen, sind auch einige Herausforderungen zu bewältigen, beispielsweise:

  • Vermehrte Individualentwicklung erfordert einen entsprechenden Bebauungsplan, der im Rahmen einer IT-Architektur festzulegen ist.
  • Die Entwicklung von Software ist anspruchsvoll und kaum standardisierbar und zwar unabhängig davon, ob dies als Eigen- oder als Auftragsentwicklung erfolgt. Dies erfordert qualifizierte Softwareingenieure.
  • Die Sicherheitsstandards sind über den ganzen Lebenszyklus der Software durchzusetzen.
  • Der Software-Lebenszyklus ist mit der Entwicklung nicht abgeschlossen, sondern das Produkt ist während der Nutzungsphase weiterzuentwickeln und zu warten. Es empfiehlt sich, frühzeitig zu klären, wer dies übernimmt.

Zweitens ist davon auszugehen, dass das Sourcing in Zukunft nicht mehr vollständig aus dem Inland erfolgt, sondern einen Auslandbezug aufweist. Im Falle der Sofwareentwicklung stellt sich die Frage, ob diese im Rahmen eines Near- oder Offshoring – in der Regel über einen Dritten – ganz oder teilweise ins Ausland verlagert wird. Nutzt man für den Betrieb die Dienste eines der grossen Hyperscaler Amazon, Google oder Microsoft dann kann in mehrfacher Hinsicht ein Auslandbezug entstehen. Sämtliche Hyperscaler sind ausländisch beherrscht, speichern die Daten allenfalls im Ausland und Mitarbeitende haben möglicherweise aus dem Ausland Zugriff auf die Daten.[3] Die damit verbunden Risiken, beispielsweise in den Bereichen Informationssicherheit und Privacy sind zu beurteilen und gemäss dem Entwurf des neuen Finma-Rundschreibens «Operationelle Risiken und Resilienz» allenfalls sogar von der Oberleitung der Bank zu genehmigen.[4]

Drittens werden die aktuell weit verbreiteten Single-Sourcing Strategien je länger je mehr durch Multi-Sourcing Strategien abgelöst. Bei vielen Banken konzentriert sich das IT-Outsourcing bis heute auf einen, allenfalls zwei Provider. Künftig ist davon auszugehen, dass Banken mit mehreren ganz unterschiedlichen Providern zusammenarbeiten. Ergänzend zu den bisherigen Betriebsprovidern kommen allenfalls vermehrt Partner für die Softwareentwicklung dazu. Und werden SaaS-Lösungen eingesetzt, dann befindet sich die Bank schnell in einer Multi-Cloud Umgebung, indem sie über Softwareprovider mit mehreren Hyperscalern zusammenarbeitet. Insgesamt resultiert ein vielfältiges Multi-Sourcing, dessen Steuerung und Koordination, beispielsweise in Sicherheitsthemen oder im Falle einer Störung entsprechend aufwändig und anspruchsvoll ist.

Viertens schliesslich wird sich die IT-Sourcing-Strategie einer Bank vermehrt an der Geschäftsstrategie ausrichten müssen. In der Vergangenheit wurden IT-Services als geeignet fürs Outsourcing angesehen, da nicht Kernkompetenz der Bank. Der Beitrag, den die IT mit ihrer Sourcing Strategie zum Erfolg der Bank leisten konnte, war eine optimale Kostenstruktur. Gewinnen Geschäftsanforderungen wie Innovation und Time-to-Market vermehrt an Gewicht, so wird das konsequenterweise dazu führen, dass die IT-Sourcing Strategie zum Bestandteil der Geschäftsstrategie der Bank wird.

Fazit

Cloud Technologien und der Ruf nach mehr Flexibilität in der IT führen dazu, dass die Banken ihre Sourcing-Strategien überdenken müssen. In der Softwareentwicklung ist das Verhältnis zwischen Produkteinkauf und Individualentwicklung neu festzulegen. Die Nutzung einer Public Cloud sowie eine allfällige Auftragsentwicklung können es mit sich bringen, dass die bezogenen Leistungen in irgendeiner Form einen Auslandbezug haben. Und schliesslich ist davon auszugehen, dass zukünftig vermehrt Multi-Provider Strategien zu implementieren sind. Dies alles zusammen macht die IT-Sourcing Strategie zu einem Thema, das als Teil der Geschäftsstrategie zu diskutieren und festzulegen ist.

Möchten Sie das Thema mit uns vertiefen? Dann nehmen Sie mit uns Kontakt auf (felix.buschor@hslu.ch). Sind Sie an vertiefenden Ausführungen zum Thema IT-Sourcing Strategien interessiert? Dann melden Sie sich für das IFZ Bank-IT Forum «Sourcing Strategien» vom 1. Dezember an (IFZ Forum Bank-IT: Sourcing Strategien | Hochschule Luzern (hslu.ch))


[1] Siehe Banking Services – Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ (hslu.ch).

[2] SaaS steht für Software as a Service, das heisst Softwareprodukte, die vom Softwarehersteller in der Cloud betrieben und vom Nutzer als Gesamtpaket gemietet werden.

[3] Der Auslandbezug und das damit verbundene Risikomanagement sind im folgenden Blog-Beitrag beschrieben: Ist die Nutzung von Public Cloud-Diensten für Banken möglich? – IFZ Retail Banking Blog (hslu.ch)

[4] Siehe vor allem den Erläuterungsbericht zum Rundschreiben «Operationelle Risiken und Resilienz», S. 12, 20220510_rs_operat_risiken_anhoerung_eb.pdf (finma.ch).

Kommentare

1 Kommentare

Stefan Hirzel

8. November 2022

Lieber Felix Besten Dank für die stichhaltige These sowie deren profunden Herleitung. Ich teile deine Sichtweise voll und ganz. Weitereführende Faktoren bestärken diesen Wandel zusätzlich: OpenFinance, Arbeitsmarkt, leistungsstärkere Ökosysteme bei den Sourcing Partner, etc. "Change is changing". Fakt ist, dass die IT längst nicht mehr nur Treiber von Business Effektivität oder Türöffner neuer Geschäftsfelder ist, sondern Quelle neuer Produkte, Services oder gar Geschäftsmodellen ist. Deswegen ist die IT-Sourcing Strategie inherenter Bestandteil einer modernen Geschäftsstrategie. Beste Grüsse Stefan

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