Lesezeit 6′ min // Ein Beitrag von Rabea Heinzmann
Zum Beginn eines neuen Jahres entsteht für viele Menschen das Gefühl, mit einem frischen Kapitel starten zu können. Dieser Impuls ist keineswegs Zufall, sondern lässt sich psychologisch gut erklären: Zeitliche Übergänge wirken wie mentale Trennlinien, die uns helfen, das alte Ich hinter uns zu lassen und eine optimistische Perspektive einzunehmen. Gerade für Studierende oder Berufseinsteigende, die häufig in Entwicklungs- und Orientierungsphasen stehen, kann der Jahreswechsel ein besonders kraftvoller Moment sein. Doch warum sind Neuanfänge so motivierend – und weshalb scheitern trotzdem so viele Vorsätze?
Neuanfänge wirken deshalb so motivierend, weil sie psychologisch als sogenannte temporal landmarks fungieren. Forschung von Dai et al. (2014) zeigt, dass Zeitpunkte wie ein Jahreswechsel, ein neuer Monat oder der Beginn eines Semesters eine mentale Trennlinie zwischen dem alten und dem neuen Ich schaffen. Menschen erleben damit eine symbolische Distanz zu früherem Verhalten und fühlen sich eher bereit, Veränderungen anzugehen.
Dieser Effekt wird laut Puca & Schüler (2024) durch einen subtilen Identitätswechsel verstärkt: Neuanfänge aktivieren die Vorstellung, eine verbesserte zukünftige Version seiner selbst werden zu können, was die Selbstwirksamkeit erhöht und die Motivation stärkt.
Gleichzeitig spielen Emotionen eine zentrale Rolle. Die Autorinnen schreiben, dass der Beginn eines neuen Kapitels häufig begleitet ist von Hoffnung, Optimismus und Aufbruchsstimmung, was den Antrieb zusätzlich verstärkt. Diese positive Dynamik ist jedoch nicht stabil. Sobald erste Schwierigkeiten auftreten, kann das emotionale Hoch schnell abfallen – ein Grund dafür, dass viele Vorsätze zwar mit intensiver Euphorie starten, aber bereits nach kurzer Zeit ins Stocken geraten (Puca & Schüler, 2024).
Dass viele Vorsätze bereits nach wenigen Wochen scheitern, lässt sich durch verschiedene psychologische Mechanismen erklären. Ein wesentlicher Faktor ist die Tendenz, Ziele zu gross, zu vage oder zu ambitioniert zu formulieren. Der sogenannte Overconfidence Bias führt dazu, dass Menschen ihre Fähigkeiten überschätzen und ihre zukünftige Motivation zu optimistisch einschätzen (Job & Goschke, 2024; Puca & Schüler, 2024).
Hinzu kommt, dass viele Vorsätze ergebnisorientiert formuliert werden, z.B. „mehr Sport treiben“ oder „gesünder leben“, statt sich auf konkrete, überprüfbare Handlungen zu beziehen. Forschung zur Zielsetzung zeigt jedoch, dass prozessbezogene Ziele deutlich wirksamer sind als reine Ergebnisziele (Puca & Schüler, 2024).
Job & Goschke (2024) beschreiben, dass ausserdem die Motivation nach dem anfänglichen Aufbruch oft abfällt, weil Menschen Schwierigkeiten haben, unangenehme Gefühle wie Frustration oder Stress zu regulieren. Studien zur Prokrastination belegen, dass Aufschieben weniger ein Zeit- als vielmehr ein Emotionsproblem ist.
Ein weiterer Grund ist laut der Autorin und dem Autor die fehlende Selbstregulation. Effektive Selbstkontrolle beruht vielmehr auf hilfreichen Gewohnheiten und präventiven Selbstverpflichtungen (Precommitment), die Konflikte im Voraus vermeiden. Solche strukturierten Strategien sind nachhaltiger als das blosse Aufbringen von Willenskraft im Moment des Konflikts (Job & Goschke, 2024).
Ein nachhaltiger Neuanfang gelingt selten allein durch Motivation. Psychologische Forschung zeigt, dass insbesondere strukturierende Mechanismen wie z.B. Micro-Goals, Wenn-Dann-Pläne und ein bewusst gestaltetes Umfeld entscheidend dazu beitragen, Verhaltensänderungen erfolgreich umzusetzen. Sie reduzieren die benötigte Willenskraft, stärken Selbstwirksamkeit und erleichtern den Übergang von intentionalen zu automatisierten Routinen. Wichtig dabei ist es diese Mechanismen nach dem SMART Prinzip zu formulieren: Ziele werden spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert gesetzt (vgl. Goschke, 2024; Job & Goschke, 2024; Puca & Schüler, 2024).
Micro-Goals senken Einstiegshürden und schaffen schnell sichtbare Erfolgserlebnisse. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dranzubleiben, selbst wenn die Zielhandlung anfangs unangenehm erscheint (Puca & Schüler, 2024).
Wenn-Dann-Pläne verknüpfen externe Reize mit Handlungen. Das Gehirn trifft dann weniger Entscheidungen bewusst, wodurch Selbstkontrollprozesse effizienter werden (Goschke, 2024).
Viele Handlungen folgen dem Weg des geringsten Widerstands. Durch die gezielte Gestaltung der Umgebung wird gewünschtes Verhalten erleichtert und unerwünschtes erschwert (Job & Goschke, 2024).

Nachdem klar ist, wie Micro-Goals, Wenn-Dann-Pläne und Umgebungsdesign psychologisch wirken, zeigt dieses Kapitel, wie du diese Mechanismen gezielt im Studium nutzen kannst. Der Fokus liegt vollständig auf der Umsetzung in typischen Studi-Situationen – besonders hilfreich zum Jahresstart oder in intensiven Lernphasen.
Micro-Goals reduzieren Einstiegshürden und schaffen Momentum, besonders bei umfangreichen oder unangenehmen Aufgaben.
Wenn-Dann-Pläne automatisieren Lernhandlungen und erleichtern Routine, besonders in stressigen Phasen.
Eine lernförderliche Umgebung reduziert Ablenkungen und stärkt Selbstregulation, besonders bei Prüfungsdruck.
Ein Jahresbeginn bietet eine natürliche Chance für Veränderung, doch langfristig erfolgreich wird sie erst, wenn gute Vorsätze in klare Strukturen übersetzt werden. SMART Formulierungen von Micro-Goals, Wenn-Dann-Pläne und ein unterstützendes Umgebungsdesign helfen dabei, Motivation in Handlung umzusetzen und grosse Ziele handhabbar zu machen.
Gerade im Studium – geprägt von komplexen Aufgaben und hohem Druck – wirken diese Strategien besonders effektiv. Wer versteht, wie Selbstregulation funktioniert und kleine Schritte konsequent nutzt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, neue Gewohnheiten wirklich zu verankern. Veränderungen müssen nicht gross sein, sondern vor allem machbar und wiederholbar.
Referenzen

Rabea Heinzmann
Rabea Heinzmann studiert im Master Business Psychology an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Sie interessiert sich besonders für Themen an der Schnittstelle von Psychologie, Kommunikation und Wirtschaft, zum Beispiel wie Verhalten, Wahrnehmung und Emotionen Marketingstrategien und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Zudem arbeitet sie als studentische Hilfsassistierende im BSc Business Psychologie.
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