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Bachelorarbeit: Wie globale Katastrophen uns zu besseren Menschen machen

Bachelorarbeit: Wie globale Katastrophen uns zu besseren Menschen machen

Lesezeit 4′ Minuten // Ein Beitrag von Juliette Steiger

Direkt nach Terroranschlägen sinkt die Verträglichkeit weltweit, doch schon wenige Tage später steigt sie wieder. Menschen werden wärmer, kooperativer und sozialer, fast als ob ein kollektiver Reflex uns dazu bringt, jetzt zusammenzuhalten. Doch weshalb ist das so?

Wenn man eine Bachelorarbeit schreibt, erwartet man viel Stress, Kaffee, Verzweiflung und noch mehr Kaffee. Woran ich allerdings nicht gedacht hatte, war die plötzliche Freiheit, die man bekommt. Nach bestimmt tausend Gruppenarbeiten fühlt es sich fast exotisch an, einmal etwas komplett Eigenes zu schaffen. Nur ich und mein Thema. Die wohl noch grössere Überraschung, versteckt hinter all den anstrengenden Stunden am Laptop, waren jedoch Resultate, die mich tatsächlich interessierten, weil sie so spannende Erkenntnisse brachten. Genau deshalb möchte ich diese nun mit euch teilen. Einerseits, weil die Ergebnisse einen schönen Ausblick in einer teils katastrophenerschütterten Welt bieten. Andererseits, um zu zeigen, wie ihr aus dem ganzen Bachelorarbeitsstress etwas Faszinierendes und Wertvolles kreieren könnt.
In meiner Bachelorarbeit habe ich untersucht, ob die Terroranschläge von 9/11 eine messbare Veränderung in der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit ausgelöst haben. Verträglichkeit beschreibt, wie warmherzig und kooperativ wir sind. Eigentlich gelten Persönlichkeitsmerkmale als ziemlich stabil, was die Untersuchung umso spannender machte.

Der Graph, der spannender ist als manche Netflix Serie

Ich habe einen internationalen Datensatz mit über 35’000 Persönlichkeitsbewertungen rund um 9/11 analysiert und statistisch ausgewertet. Kurz gesagt: Ich habe untersucht, wie sich die Verträglichkeit global Tag für Tag nach den Anschlägen verändert hat.
Dann kam der Moment, in dem ich den Graphen sah, der gefühlt mehr Drama erzählte als so manche Netflix-Serie. Zwei Linien, eine für die USA und eine für den globalen Durchschnitt. Erst sinkt die Verträglichkeit, danach steigt sie wieder – und das nahezu weltweit im Gleichschritt.

Direkt nach 9/11 fällt die Verträglichkeit in den ersten zehn Tagen spürbar ab. Nicht nur in den USA, sondern überall: in Europa, Asien und Ozeanien. Psychologisch ist das absolut logisch. Wenn die Welt plötzlich Kopf steht, werden Menschen automatisch weniger harmoniebedürftig. Misstrauen steigt, Stress steigt, das Herz macht zu und der Geist zieht sich ein Stück zurück.

Der Überraschungseffekt der Menschlichkeit

Und dann passiert die Überraschung. Ab ungefähr Tag fünfzehn steigen beide Linien wieder. Die Verträglichkeit erholt sich. Menschen werden wieder wärmer, kooperativer und sozialer. In den USA etwas stärker, global etwas sanfter, doch das Muster ist identisch. Es wirkt fast, als hätte ein kollektiver Reflex eingesetzt, der sagt, dass wir nun zusammenhalten müssen. Die Terror-Management-Theorie erklärt das gut: Wenn uns unsere eigene Sterblichkeit bewusst wird, suchen wir Halt in unseren Werten, unserer Kultur, unseren Mitmenschen. Dieser kleine soziale Frühling hält bis etwa Tag sechzig an, bevor die Linien wieder in Richtung Normalniveau zurückgleiten.
Besonders beeindruckt hat mich, wie sichtbar die Auswirkungen dieses einen Ereignisses weltweit waren. Persönlichkeitsmerkmale gelten normalerweise als stabil, und trotzdem zeigt sich hier ein klarer globaler Ausschlag. Genau da wurde mir bewusst, dass Psychologie manchmal funktioniert wie Seismologie. Nur messen wir keine Bodenerschütterungen, sondern menschliche Reaktionen. Und vielleicht zeigt uns diese Welle, dass globale Katastrophen uns zwar kurz erschüttern, die Folgen aber nicht nur negativ sein müssen.

Mein Schreibprozess: Chaos, Kaffee und Geistesblitze

Was meinen Schreibprozess betrifft, war die Bachelorarbeit eine Mischung aus Freiheit, Chaos, Motivation und vereinzelten Existenzkrisen. Meine Freunde und ich haben gelernt, wie wertvoll gute Betreuungspersonen sind. Sie geben Halt, Struktur und das Gefühl von Sicherheit – oder je nach Betreuung eben nicht.
Mein Tipp für alle, die bald starten: Wählt eure Dozierenden genauso sorgfältig aus wie euer Thema. Beides entscheidet über euer Stresslevel und euren Erfolg. Und fragt unbedingt Studierende aus höheren Semestern, wie die Zusammenarbeit mit den Dozierenden ist.
Damit wünsche ich allen Bachelorarbeits-Schreibenden viel Energie und Resultate, die uns die Welt ein kleines bisschen besser erklären.


Referenzen


Informationen zur Autorin

Juliette Steiger

Juliette Steiger hat ihren Bachelor in Wirtschaftspsychologie mit der Vertiefung Arbeits- und Organisationspsychologie an der HSLU im Sommer 2025 abgeschlossen. Währenddessen arbeitete sie Teilzeit im Pflegepool des Luzerner Kantonsspitals, eine Kombination, die ihr die ideale Balance zwischen kognitiver Herausforderung und praktischem Wirken gegeben hat.
 
Nächstes Jahr wird sie ihren Master in klinischer Psychologie starten. Derzeit befindet sie sich in der Friedensförderungsmission der KFOR. Dort kann sie hautnah miterleben welche langfristigen Auswirkungen eine globale Krisensituation haben kann und somit ihr Bachelorarbeitsthema noch aus einem Blickwinkel mit Praxisbezug vertiefen.

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