Verhaltensethik und persönliche Integrität: Alles, was wir tun, hat eine Wirkung

Ethisches Entscheiden und Handeln im Finanzwesen und in der Wirtschaft ist nicht allein eine Sache von Compliance und Regulierung, sondern auch von Menschen, die ethische Werte wie Ehrlichkeit, Fairness, Respekt etc. leben und in Systeme hineinbringen müssen. Die Frage, was erleichtert oder erschwert es, in diesem Sinne werteorientiert zu agieren, beschäftigt Wirtschaftspsychologin und Führungsethikerin Prof. Dr. Carmen Tanner. In ihrem Vortrag im Rahmen der Integrity Europe Konferenz wird sie beleuchten, welche psychologischen und strukturellen, organisationsbezogenen Faktoren es sind, die ein an moralischen Massstäben orientiertes Handeln behindern oder begünstigen.

Nach dem Skandal ist vor dem Skandal: Warum ist das so?

Sehr häufig lässt sich beobachten, dass nach einem Businessskandal Regulierung und Compliance-Massnahmen hochgefahren werden. Doch trotzdem kommen illegale und unethische Geschäftspraktiken wie Betrug, Täuschung, Korruption immer wieder vor.

Denn es sind die menschlichen Schwächen, die in Wechselwirkung mit situativen Gegebenheiten die Entwicklung von Fehlverhalten begünstigen.

Die Verhaltensethik hat zahlreiche psychologische Fallstricke und situationsbedingte Faktoren identifiziert, die dazu beitragen, dass Menschen für ethische Werte blind werden können – zum Teil, ohne es zu merken. Diese Fallstricke und Faktoren aufzuzeigen, ist Carmen Tanner ein wichtiges Anliegen.

Moralische Intelligenz ist die Voraussetzung für persönliches, integres Handeln

Dass in Bezug auf die Prävention von Fehlverhalten nicht nur auf Fremdsteuerung, sondern bewusst auch auf die Förderung von individueller Selbststeuerung gesetzt wird, formuliert Carmen Tanner als weiteres zentrales Anliegen ihres Konferenzbeitrags. Soft Skills wie emotionale und soziale Intelligenz werden schon lange als wichtige Kompetenzen im Berufsalltag angesehen. Hinzugekommen ist die moralische Intelligenz. Sie beschreibt ein Set von psychologischen Fähigkeiten, die es für die Umsetzung von ethischen Werten in die Praxis braucht.

Gemeint ist dabei zum Beispiel die Kompetenz, Verletzungen von Regeln und ethischen Massstäben überhaupt auf dem Radar zu haben, ein sicheres Gespür für ‘richtiges’ Entscheiden zu entwickeln oder den Mut zu besitzen, auch bei Gegenwind für Werte einzustehen. Doch dabei gilt, was für alle Kompetenzen gilt, sie müssen geübt und trainiert werden!

Auch die beste Kontrolle schützt nicht vor Betrügereien

Auch heutzutage wird aus Sicht von Carmen Tanner immer noch vorrangig auf die Vermeidung von Fehlverhalten durch Kontrolle, Überwachung und Sanktionierung gesetzt. Doch mehr und mehr empirische Befunde deuten darauf hin, dass ein primär auf Compliance basierendes Risikomanagement auch unerwünschte Nebeneffekte hervorbringen kann, wie Verlust an Arbeitszufriedenheit und freiwilligem Arbeitsengagement oder Verlust an moralischem Bewusstsein.

Die Leute hören quasi auf mitzudenken.

Eine ethische Firmenkultur muss vom Management gewollt sein

Daher empfiehlt Carmen Tanner, vermehrt auch auf ein auf Integrität gegründetes Wertemanagement zu setzen. Führungskräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Um ethische Werte zu etablieren, braucht es Führungskräfte, die sich aktiv für eine ethische Firmenkultur einsetzen, ethisches Verhalten konsequent vorleben, über Werte ganz konkret kommunizieren und durch Belohnung und Sanktionierung die Einhaltung von ethischen Standards unterstützen.

Mein Tipp an Unternehmen ist deshalb auch, sich unbedingt damit auseinanderzusetzen, welche Werte wo und wie gelebt werden sollen.