7. September 2020

Smart-up Portraits,

Start-up Angebote

Von denen, die auszogen, die Schweizer Immobilienbranche zu digitalisieren

Von denen, die auszogen, die Schweizer Immobilienbranche zu digitalisieren

In diesem Blogbeitrag schreibt Fabian Frischherz von DigiProp über die Ups und Downs des Startup-Lebens und wie es ist, wenn man mit einem innovativen Produkt wie dem REtool einen traditionellen Markt erobern will. Ein Erfahrungsbericht aus allererster Hand – absolut lesenswert!


Nach mehr als einem halben Jahr Entwicklung musste unser Startup feststellen, dass unser Produkt an den Bedürfnissen des Marktes vorbeischoss. Gleichzeitig konnte dabei aber festgestellt werden, dass Teile unseres Angebots das Interesse der Marktteilnehmer weckte. Diese Erkenntnis ermöglichte uns ein neues Produkt zu entwickeln, mit welchem wir im Frühling 2020 den Markteintritt wagten.

Der Anfang

Vor gut zwei Jahren, im Sommer 2018, entschieden wir zu dritt ein Startup zu gründen. Auf Grund unserer Vorkenntnisse war die Branche und unsere Hauptmarktleistung schnell gefunden: Immobilien und Digitalisierung sollten es sein.

Nachdem viele Ideen evaluiert und wieder verworfen wurden, dachten wir, DAS Produkt gefunden zu haben: Wir wollten den Akquiseprozess von Immobilien mit Software unterstützen und so schnellere und fundiertere Kaufentscheidungen herbeiführen.

Zusammen definierten wir Anforderungen und Lösungsvarianten, implementierten diese schrittweise, bis wir eine funktionierende Webapplikation hatten. Unsere Idee bestand im Kern darin, Informationen aus dem Internet zu aggregieren, diese unseren Nutzern zentral zur Verfügung zu stellen und dann in einem strukturierten Prozess eine Kaufentscheidung herbeizuführen. Parallel dazu gründeten wir eine GmbH, die im Januar 2019 unter dem Namen DigiProp GmbH eingetragen wurde.

Gegründet im Januar 2019 – die DigiProp GmbH.

Der Schock

Stolz wie Oskar standen wir nach 7 Monaten Arbeit mit unserem Produkt sowie der neuen Firma da und wandten uns erstmals vertieft dem Markt zu. Digitalisierung in der Immobilienbranche, häufig auch unter Proptech zusammengefasst, war ein heisses Thema und auf Grund unserer persönlichen Netzwerke konnten wir Entscheidungsträger vieler potentieller Kunden in einem persönlichen Gespräch aufsuchen. Bald kristallisierten sich aber drei zentrale Erkenntnisse heraus:

  1. Kleine und mittlere Immobilien AGs fanden die neuen Prozesse spannend, da sie sicherstellten, dass jedes Objekt gleich geprüft wird. Dies ermöglicht zum einen einfachere Vergleiche von Objekten und stellt zum andern sicher, dass kein relevanter Prozessschritt ausgelassen wird. Da das Volumen an Transaktionen in dieser Zielgruppe zu klein war, konnte jedoch davon ausgegangen werden, dass unsere Software alleine mit dieser Zielgruppe nie rentabel werden würde.
  2. Grosse institutionelle Anleger wollen keine stark strukturierten Prozesse, sie vertrauen auf das «Bauchgefühl» und die Erfahrung ihrer Mitarbeiter, um schnell zu reagieren, wenn ihnen ein neues Objekt zum Kauf angeboten wird. Unsere Software deckte sich also nicht mit den Bedürfnissen dieser Zielgruppe. Um grosse institutionelle Anleger als Kunden zu gewinnen, müssten einige Anpassungen an unserer Software vorgenommen werden.
  3. Beide Zielgruppen fanden die zentralen und aggregierten Informationen spannend und hilfreich. Diese hätten das Potential, mühsame und repetitive Aufgaben, wie beispielsweise das manuelle Googeln nach Informationen, überflüssig zu machen.

