3. Juni 2024
Wie seid ihr auf eure Idee gekommen?
Die Idee entstand ungefähr 2014, als Daniel Schaufelberger und Michael Ledergerber Werkstatttage zu personenzentrierter Arbeit in Erfurt besuchten. Daniel Schaufelbergel war damals Dozent an der HSLU und in dieser Funktion beteiligt an einem internationalen Netzwerk zu Personenzentrierten Leistungen. So erfuhr er von den Werkstatttagen in Erfurt. Michael Ledergerber ist Vater von zwei Töchtern mit Mehrfachbehinderung und stellte sich oft die Frage, ob die institutionelle Wohnform für Menschen mit Behinderung wirklich die einzige Möglichkeit war. Für beide war klar, dass es noch andere Möglichkeiten geben muss, um echte Teilhabe und einen Paradigma-Wechsel in der Gesellschaft zu erreichen. Inspiriert vom Besuch in Erfurt entwickelten die beiden auf Zugreise zurück in die Schweiz die Idee für luniq. Als die beiden in Luzern aus dem Zug stiegen, wussten sie, dass sie luniq gründen wollen.
Wie seid ihr vorgegangen, bis ihr starten konntet?
Etwas Vergleichbares gab es in der Schweiz damals noch nicht, deshalb versuchten wir als erstes, die Idee den Kantonen in der Zentralschweiz schmackhaft zu machen. Der Kanton Luzern unterstützte die Idee. Schliesslich wurde luniq 2015 von Michael Ledergerber, Daniel Schaufelberger, Christian Vogt und Marc Busch gegründet. Grundlegend dafür war das 2014 in Kraft getretene UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention UN-BRK). Denn der Artikel 19 «Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft» sieht explizit vor, dass Menschen mit Behinderungen ihre Wohnform selbst wählen können. Das ist nach wie vor die Grundlage unserer Arbeit.
Dabei hat der Verein eng mit der Dienststelle Soziales und Gesellschaft Disg des Kantons Luzern zusammengearbeitet, denn luniq war für den Kanton interessant, um die Umsetzung der UN-BRK mit neuen Ideen anzugehen. Mit der Idee von luniq waren wir der Zeit voraus, denn das Thema war noch nicht auf der politischen Agenda und die Finanzierungsmöglichkeiten nicht gegeben.
Wie habt ihr den Aufbau finanziert?
Mit Geld von Förderstiftungen, die an unsere Idee glaubten. Namentlich die Albert Koechlin Stiftung sowie der Lotteriefonds des Kantons Luzern ermöglichten den Start von luniq.
Wie ging es dann weiter mit luniq?
Die erste Phase war schwierig, es gab Personalwechsel und die Unsicherheit, ob das Ganze funktioniert, war sehr gross. Die Schaffung einer Projektleitung durch eine Person im Vorstand und eine dauerhafte Finanzierung brachten Ruhe und Stabilität. Seit 2021 sind wir nun ein konstantes Team von vier Mitarbeitenden, das im September 2024 nochmals um eine Person wächst
Und wie sieht die laufende Finanzierung aus?
Wir arbeiten mit einer Mischfinanzierung: Der Kanton Luzern spricht eine dem Bedarf entsprechende Anzahl Stunden an die Betroffenen, dies können Assistenz- als auch Fachleistungen sein. Mit den gesprochenen Fachleistungsstunden können die Betroffenen bei uns ihre individuellen Leistungen einkaufen. Damit werden Kosten abgedeckt, welche sich aus dem individuellen Bedarf beim Wohnen ergeben. Vorgelagerte Leistungen wie Unterstützung bei der Ablösung aus der Familie oder Heim, bei der Wohnungssuche oder beim geltend machen der Assistenzbeiträge werden durch Spendengelder finanziert, da diese gesetzlich nicht finanziert sind. Die Finanzierung ist insgesamt gesichert, das Fundraising läuft ganz gut.
Was hat nicht so funktioniert, wie ihr euch das gedacht habt?
Wir waren zweimal nah an einem Tiefpunkt. Die Anforderungen an das Fachpersonal waren sehr hoch, vielleicht zu hoch, und nach einigen Rückschlägen waren wir unsicher, ob wir die Energie nochmals aufbringen würden.
Unterschätzt hatten wir zudem die Dauer der Unterstützungen. Unsere Nutzenden sind oftmals dauerhaft auf Unterstützung beim Wohnen angewiesen. So sind wir nun dauerhaft ausgelastet und können nur neue Nutzende aufnehmen, wenn wir personell wachsen.
Wie sieht eure Zukunft aus?
Wenn wir in die Zukunft schauen, dann stellt sich die Frage, wie gross luniq werden möchte und kann. Unsere Idee könnte auch gut übernommen und von anderen Trägern irgendwo aufgebaut werden. Wir können uns gut vorstellen, beim Aufbau zu helfen und beratend tätig zu sein.
Wir selbst können nur mit zusätzlichem Personal der steigenden Nachfrage gerecht werden, weil unsere Kapazitäten mit den laufenden Nutzenden aufgebraucht sind. Mit dem Wachstum steigen aber auch Kommunikationsaufwand, Führungsaufgaben etc. Aktuell arbeiten wir alle mit sehr hoher intrinsischer Motivation; wir funktionieren selbstorganisiert, haben flache Hierarchien, entscheiden und gestalten Wichtiges gemeinsam. Das ist eine Stärke von luniq. Deshalb stellt sich für uns die Frage, wie viel Wachstum sinnvoll ist.
Was sagst du, weshalb es soziale Innovation braucht?
Etwas wird ins Rollen gebracht, an das vorher noch nicht gedacht wurde. Probleme von Betroffenen können gelöst und damit auch die Gesellschaft weitergebracht werden, weil sie beispielsweise inklusiver wird und Menschen mit Behinderungen wieder Teil eines Quartiers sind. Auch die Einführung der AHV, Mutterschaftsversicherung, usw. waren Soziale Innovationen, die heute nicht mehr wegzudenken sind und das soziale Zusammenleben nachhaltig verändert haben.
Soziale Innovation entsteht oft aus einer veränderten gesellschaftlichen Situation, in welcher ein neuer Bedarf entsteht oder ein Bedarf nicht mehr mit altbewährten Mitteln gedeckt wird. Durch Innovation wird der Nutzen des Angebotes bemerkt und findet Niederschlag in Regelungen wie Gesetzen. Aber auch neue Anforderungen von aussen wie bei uns die UN – BRK können Anlass sein, innovativ zu werden.
Was könnt ihr anderen mitgeben, die eine Idee umsetzen möchten?
An etwas dranbleiben, auch wenn es unsicher ist. Das braucht langen Schnauf und Durchhaltewillen. Man muss sich immer wieder im Team eichen: «Sind wir noch dabei?» Das Team ist sehr wichtig, weil es ein sehr intensiver Prozess ist. Man muss sich gegenseitig unterstützen.
Es hilft, wenn alle von einer Idee überzeugt sind: geteilte Haltungen und Werte hinter einer Idee sind der Kern. Wenn es für die Umsetzung einer Idee aus staatlicher Sicht eine gewisse Notwendigkeit gibt – wie in unserem Fall die Umsetzung der UN –BRK – dann sind Behörden und Verwaltung manchmal froh um innovative Ideen.
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