Lesezeit 6′ Minuten // Im Interview mit Maurice Stiller
In unserer «Im Portrait»-Reihe stellen wir Studierende, Mitarbeitende, Dozierende sowie Personen aus dem Bereich der Wirtschaftspsychologie vor. Wir freuen uns diesen Monat Maurice Stiller, Gründer eines Start-ups im Bereich Wirtschaftspsychologie, für ein Interview gewonnen zu haben! In diesem Interview erfahrt ihr, was sein Start-up macht, wie ihn das BSc-Studium in Business Psychology an der HSLU sowie das Smart-up dabei unterstützt haben – und welche Tipps er Studierenden gibt, die selbst mit dem Gedanken spielen, ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Stelle dich bitte kurz vor:
Maurice: Ich bin Maurice, Moh oder Herr Stiller – je nachdem mit wem ich spreche, rückt eine Persona in den Vordergrund^^. Grundsätzlich würde ich mich als sehr kommunikativen, selbstsicheren und offenen Charakter beschreiben. Gerade meine Kompetenzen in Reflexion, Analyse, Präsentation und Gesprächsführung sind diejenigen, die mir das Selbstbewusstsein geben, dass das mit der Selbständigkeit langfristig funktionieren wird. Allerdings gehört Geduld nicht zu meinen Stärken, weshalb ich in der Gründung gewissen Punkten zu wenig Beachtung geschenkt habe – und dies mich tatsächlich ausgebremst hat. Ich lerne liebend gerne neue Menschen, ihre Stärken sowie die individuellen Herausforderungen kennen. Mit stiller Sein unterstütze ich genau an dieser Stelle. Den Fokus zu finden auf das, was wirklich zählt, und wie man nachhaltiges Wachstum implementieren kann.
Wie kam es zu der Idee, ein eigenes Start-up im Bereich Wirtschaftspsychologie zu gründen?
Maurice: Das ist eigentlich bei mir eine sehr einfache Frage. Ich habe das Studium explizit gewählt, weil ich mich mittelfristig im Bereich der Beratung und des Coachings selbständig machen wollte. Denn ich habe mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Führungskräfte zwar irgendwann eine Ausbildung oder ein weiterführendes Zertifikat gemacht haben, dieses menschenbezogene Wissen in der Praxis schnell jedoch von organisatorischen Aufgaben verdrängt wird. Mein Wunsch war zu Beginn des Studiums, mehr über den Menschen zu erfahren, um die Wirtschaft ein kleines bisschen menschlicher zu gestalten. Tatsächlich habe ich konkret eine Absage bei einer KMU-Consulting-Firma im Bereich New Work bekommen. Daraufhin kamen die Überlegung und Einschätzung, dass die Antworten von anderen Firmen wohl ähnlich ablaufen würden. Deswegen habe ich beschlossen, dass mittelfristig wohl jetzt sei.
Was genau macht dein Start-up?
Maurice: Mein Startup heißt stiller Sein. Wie der Name zeigt, geht es um Reflexion und Fokus. Fokus auf das Wesentliche. Das worauf es wirklich ankommt. Konkret bietet stiller Sein für Individuen und Teams regelmäßige Reflexionsräume und Edukation aus einer wirtschaftspsychologischen Perspektive. Die Vision ist eine langfristige Begleitung durch die alltäglichen Herausforderungen und individuellen Entwicklungsstufen. Damit die Teilnehmenden nicht überfordert werden und das erhaltene Wissen nachhaltig in die Praxis einfließen kann. Meine Beobachtung ist, dass viele Überzeugungen, die in der Wirtschaft kursieren, noch sehr stark von der Alltagspsychologie geprägt sind. Hier setze ich an und biete vor allem Grundlagenwissen und anwendungsorientierte Trainings an. Allerdings bin ich noch in der Aufbauphase meines Angebotes und arbeite an der exakten Positionierung.
Gab es Inhalte oder Erfahrungen aus dem Studium BSc Business Psychology an der HSLU, die sich als besonders nützlich erwiesen haben?
