5. Mai 2017
von Prof. Dr. Stefan Hunziker, Leiter MAS/DAS Risk Management und Patrick Balmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ.
Schweizer Unternehmen schenken dem Risikoappetit und der Risikotoleranz wenig Beachtung. Nur gerade ein Viertel hat diese vollständig dokumentiert. Dies ist dahingehend erstaunlich, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Risikoappetit und die Risikotoleranz Grundvoraussetzungen für das unternehmerische Handeln und somit das Eingehen von mehr oder weniger Risiko sind. Die Resultate basieren auf den Ergebnissen der «Enterprise Risk Management 2016 – Studie zum Risikomanagement in Schweizer Unternehmen» vom Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern – Wirtschaft und der Swiss Enterprise Risk Management Association – SwissERM.
Bei der Definition des Risikoappetits geht es darum, das akzeptierte unternehmerische Gesamtrisiko festzulegen. Im Zentrum steht die Frage, wieviel Risiko ein Unternehmen einzugehen bereit ist, um die damit verbundenen Chancen wahrzunehmen. Das Aufsichtsorgan und das Management entscheiden sich dabei für ein bestimmtes Mass an Risikobereitschaft zur Realisation der strategischen Ziele und sind sich den damit verbundenen Trade-offs bewusst. Anschliessend kommuniziert das Management den vom Aufsichtsorgan gutgeheissenen Risikoappetit auf allen Ebenen im gesamten Unternehmen. Die Formulierung des Risikoappetits bereitet in der Praxis jedoch grosse Mühe. Einige Unternehmen formulieren die Risikobereitschaft in wenigen Worten z. B. als insgesamt «gering», während andere quantitative Messgrössen (Limiten, z. B. in Bezug auf EBIT, Unternehmenswert, Cash Flow) als geeigneter betrachten. Damit stellt die Risikobereitschaft eigentlich eine sehr wichtige Zielgrösse dar, an welcher das Risikomanagement ausgerichtet wird. Ziel ist es, den Risikoumfang möglichst nahe an den Risikoappetit heran zu manövrieren. Allerdings ist fraglich, ob einfache verbale Formulierungen tatsächlich im täglichen Geschäft handlungsanweisend sind bzw. aus Risikomanagement-Perspektive einen Nutzen generieren.
Nur gerade 25 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen haben ihren Risikoappetit vollständig dokumentiert (vgl. Abb. Risikoappetit). Knapp ein Fünftel hält ihre Risikobereitschaft gar nicht fest. Bei den restlichen 55 Prozent ist der Risikoappetit mangelhaft oder nur ansatzweise dokumentiert. In die gleiche Richtung deuten auch die Resultate einer aktuellen Studie von EY (vgl. EY, 2015, S. 8) bei Finanzinstituten: Die Definierung des Risikoappetits gehört zwar zu den Top-Prioritäten eines CRO, trotzdem geben nur leicht über 40 Prozent an, den Risikoappetit bestimmt und erfolgreich in die Geschäftstätigkeit übertragen zu haben.
In der Praxis wird der Risikoappetit oft mit der Risikotoleranz (Synonym: Risikokapazität) gleichgestellt, obwohl es unterschiedliche Konzepte sind. Anders als der Risikoappetit definiert die Risikotoleranz das Maximum an Risiko, das ein Unternehmen tragen kann, damit es nicht illiquide oder insolvent wird, die gesetzlichen Auflagen nicht mehr erfüllen oder den Verpflichtungen gegenüber den Kunden und Lieferanten nicht mehr nachkommen kann (vgl. Hunziker & Meissner, 2017, S. 29).
Ähnlich wie beim Risikoappetit dokumentiert auch nur ungefähr ein Viertel der befragten Unternehmen die Risikotoleranz (vgl. Abb. Risikotoleranz). Weitere 59 Prozent geben an, die Risikotoleranz lückenhaft dokumentiert zu haben. 32 Unternehmen dokumentieren gar nichts.
Die Unternehmen schenken dem Risikoappetit und der Risikotoleranz wenig Beachtung – diese sind bei der Mehrheit gar nicht oder nur lückenhaft dokumentiert. Dies ist dahingehend erstaunlich, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Risikotoleranz und der -appetit Grundvoraussetzungen für das unternehmerische Handeln und somit das Eingehen von mehr oder weniger Risiko ist. Ohne eine gewissenhafte Fundierung der Strategie auf Basis dieser Werte dürfte für das Management eine klare Linie, inwieweit gewisse Risiken eingegangen werden dürfen, nicht abschliessend nachvollziehbar sein.
Die Ergebnisse der Umfrage lassen darauf schliessen, dass es sich bei der Festlegung der Risikobereitschaft um eine schwierige Aufgabe handelt. Die Praxis zeigt, dass der Risikoappetit häufig nicht klar formuliert wird.
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