Wir hatten einen Kardinalfehler begangen, was wohl vielen Startups und Unternehmen mit neuen Produkten passiert: Überzeugt davon, dass unser Produkt ein bestehendes Problem löse, haben wir im stillen Kämmerlein vor uns hin entwickelt und umgesetzt, was in unseren Köpfen war. Die effektiven Bedürfnisse und die finanzielle Situation der späteren Abnehmer hatten wir zu wenig berücksichtigt.

Die Erkenntnis

In einer ruhigen Minute nahmen wir uns die Zeit und reflektierten das bisher Erreichte. Als positiv konnten wir die Zusammenarbeit im Team, die gewonnenen Erfahrungen und das Interesse am Datenteil unserer Software verbuchen. Negativ zu bewerten war sicherlich, dass die Software, die wir in bester Absicht entwickelt hatten, im aktuellen Zustand nicht rentabel sein würde.

Nachdem wir aus den 9 Monaten Arbeit (7 Monate Entwicklung und 2 Monate vergeblicher Verkaufsbemühungen) eine ernüchternde Bilanz ziehen mussten, wollten wir es noch einmal versuchen. Doch dieses Mal wollten wir aus den begangenen Fehlern lernen und es besser machen. Wir wussten zwar noch nicht genau, wie unser neues Produkt aussehen würde, doch da die Immobilienbranche für Digitalisierungsprojekte zugänglich war und da die Datenaggregation für viele Gesprächspartner wirklich spannend schien, wollten wir bei Dienstleistungen für die Immobilienbranche bleiben. Die aggregierten und aufbereiteten Daten wollten wir dabei ins Zentrum unseres Angebots stellen.

Die Neuausrichtung

Unser Netzwerk ermöglichte uns nicht nur den Zugang zu Immobilien AGs, sondern auch zu verschiedenen Immobilienmaklern. Da wir nur noch etwas entwickeln wollten, das unseren Kunden einen direkten Nutzen brachte und wir im direkten Austausch mit einem potentiellen Kunden stehen wollten, haben wir uns entschieden, die Bedürfnisse und Herausforderungen von Immobilienmaklern genauer anzuschauen.

Im Kern unseres Angebots sollten die aggregierten Daten stehen, welche wir unter der Marke REtool Factsheet zusammenfassen wollten. Eine Immobilienmaklerin hatte sich dabei bereit erklärt, sich in einem zweiwöchigen Turnus mit uns zusammen zu setzen, unsere Fragen zu beantworten und das Umgesetzte zu evaluieren.

Schnell wurde klar, dass das Factsheet nicht nur für Immobilienmakler spannend ist, sondern auch für deren Kunden (potentielle Käufer der Immobilie). Daraus entstand die Idee von REtool Broker: Eine Applikation für Immobilienmakler, um REtool Factsheet auf die Bedürfnisse ihrer Kunden anzupassen.

Für die Betaversion von REtool Broker konnten wir einen mittelgrossen Immobilienmakler gewinnen, der die Webapplikation intern testete, Bugs und UX-Probleme aufdeckte und als Feedback an uns zurückgab, so dass wir schnell nachbessern konnten. Im März 2020 war es soweit: Unsere Software REtool Broker hatte einen Stand, der uns den Markteintritt nahelegte.

Die Pflicht

Mit den Erfahrungen der Pilotnutzer im Rücken machten wir uns auf, um bei verschieden Exponenten der Schweizer Immobilienbranche die Klinken zu putzen und uns soweit Aufmerksamkeit zu verschaffen, dass wir uns und unsere Software vorstellen konnten. Dabei machten wir eine erstaunliche Entdeckung. Obwohl unsere Lösung eher auf kleinere und mittlere Immobilienmakler zugeschnitten war, waren es vor allem die grossen Akteure, welche sich die Zeit nahmen und sich unser Startup sowie die Software genauer anschauten.

