Im Moment entscheiden – Die Improvisation ist auch eine Schule für das Leben
Das Angebot, sich in den Studiengängen mit Improvisation auseinanderzusetzen, hat an der Hochschule Luzern – Musik schon eine lange Tradition. Inzwischen absolvieren die Bachelor-Studierenden aller Profile während eines Semesters den Schwerpunkt Improvisation. Mit dem Lucerne Improvisers Orchestra (LUIO) wurde ein neues Ensemble ins Leben gerufen, das von Magda Mayas und Charlotte Hug koordiniert wird. Die beiden Dozentinnen und Musikerinnen haben eine grosse Erfahrung mit dem freien und interdisziplinären Musizieren. An den diesjährigen Stanser Musiktagen tritt das LUIO mit einer besonderen Outdoor-Performance in Erscheinung.
Text von Pirmin Bossart
«Wir haben ja alle zu improvisieren gelernt in den letzten zwei Jahren», sagt Magda Mayas mit einem Lächeln. Die Fachverantwortliche Improvisation an der Hochschule Luzern – Musik spielt damit auf die Fähigkeiten an, die das musikalische Improvisieren ermöglichen. Die oft gehörte Aussage, man «müsse» jetzt halt improvisieren, steht diametral zur Erfahrung, dass dieses Müssen im Gegenteil erst neue Möglichkeiten entwickelt. Nicht nur in der Musik, auch im Alltag. Für Mayas ist die Improvisation denn auch eine Lebenshaltung. «Ich bin kein anderer Mensch auf der Bühne, als ich im Alltag bin.»
«Ich bin kein anderer Mensch auf der Bühne, als ich im Alltag bin.»
Magda Mayas, Fachverantwortliche Improvisation
Schon anfangs der 1980er Jahre hatte der Komponist und Dozent Urban Mäder am damaligen Konservatorium Luzern das Improvisieren im Studienalltag pionierhaft ins Spiel gebracht. Inzwischen ist die Improvisation in die Studiengänge integriert. Für die Bachelor-Studierenden ist die Improvisation während eines Semesters ein Pflichtfach – für alle Profile. Das bringt, unabhängig von Genres und traditionellen Abgrenzungen, angehende Musikerinnen und Musiker mit ganz unterschiedlichen Backgrounds zusammen. Alle können voneinander profitieren. «Diese Ausrichtung, die eine Besonderheit von Luzern ist, überzeugt mich sehr», sagt Mayas. Seit anderthalb Jahren gibt es zusätzlich einen «Minor Improvisation», der auch profilübergreifend gewählt werden kann. Und ab Herbst 2022 wird mit CAS Improvisation erstmals ein Weiterbildungsprogramm für Musikerinnen und Musiker sowie Musiklehrpersonen angeboten, das sich mit verschiedenen Levels auch an Anfängerinnen und Anfänger richtet.
Improvisieren heisst vor allem, es zu machen. Dieser «Do-it»-Aspekt ist auch in der Ausbildung in Luzern zentral. Es gibt drei kleinere Ensembles in Quartett- oder Quintettgrösse, die von jeweils zwei Dozierenden gecoacht werden. Da spannt etwa die Pianistin Magda Mayas mit dem Schlagzeuger Gerry Hemingway zusammen, die Bratschistin Charlotte Hug mit dem Bassisten Jan Schlegel oder Pianist Hans-Peter Pfammatter mit dem Bassisten Christian Weber. Die Studierenden lernen so verschiedene Haltungen und Herangehensweisen kennen. Sie erfahren im Spielen, nach welchen musikalischen Parametern sie etwas entwickeln können, wie sie miteinander in Interaktion treten, was sie klanglich erfinden, wo sie eingreifen oder nicht eingreifen.
Grossformation als neues Spielfeld
Letztes Jahr wurde mit dem Lucerne Improvisers Orchestra (LUIO) eine Grossformation gegründet. Das von Charlotte Hug angeregte Ensemble ermöglicht ein neues Spielfeld für die Improvisation. In Anlehnung an das London Improvisers Orchestra, das sich aus einer Formation des Conductors Butch Morris entwickelt hatte, soll auch in Luzern das Conducting-Vokabular aus Zeichen und Signalen umgesetzt und weiterentwickelt werden. Seinen ersten Auftritt hatte das LUIO im Herbst 2021 am Festival unerhört! in Zürich. Im ersten Teil wurde nach einem Zeichensystem von Charlotte Hug improvisiert, im zweiten Teil nach einer Partitur, die aus Fotos bestand: Mit «Fotoscores» werden visuelle Merkpunkte in verschiedene musikalische Parameter wie Dichte, Lautstärke oder Textur übersetzt. Bild wird Musik.
Mit einer installativen Performance wird das LUIO an den Stanser Musiktagen in Erscheinung treten: Die zehn Musikerinnen und Musiker bewegen sich in wechselnden Konstellationen und räumlichen Settings durch den Skulpturenpark in Ennetbürgen. Mit Horch-Konen können die musikalischen Vorgänge herangezoomt und intensiviert werden – auch vom Publikum. So verändern sich mit dem Bespielen der Skulpturen fortwährend die Blick- und Hörwinkel. Am 27. April, einen Tag vor dem Auftritt an den Stanser Musiktagen, wird das LUIO an der Hochschule Luzern – Musik auftreten. «Dieses Konzert wird drinnen stattfinden. Auch hier werden die Musikerinnen und Musikern den ganzen Raum einbeziehen.»
Im Improvisers Orchestra sind Bachelor- und Masterstudierende aus Klassik, Jazz und Musik und Bewegung dabei. «In dieser Formation sollen neben Studierenden mit dem Schwerpunkt Improvisation auch Alumni oder Gastdozentinnen und Gastdozenten mitmachen können», sagt Magda Mayas. Ziel ist, einen Pool mit verschiedensten Musikerinnen und Musikerinnen zu bilden, die sich immer wieder neu ausprobieren und entdecken können. Regelmässig spielen, in unterschiedlichen Konstellationen und mit verschiedensten Gegenüber, sei der Kern, um mit der Improvisation vertrauter zu werden, sagt Mayas. «Das Reflektieren darüber und eine analytische Beobachtung helfen mit, die Improvisation zu vertiefen.»
Experimentierfreude und Flexibilität
Improvisation ist eine grundlegende und genreübergreifende Eigenschaft und Möglichkeit des kreativen Musizierens. Sie fördert die Experimentierfreude und die Flexibilität. Und ist auch eine ausgezeichnet Hörschule, wie Mayas betont. «Da bei der freien Improvisation alles im Moment erfunden wird, kommt dem Hören eine andere, wichtigere Bedeutung zu, als vielleicht bei anderen Genres. Auch gibt es erstmal kaum Hierarchien zwischen Instrumenten und innerhalb des Ensembles. Daraus Beziehungen, Spannungsmomente und Möglichkeiten zu entwickeln, die sich ständig verändern, finde ich unglaublich lehrreich.»
Wobei wir wieder bei einigen grundlegenden «skills» wären, die in der heutigen Gesellschaft gefragter denn je sind. Magda Mayas, die europaweit zu den wichtigen Stimmen der zeitgenössischen Improvisation zählt, spricht aus Erfahrung: «Improvisation ist die Fähigkeit, im Moment zu kommunizieren. Man lernt, das zu nutzen, was gerade vorhanden ist und musikalische Antworten darauf zu finden. Diese Fähigkeiten», betont die Musikerin und Dozentin, «lassen sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen.»
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