Die Jahresabschlüsse der Gemeinden 2024 lesen sich wie ein Märchenbuch für Finanzverantwortliche: Überall satte Überschüsse, mancherorts sogar Millionenbeträge über dem Budget. Und die Frage liegt auf der Hand: Wie kann das sein? Haben alle besonders gut gewirtschaftet – oder schlicht tiefgestapelt und schlecht geplant?
Budgetieren ist eine komplexe Aufgabe
Zur Verteidigung: Prognosen der öffentlichen Hand sind keine exakte Wissenschaft. Die Steuereinnahmen, gerade bei juristischen Personen, schwanken stark und sind schwer vorherzusagen. Kommt es zu unerwarteten Privatinvestitionen, einer grossen Erbschaft oder dem Verkauf einer teuren Liegenschaft, fällt plötzlich nicht budgetiertes Steuersubstrat in Millionenhöhe an. Und die budgetierten Gemeindeinvestitionen? Die verzögern sich gerne mal. Wenn die Projektplanung nicht aufgeht und die Baumaschinen stillstehen, bleibt auch das Geld liegen.
Budgetieren nach dem Vorsichtsprinzip
Doch wer sich tiefer mit den öffentlichen Haushaltspraktiken beschäftigt, erkennt oftmals auch ein strategisches Kalkül: Das Vorsichtsprinzip hat sich fest in der Praxis verankert. Budgetieren mit Sicherheitsmarge – nicht aus Unwissen, sondern aus politischem Selbstschutz. Lieber zu tief schätzen und am Jahresende glänzen, als Defizite erklären müssen. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung gilt: Wer weniger ausgibt als geplant, hat gut geführt. Wer drüber liegt, hat versagt – selbst wenn gute Gründe dahinterstehen.
So wird das Budget zu einem politischen Kommunikationsinstrument – und verliert an planerischer Aussagekraft. Denn die mit den Überschüssen signalisierte Finanzkraft einer Gemeinde kann trügerisch sein. Überschüsse können oft auf einmaligen Effekten basieren: Kapitalrückführungen, Grundstückgewinnen, verzögerten Projekten.
Budgetieren im Rahmen der strategischen Gemeindeentwicklung
Gleichzeitig zeichnen sich in vielen Gemeindehaushalten latente Investitionsrückstände ab – etwa in der Infrastruktur, im Klimaschutz oder der Digitalisierung. Was heute als finanzieller Erfolg gilt, ist oft nur ein Aufschub dringend nötiger kommunaler Ausgaben. Und hier liegt das eigentliche Problem: Während politische Akteure mit Überschüssen um Steuersenkungen oder zusätzliche Ausgaben feilschen und sich mit ausgeglichener Rechnung profilieren, bleibt der langfristige Blick auf der Strecke. Dabei steht die öffentliche Hand vor riesigen Herausforderungen: alternde Bevölkerung, technologische Transformation, Klimawandel, Fachkräftemangel.
Es braucht darum nicht weniger – sondern realistischere Budgets. Mit präzisen Prognosen, transparenten Annahmen und dem politischen Mut, auch Unbequemes auszuweisen. Denn wer das Budget zum Schönwetterbericht stilisiert, darf sich nicht wundern, wenn der Sturm folgt.
Zum Nachhören: Podcast dazu auf SRF Audio «Budgetieren ist ein politischer Prozess»:
«Budgetieren ist ein politischer Prozess» – Audio & Podcasts – SRF
Veröffentlicht am: 28. Mai 2025
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