9. Mai 2019

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Risikomanagement

Erfolgsfaktor Mensch im Enterprise Risk Management – Teil 7: Affektheuristik

Erfolgsfaktor Mensch im Enterprise Risk Management – Teil 7: Affektheuristik


von Prof. Dr. Stefan Hunziker, Professor für Enterprise Risk Management und Internal Control, und Marcel Fallegger, Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ

Fokussiert sich Ihr Unternehmen auf die richtigen Risiken? Und schätzen Ihre Entscheidungsträger diese so ein, wie sie in Wirklichkeit sind? Diese Fragen gehören zum modernen Enterprise Risk Management (ERM). Dessen Aktivitäten sind nämlich anfällig für kognitive und gruppenspezifische Verzerrungseffekte. Welche dieser Verzerrungen Risk Manager verstehen müssen und wie sich diese in der Praxis effektiv reduzieren lassen, diskutiert eine zehnteilige Blogserie.

Entscheidungsträger stützen sich bei Risikoabwägungen oft auf eine Kombination aus Daten, Wissen und Erfahrung. Ob bewusst oder nicht, verlässt sich unser Gehirn dabei auf unbewusste psychologische Vorurteile. Letztere beeinflussen die Risikobeurteilung und haben damit wesentliche Auswirkungen auf die Erstellung und Abschätzung von Risikoszenarien. Verzerrte Szenarien können dazu führen, dass suboptimale oder gar fatale Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden.

In der heutigen VUCA-Welt stellen solche Verzerrungseffekte, wenn sie nicht aktiv gesteuert werden, selbst ein Risiko für Unternehmen dar. Im Rahmen dieser Blogserie stellen wir 10 für das ERM zentrale kognitive und gruppenspezifische Verzerrungen dar. Im siebten Teil geht es um die Affektheuristik.

Was wird unter der Affektheuristik verstanden?

Affektheuristiken sind eine mentale Abkürzung, in der Menschen Entscheidungen treffen, die stark von ihren aktuellen Emotionen beeinflusst werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um grosse, wichtige oder unbedeutende Entscheide handelt. Es erscheint offensichtlich, dass jemand eher Risiken eingeht oder neue Dinge ausprobiert, wenn er oder sie sich glücklich fühlt. Auch ist es weniger wahrscheinlich, dass Personen schwierige Entscheidungen treffen, wenn sie depressiv veranlagt sind. Wenn sich ein Entscheidungsträger auf sein «Bauchgefühl» abstützt, ist dies typischerweise ein Beispiel für Affektheuristik.

Ein Beispiel aus der Risikobeurteilung in der Finanzwelt zeigt die konkreten Auswirkungen der Affektheuristik: Grundsätzlich sind Rendite und Risiko einer Anlage positiv korreliert. Aktien erzielen in der Regel durchschnittlich höhere Erträge als Staatsanleihen, bei entsprechend höherem Risiko. In einer Studie von Ganzach (2011) beurteilten Finanzanalysten Aktien, mit denen sie gut vertraut waren und solche, mit denen sie keine Erfahrungen aufwiesen. Bei der Aktienanalyse der «vertrauten Aktien» korrelierten die Einschätzungen über Risiko und Rendite positiv, wie erwartet. Im Gegensatz dazu beurteilten die Analysten die Aktien, mit denen sie nicht vertraut waren, als ob die Wertpapiere ganz allgemein gut oder schlecht wären, d. h. tiefes Risiko und hoher Ertrag oder hohes Risiko und tiefer Ertrag. Die Affektheuristik beschreibt in diesem Zusammenhang Entscheidungsprozesse nach subjektiven Gefühlen, die nicht mit den für die Beurteilung eigentlich relevanten Faktoren zusammenhängen.

Affekt-basierte Bewertungen sind ausgeprägter, wenn Entscheidungsträger nicht über die Ressourcen oder die Zeit zum Nachdenken verfügen. Anstatt Chancen und Risiken selbstständig zu betrachten, können Menschen mit einer negativen Einstellung, z. B. zu einer Internationalisierungsstrategie eines Unternehmens, die Chancen als gering und die Risiken als hoch bewerten. Dies führt zu einer negativeren Chancen-Risiko-Korrelation, als sie unter Bedingungen ohne Zeitdruck zu beobachten wäre.

Wie lässt sich der Affektheuristik entgegenwirken?

Um die negativen Auswirkungen der Affektheuristik zu reduzieren, können Risk Manager überprüfen, ob sich Entscheidungsträger zu sehr auf einen einzelnen Vorschlag zur Risikobewertung konzentrieren. Sie können kritische Entscheidungen in ein Gremium mit alternativen Standpunkten einbringen, um Chancen und Risiken zu diskutieren. Unternehmen können zudem auch Entscheidungshilfen nutzen, mit denen verschiedene Faktoren gewichtet und beurteilt werden können.

Bei Risikobewertungen kann es notwendig sein, dass Risikoszenarien von verschiedenen Personen mit unterschiedlichem Hintergrund eingeschätzt werden. Dies könnte beispielsweise durch ein ERM-Komitee realisiert werden. Ein solches Komitee besteht in der Regel aus Führungskräften und Fachexperten aus verschiedenen Funktionen und Geschäftseinheiten. Dadurch soll die Bewertung von finanziellen Folgen, die sich aus einem potenziellen Risikoeintritt ergeben, wesentlich fundierter und vollständiger erfolgen als bei der Bewertung durch einzelne Mitarbeitende.

Wo finde ich weitere Informationen zur Affektheuristik?

  • Finucane, M. L., Alhakami, A., Slovic, P., & Johnson, S. M. (2000). The affect heuristic in judgments of risks and benefits. Journal of Behavioral Decision Making, 13 (1), 1–17.
  • Ganzach, Y. (2001). Judging risk and return of financial assets. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 83, 53–370.
  • Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken (3rd Ed.). München: Siedler Verlag.
  • Montibeller, G., & von Winterfeldt, D. (2015). Cognitive and motivational biases in decision and risk analysis. Risk Analysis, 35 (7), 1230–1251.
  • Shefrin, H. (2016). Behavioral Risk Management. Managing the Psychology That Drives Decisions and Influences Operational Risk. New York: Palgrave Macmillan.

Eine umfassende Auseinandersetzung mit den wichtigsten Verzerrungseffekten im Risk Management wird zudem im Lehrbuch Enterprise Risk Management – Balancing Risk and Reward von Prof. Dr. Stefan Hunziker im Herbst 2019 bei Springer Gabler erscheinen.

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