Arbeits- & Organisationspsychologie
Lesezeit 5′ Minuten // Ein Beitrag von Jens O. Meissner
Das Arbeiten über Grenzen hinweg hat Hochkonjunktur. Beim multi- und interdisziplinären Arbeiten geht es um die Erledigung von Aufgaben mit verschiedenen beruflichen Hintergründen und über Abteilungsgrenzen hinweg. Quasi in jeder Stellenanzeige wird neues Personal mit Spass an der disziplinenübergreifenden Arbeit gesucht. Leider verhält es sich mit der Interdisziplinarität nicht so einfach. Dafür gibt es Gründe. In diesem Beitrag geht es um diese, und wie die fünf zentralen Killeraspekte vermieden werden können.
Lange ist es her, aber ich erinnere mich genau, wie ich in der heimischen Kirchengemeinde die «Jungschar» gründete (eine Art Pfadi). So wuchs ich in die Jugendarbeit hinein und durfte letztlich tolle Jugendprojekte mit ganz unterschiedlichen Menschen und aus verschiedenen Umgebungen durchführen. Es war diese spannende Vielfältigkeit, die einen kreativen Bogen möglich machte und dadurch lebte – und die ich als lebendige Erfahrung weitertrage. Diese positive Erfahrung des Unterschiedlichen zog sich weiter in der Berufsausbildung, dem Studium und heute in meiner Tätigkeit als Leiter des Interdisziplinären Zukunftslabors CreaLab an der Hochschule Luzern und darüber hinaus. Interdisziplinarität, oder: Unterschiedlichkeit, oder englisch: Diversity – und der Umgang mit ihr ist sexy! Und Unternehmen aller Art wissen das ganz genau.
Das interdisziplinäre Arbeiten gilt als Quelle der Kreativität, als Ursprung übergreifender und ganzheitlicher Problemlösungen, als Wunderwaffe von Experten – und eben nicht Spezialisten. Es ist eine äusserst gefragte Ressource, die leider aber nicht jedem als Talent gegeben ist. Man kann sie jedoch hervorragend trainieren oder fördern, wenn man sich nur traut.
Nun sagen 90% aller Teilnehmenden unserer Weiterbildungskurse, dass sie sehr gern interdisziplinär arbeiten und dies von der Firma auch ausdrücklich gewünscht wird. Fragt man dann nach, ob die Firma beispielsweise
so ist die Antwort normalerweise ernüchternd. Zu gross sind die Anfälligkeiten von Interdisziplinarität, oder anders: Es ist wie eine fragile Blume, die wachsen muss, aber sehr schnell vergeht, wenn man sie nicht pflegt.
Interdisziplinarität benötigt ein gutes zwischenmenschliches Gespür für respektvolle Zusammenarbeit. Unternehmen sind jedoch nicht per se auf dies ausgelegt, sondern auf Gewinn (oder andere Organisationen auf Machterhalt oder Gesundheitserhalt, oder auf Notenqualifikation oder sonstiges). Organisationen sind dazu da, Verantwortung und Befugnisse für sich und eben auch die Mitarbeitenden zu definieren und zuzuteilen. Und sie bevorzugen Stabilität durch die Ordnung ihrer hierarchischen Strukturen, die keinen Bereichsübergreifenden Wildwuchs mit sich bringen.
Das bedeutet, dass das Interdisziplinäre Arbeiten häufig das Schicksal eines Bauernopfers erleidet, die gute Qualität der Zusammenarbeit dem Profit oder anderen Zielen geopfert wird – und sich damit auf unbestimmte Zeit verabschiedet.
Gründe für das Scheitern des interdisziplinären Arbeitens gibt es unzählige. Aber vor Hintergrund der Literatur und der letzten 15 Jahre praktischer Erfahrung im Feld lassen sich die folgenden Fünf zu ganz typischen Kandidaten küren:
Führung braucht Weisung, das ist klar. Aber wenn nur noch über Weisung und Befehl gearbeitet wird, verschwindet auf Dauer die Fähigkeit der Selbstorganisation – und damit der wesentliche Antrieb für den Aufwand, den man beim bereichsübergreifenden Arbeiten treiben muss.