Maurice: Tatsächlich finde ich den Bachelor an der HSLU sehr umfangreich und es gibt unglaublich viele nützliche Inhalte. Welche das konkret sind, das hängt meiner Meinung nach von den individuellen Charakteristika und Präferenzen ab. Sowohl die wirtschaftlichen Module, die Forschungskompetenzen als auch die Kommunikationsmodule sind Inhalte, die den Bachelor besonders machen. Denn sie haben einen betriebswirtschaftlichen Fokus, der sonst in Psychologiestudiengängen weniger Beachtung bekommt (aus meiner Beobachtung). Die Module zu Entscheidungs-, Persönlichkeits- und Sozialpsychologie sind allerdings diejenigen, die ich am relevantesten einschätze. Denn auf dem Gebiet herrschen nach meiner Beobachtung, in der Gesellschaft noch viele alltagspsychologische, überholte Annahmen. Konkret für mein Business sind jedoch die Methoden und Werkzeuge aus Beratung und Coaching die, die ich im Alltag viel verwende und wichtig sind. Da haben wir sehr coole und hands-on Kompetenzen erreicht. Betonen möchte ich allerdings, wie gut wir in Forschungsmethoden ausgebildet wurden. Gerade weil ich den Master an der ZHAW mache, habe ich den Vergleich, wie groß der Vorsprung bei Forschungsdesign und Statistik ist. Auch, wenn es während dem Studium zum Teil sehr nervenaufreibende und anstrengende Module waren^^.
Wie setzt du wirtschaftspsychologisches Know-how konkret in deiner täglichen Arbeit ein?
Maurice: Konkret würde ich sagen, dass die Recherche- und das Grundlagekompetenzen in meiner Kommunikation im Alltag einfließt. Extrem hilfreich sind außerdem die Gesprächs- und Auftrittskompetenzen, die im Studium gebildet und geschärft wurden. Das Wissen fließt in meine menschlichen Interaktionen und die Gestaltung von meinen Beiträgen auf LinkedIn mit ein. Gerade weil ich die psychologische Bildung vorantreiben möchte, sind die Unterlagen und Bücher aus dem Studium sehr hilfreich.
Inwiefern hat dir das Smart-up bei der Gründung geholfen?
Maurice: Smart-up hilft mir insofern, dass meine Adresse die HSLU ist. Dies hilft sowohl bei der Glaubwürdigkeit als auch für den Fakt, dass ich somit einen Ort habe, der mich inspiriert. Der Coworking-Space an der HSLU ist der Ort, wo ich am produktivsten an meinem Konzept und den Aufgaben arbeiten kann. Jetzt bin ich auch an einem Punkt, an dem ich zielgerichtet die Coachings im Rahmen des Programmes in Anspruch nehmen werde, um den Launch und die weiteren Schritte vorwärtszubringen. Besonders beim Aufnahmegespräch war hilfreich, dass eine Fachperson mir kritische Fragen gestellt hat, um mein Commitment zu überprüfen. Jetzt heißt es bei mir allerdings aus der Analysephase ins Tun zu kommen (verlegenes lachen). Denn in der Analyse fühle ich mich sehr wohl – aber in der Umsetzung stehe ich noch vor Hürden, bei denen ich mir vom Smart-Up Programm Unterstützung suchen werde.
Welche Herausforderungen hast du auf dem Weg zur Gründung erlebt – und wie bist du damit umgegangen?
Maurice: Die wohl größte Herausforderung ist bei mir die Struktur und das Vorgehen in kleinen Schritten. Ein großer Meilenstein war das Bürokratische und die Webseite. Denn in meinem Kopf war es ein großer Schritt, dass ich im Handelsregister eingetragen bin. Danach kam das Cringe-Tal für Content vor mir. Dafür habe ich mir eine Community von Selbständigen und Social-Media-Menschen gesucht, die an einem ähnlichen Punkt sind. Der regelmäßige Austausch hilft mir meine Gedanken und Hindernisse zu sortieren. Außerdem ist es ein schönes Gefühl, zu wissen, dass ich nicht alleine mit meinen Sorgen und Herausforderungen bin. Jetzt stehen der Launch meiner Webseite und die Akquise von Kund:innen vor mir. Das ist ein großer Punkt, in dem ich sicher noch das ein oder andere Coaching in Anspruch nehmen werde, weil ich auf keinen Fall einer dieser unangenehmen Menschen sein möchte. Ein weiterer Punkt ist, dass ich sehr viel Zeit in die Konzeption und Analyse gesteckt habe. Für eine Selbständigkeit in Vollzeit reicht es wohl noch nicht. Das war auch eine Herausforderung, den Zeithorizont zu verlängern und ein langfristiges Projekt daraus zu machen. Für die finanzielle Sicherheit werde ich mir jetzt einen Job suchen, indem ich meine Kompetenzen und mein Netzwerk ausbauen kann.
Was sind aktuell deine grössten Learnings als Gründer im Bereich Wirtschaftspsychologie?