Gleichzeitig kamen mit jedem Gespräch neue Anforderungen und Ideen rund um REtool Broker und REtool Factsheet dazu. War das Factsheet initial doch dazu gedacht, dem Makler alle relevanten Informationen zu einer Adresse zur Verfügung zu stellen, sollte es neu auch als Informationsplattform für die Kunden der Makler dienen. Das Factsheet sollte also auch von Laien genutzt werden können und eine Art Visitenkarte für den Makler sein. So kam eins zum anderen und wir erweiterten REtool Broker dahingehend, dass damit nicht mehr nur das Factsheet angepasst werden konnte, sondern in wenigen, einfachen Schritten eine komplette digitale, optisch ansprechende Verkaufsdokumentation erstellt werden konnte.

Zwar war die Offenheit der grossen Akteure gegenüber Digitalisierung vordergründig grösser als bei kleinen Immobilienmaklern, wenn es dann aber um den praktischen Einsatz unserer Software ging, sind wir auf neue Hindernisse gestossen. Auf Grund ihrer finanziellen Situation waren kleine Immobilienmakler eher bereit, Medienbrüche hinzunehmen. Die grossen Akteure wollten jeweils gleich Vorschläge sehen, wie unsere Software komplett in ihre Landschaft integriert werden könnte. Auf Grund der Kostenfolge einer solchen Integration wurde der Entscheid zum Einsatz von REtool Broker häufig ans Top Management unserer Kunden delegiert, welche nicht mehr so nahe an den zu optimierenden Prozessen sitzen.

Die Zukunft

Noch ist es zu früh, um zu sagen, ob unser Produkt durchschlagenden Erfolg haben wird. Jedoch ist es so, dass wir in vielen Gesprächen positives Feedback bekommen und der Nutzen unserer Software erkannt wird. Viele unserer Gesprächspartner sind nicht nur Immobilienmakler, sondern bieten auch verwandte Dienstleistungen an. So haben wir uns entschieden, verschiedene Pilotprojekte zu starten, bei denen REtool Broker nicht für den Verkauf von Immobilien eingesetzt wird, sondern auch in verwandten Use Cases. Dies beinhaltet Neuvermietung und Wiedervermietung von Immobilien aber auch in der face-to-face-Beratung. Die kommende Zeit wird zeigen, ob die Neuausrichtung von DigiProp gelungen ist.

Lessons learnt

Die zentralen Fehler aus der Vergangenheit haben wir zwar nicht mehr gemacht. Wir waren aber nach wie vor etwas zögerlich, bis wir mit REtool Broker in den Markt eintraten und das Feedback einer grossen Zahl von Marktteilnehmern einholten. Dabei lernten wir in den Gesprächen folgendes:

  • Die etablierten Prozesse haben bei jeder Firma eine leicht andere Ausprägung. Beim Verarbeiten von Feedback mussten wir daher schauen, dass unsere Software nach wie vor von möglichst vielen Kunden genutzt werden kann, gleichzeitig aber so flexibel ist, dass sie in möglichst vielen Settings einsetzbar ist. Es muss ein Kompromiss zwischen Standardisierung und Individualisierung gefunden werden.
  • Der Wunsch und die Möglichkeit, Prozesse und Applikationen zu automatisieren und zu integrieren führt zu hohen Initialkosten bei Kunden wie auch bei uns. Da der Kunde unsere Software noch nicht im Einsatz hat, ist der Benefit durch unsere Software nur hypothetisch zu fassen. Die Kunden sind einfacher zu überzeugen, wenn sie erste Erfahrungen mit der Software haben. Ein kleines Pilotprojekt, das zwar einen manuellen Mehraufwand verursacht, aber gleichzeitig kleine direkte Kosten zur Folge hat, ermöglicht es Kunden und uns Erfahrungen in der Anwendung zu sammeln und erleichtert so die Entscheidungsfindung.
  • Kunden, die vom Kernprodukt überzeugt sind, loten von selbst periphere Anwendungszwecke aus. Als Startup ist es dabei essenziell, sich auf die Kernstärken zu besinnen und sich nicht zu verzetteln. Gleichzeitig aber offen zu bleiben, um funktionale Erweiterungen zu ermöglichen.
  • Bei der Digitalisierung von Prozessen sollten jene Personen stark involviert sein, die sich eine grosse Verbesserung versprechen und nicht primär jene, die das Budget verantworten. Diese sollten erst zum Zug kommen, wenn eine passende Lösung ausgearbeitet wurde.

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