Unternehmen entledigen sich durchaus über längere Zeit von sogenannten Quergeistern. Dies findet in seiner radikalsten aber äusserst seltenen Form durch den klassischen «Rausschmiss» statt. Üblicherweise läuft es aber subtiler. So sorgen die Leistungskriterien der internen Karriereförderung dafür, dass so genannte «High Performer» weiterentwickelt werden, und Andere eben nicht. Und selten sind Quergeister eben solche. Oder anders gesagt: Interdisziplinär arbeiten bedeutet, Querbezüge und Kontakte herzustellen, die eben Zeit kosten und somit meist betriebswirtschaftlich nicht effizient sind. Und das macht Quergeister als Quell für Interdisziplinarität anfällig.
Eine weitverbreitete Taktik ist, so genannten «Spinnern» weder Raum noch Gehör zu schenken. Zu ungeordnet sind ihre Gedanken, zu abstrus ihre Ideen. Der Schuster soll doch bitte bei den Leisten bleiben. Nicht Zuhören ist nicht etwa eine individuelle Schwäche des Einzelnen, es kann auch eine ganze Organisation umfassen. In einer individualistischen Unternehmenskultur ist Zuhören über die reine Aufgabe hinaus meist Mangelware.
Es gibt Organisationen, die aufgrund ihrer Taktung keine Ruhe finden. Nachrichtenorganisationen oder Journalismus zum Beispiel, häufig auch Informatikunternehmen oder Firmen, die agile Methoden einsetzen. Mit agiler Organisationstechniken erhöht sich paradoxerweise der interne Druck, was auch die Zeit für die Bereichsübergreifende Vernetzung reduziert. Zwar wird vielerorts Bereichsübergreifend gedacht, aber eben nicht darüber hinaus. Ein typischer Killer im Spiel.
Wer hat mehr Recht als ein Spezialist? Rein rational gesehen niemand. Spezialisten wissen es meist am genauesten. Und mit Spezialisierung macht man sich meist unersetzlich und kann die Arbeitsbedingungen zu seinen Gunsten gestalten. Spezialisten definieren Entscheidungsspielräume durch fachliche Expertise, und geben somit vor, wie viel Kreativität noch möglich ist. Interdisziplinär denken heisst fast immer, bis zu den einfachsten Grundlagen seines Berufes oder seiner Funktion zurückzugehen, um anderen die eigene Arbeitsweise zu erläutern, um Gemeinsamkeiten zu etablieren. Diese Eigenschaft ist bei Spezialisten meist nicht sonderlich ausgeprägt. Im Gegenteil: Sie ist für sie kontraproduktiv und hält sie nur auf.
An dieser Stelle nicht überraschend geht es genau darum, diesen fünf Killern entgegen zu wirken. Beim Interdisziplinären geht es darum
Der Weg zur Interdisziplinären Unternehmenskultur ist lang und steinig. Auf die Killer zu achten, dafür sensibel zu sein und sie konsequent zu bearbeiten, sollte ein Teil des Weges zum Erfolg sein.
«Das interdisziplinäre Zukunftslabor CreaLab»
Das Zukunftslabor CreaLab fördert die Zukunfts- und Innovationsforschung innerhalb der Hochschule Luzern und darüber hinaus. Es unterstützt aktiv bestehende Projekte sowie neue Projektideen und Personen mit Potenzial. Hierfür schafft es Rahmenbedingungen, die Personen bei der Entwicklung von interdisziplinären Projekten unterstützen.
Das CreaLab wendet interdisziplinäre Methoden der Innovations- und Kreativitätsförderung an, erforscht und lehrt zur Thematik Interdisziplinarität und unterstützt die Integration von Zukunftstrends bei der Leistungsentwicklung. Zudem unterstützt das Zukunftslabor interne Organisationseinheiten sowohl bei ihrer eigenen Entwicklung als auch bei Leistungen gegenüber externen Unternehmen, Institutionen und Verbänden.
Weitere Informationen unter https://sites.hslu.ch/crealab/
Jens O. Meissner
Jens O. Meissner, Prof. Dr. rer. pol., ist Leiter des Interdisziplinären Zukunftslabors CreaLab und Professor für Organisationale Resilienz an der Hochschule Luzern. Er forscht in den Bereichen Hochzuverlässigkeit und Interdisziplinarität. Die Vielfältigkeit der fordernden interdisziplinären CreaLab-Projekte schützt ihn regelmässig vom Boreout und hält seine kreative Spannung hoch.
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