Maurice: Ein großes Learning ist, dass es schwierig ist, all das Wissen, das wir mitbekomme haben, fokussiert zu sammeln. Wirtschaftspsychologie ist aus meiner Perspektive ein unfassbar wichtiges Themenfeld, dass in Zeiten von KI und Co zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Allerdings fehlt in meinen Augen das Bewusstsein in der Wirtschaft, dass es dieses Feld überhaupt gibt und was der Mehrwert ist. Gerade in der Schweiz. Entsprechend braucht es viele engagierte Studierende und Absolvent:innen, die dafür die Werbetrommel schwingen und sich einsetzen. Und nunja… daran arbeite ich viel, das Thema greifbar zu machen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
Was würdest du Studierenden raten, die selbst mit dem Gedanken spielen, ein eigenes Unternehmen zu gründen?
Maurice: Es klingt banal, aber nicht zu viel nachzudenken und dem:der inneren Kritiker:in nicht zu viel Raum geben. Je mehr ich analysiert habe, so größer wurde das Projekt. Und auch meine Unsicherheit, ob ich das überhaupt alles wirklich umsetzten kann. Dabei war die Idee am Anfang eine sehr simple. Wirtschaftspsychologie in kleinen, regelmäßigen Häppchen mit viel persönlichem Austausch in die Unternehmen, HR-Abteilungen und (tieferen) Führungsetagen zu bringen. Für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaft. Von Mensch zu Mensch. Irgendwann habe ich so viel rumüberlegt und den Kern aus dem Auge verloren. Das hat mich immens viel Zeit und Nerven gekostet. Dabei hat geholfen, dass ich auf vielen Networking-Events mich mit anderen Gründer:innen ausgetauscht habe und damit sehr oft vor der Frage stand, worum es bei meinem Startup gehe. Das hat mich rückblickend zum Fokus auf die Ursprungsidee gezwungen. Ein weiterer Punkt wäre sicher, nicht allein zu gründen. Erst mit den Communities, in denen ich mich bewege, habe ich gemerkt, wie wichtig regelmäßiger Austausch ist. Dass Menschen deinen Fortschritt begleiten, mit dir Erfolge feiern und dich anspornen ins Tun zu kommen. Ein:e Parntner:in hilft, so stelle ich es mir zumindest vor, um sich gegenseitig anzuspornen, Aufgaben aufzuteilen und einfach den Austausch und die Idee zu fokussieren. Zum Glück hatte ich aus dem Studium noch Freundschaften, die mir engagiert Hilfe angeboten haben. Das wäre diesbezüglich sicher auch noch der letzte Punkt. Wenn ihr allein gründet, dann ist es zwingend nötig sich Hilfe zu suchen. Denn es gibt so viele Punkte, dass man sich schnell verlieren kann. Kleine Feedbacktreffen mi Kolleg:innen sind da Gold wert. Und erfahrungsgemäß unterstützen die Menschen ja gerne
Wie geht es für dich und dein Start-up weiter – was sind eure nächsten Schritte oder Visionen?
Maurice: Meine Vision ist, dass ich mit Menschen arbeiten möchte, die der Arbeit an dem Fundament, an der Basis Bedeutung zuweisen. Menschen, die ähnliche Überzeugungen und Werte haben. Die den Wert echter Reflexion über die Persönlichkeiten und den aktuellen Herausforderungen erkennen. Denn aus meiner Führungserfahrung sind das genau die Punkte, die od im Alltagsstress zu wenig Beachtung bekommen und bei denen Menschen allein gelassen werden. Für diese Zielgruppe mein Angebot zu schärfen und erste Kund:innen gewinnen ist das Ziel bis zum Sommer. Mal sehen, wie sich das entwickelt^^ Auf jeden Fall habe ich gelernt, dass Geduld sowie aus der Analyse ins Handeln kommen wichtig ist.
Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg mit deinem Start-up!
Referenzen
Foto von Andrew Neel: https://www.pexels.com/de-de/foto/macbook-pro-auf-braunem-holztisch-2312369/
Maurice Stiller
Maurice Stiller ist diplomierter Hotelfachmann und Fachperson für Wirtschaftspsychologie. Den Entschluss, nochmal mit Mitte 20 zu studieren hat er nach einem einschneidenden Erlebnis getroffen.
Das Ziel dahinter: die Wirtschaft menschlicher gestalten.
Mit dem Fachwissen in Dienstleistung, Wirtschaft und Psychologie hat Maurice sich auf den Weg in die Coaching- und Beratungsszene begeben. ,stiller Sein’ ist das Ergebnis dieser Reise.
Der Fokus auf Führung, Kommunikation und Persönlichkeit ist gewählt, weil diese Aspekte eng miteinander verbunden sind.
Ein Unternehmen zu gründen ist vielseitig und herausfordernd. Aber durch die exzellente Ausbildung an der HSLU ist ein ausgezeichnetes Fundament gegeben.
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