Lesezeit 4′ min // Blogbeitrag zum Kapitel: Eigennutz oder Gemeinschaftssinn, verfasst von Dr. Erich Kirchler
Die Welt steht vor enormen Herausforderungen: Klimawandel, Pandemien, wirtschaftliche Unsicherheiten und soziale Spannungen. Die Bewältigung dieser Probleme erfordert solidarisches Verhalten. Oft stehen wir jedoch vor sozialen Dilemmata, in denen individuelle Interessen mit denen der Gemeinschaft kollidieren. Wie kann Kooperationsbereitschaft gefördert werden? Reichen Kontrolle und Sanktionen bei unsolidarischem Verhalten aus, oder braucht es mehr Vertrauen in Institutionen und die Kooperationsbereitschaft anderer?
Soziale Dilemmata: Wenn Egoismus die Gesellschaft bedroht
Ein soziales Dilemma entsteht, wenn individuelles Verhalten der Gemeinschaft schadet. Ein Beispiel ist die Steuerhinterziehung: Wer keine Steuern zahlt, spart Geld, profitiert aber dennoch von öffentlichen Leistungen. Würden sich alle so verhalten, gäbe es keine Mittel für öffentliche Güter wie Infrastruktur, Sicherheit oder soziale Dienste.
Dasselbe Muster zeigt sich beim Klimawandel: Einzelne Staaten oder Unternehmen sparen kurzfristig Kosten, indem sie Umweltauflagen umgehen, während die langfristigen Folgen global spürbar sind. Diese kurzfristige Nutzenmaximierung kann dazu führen, dass immer mehr Menschen egoistisch handeln – letztlich zum Schaden aller.
Kontrollen und Strafen: Notwendiges Übel oder ineffektives Druckmittel?
Strafen und Kontrollen sollen unsolidarisches Verhalten verhindern. Studien zeigen jedoch, dass sie oft als unfair empfunden werden und gegenteilige Effekte haben können. Die Steuerehrlichkeit kann langfristig sinken, wenn Bürger das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden.
Zudem können Strafen eine paradoxe Wirkung haben: Werden sie zu niedrig angesetzt, werden sie als «Preis» betrachtet, nicht als Abschreckungsmittel. Eine Studie zeigte beispielsweise, dass Eltern ihre Kinder häufiger verspätet aus der Kita abholten, nachdem eine geringe Strafgebühr eingeführt wurde. Sie betrachteten die Gebühr als akzeptablen Preis, anstatt sich an die ursprünglichen Abholzeiten zu halten.
Vertrauen als Schlüssel zur Kooperation
Strafen allein reichen also nicht aus, um Kooperation zu sichern. Eine zentrale Rolle spielt das Vertrauen in Institutionen. Das Slippery-Slope-Rahmenmodell zeigt, dass Menschen eher bereit sind, Regeln einzuhalten, wenn sie den Staat und seine Institutionen als fair, kompetent und transparent wahrnehmen. Ein Beispiel ist Skandinavien, wo hohe Steuern weitgehend akzeptiert werden, weil das Vertrauen in eine gerechte Mittelverwendung hoch ist. In Ländern mit hoher Korruption hingegen versuchen viele, das System zu umgehen, da sie nicht glauben, dass ihre Steuergelder dem Gemeinwohl dienen.
Wie kann Kooperationsbereitschaft gefördert werden?
Eine effektive Strategie erfordert klare Regeln, gezielte Kontrollen und den Aufbau von Vertrauen. Besonders wichtig sind folgende Maßnahmen:
Fazit: Kooperation als gesellschaftliche Aufgabe
Die großen Herausforderungen unserer Zeit können nicht allein durch Zwang bewältigt werden. Vertrauen, Fairness und klare Kommunikation sind mindestens so wichtig wie Kontrollen und Strafen. Nur wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Beiträge geschätzt werden und Regeln gerecht angewendet werden, sind sie bereit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Das Zusammenspiel zwischen der Durchsetzungsmacht der Behörden und dem Vertrauen in diese Institutionen ist entscheidend dafür, ob Menschen egoistisch oder solidarisch handeln.
Wer mehr über die Zukunft der Arbeit erfahren möchte, findet ausführliche Informationen im Kapitel 19:
«Eigennutz oder Gemeinschaftssinn» von Dr. Erich Kirchler
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Referenzen
Foto von Piro: https://pixabay.com/illustrations/puzzle-circular-puzzle-platform-1713170/
Dr. Erich Kirchler
Erich Kirchler ist Professor i.R. für Wirtschaftspsychologie an der Universität Wien. Er war Herausgeber des Journal of Economic Psychology, Past-president der Division 9 (Economic Psychology) der International Association of Applied Psychology und war Präsident der österreichischen Gesellschaft für Psychologie und der International Association for Research in Economic Psychology. Er war Referent im FWF und als Berater im BMF und BMJF tätig. 1973 graduierte er zum Dr.phil. an der Universität Wien und wurde 1989 an der Universität Linz für das Fach Psychologie habilitiert.
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