24. Juni 2024

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Hält die BWL an der Illusion der Berechenbarkeit fest?

Hält die BWL an der Illusion der Berechenbarkeit fest?

Von Jonas Miesner

«Die BWL leidet unter der Illusion der Berechenbarkeit», so war im November 2022 ein Gastbeitrag der Autoren Dr. Franz Schencking und Prof. Dr. Burkhard Schwenker in der F.A.Z. betitelt. Der Beitrag entfachte unter Betriebswirtinnen und Betriebswirten eine Debatte über den Umgang mit unternehmerischer Unsicherheit. Gemäss den Autoren hält der Mainstream der Betriebswirtschaftslehre bis heute an einer Berechenbarkeit fest. Doch die Entwicklung neuer Technologien oder disruptive Veränderungen wie Corona sollten gezeigt haben, dass zukünftige Ereignisse nicht so einfach zu berechnen sind, wie es die BWL gern suggeriert.

Dr. Franz Schencking ist Unternehmer im Bereich erneuerbarer Energien und Forstwirtschaft sowie Herausgeber der Webseite Entrepreneurship-BWL. In seiner Keynote zum 10-jährigen Jubiläum der CARF Luzern 2024 wird er das Thema «BWL von der Unsicherheit her neu denken» präsentieren. Im Mittelpunkt stehen dabei unternehmerische Entscheidungen und die damit einhergehenden Unsicherheiten, die unter Berücksichtigung persönlicher Bedürfnisse toleriert werden können. Erhalten Sie in diesem Beitrag einen ersten Einblick über die Schlussfolgerungen von Herrn Schencking.

Dr. Franz Schencking, Unternehmer im Bereich erneuerbarer Energien und Forstwirtschaft

Von der Realität weit entfernt

Die Darlegungen von Herrn Schencking setzen bei den Funadamenten der Betriebswirtschaftslehre an. Bereits im ersten Semester des BWL-Studiums wird den Studierenden vermittelt, dass Berechnungen im Rahmen von Unternehmensentscheidungen eine zentrale Rolle spielen; vorteilhafte Entscheidungen lassen sich im Voraus berechnen – so der Mainstream. Für Erich Gutenberg galt das zunächst vor allem für die industrielle Produktion – er hatte dabei die unmittelbaren Nachkriegsverhältnisse vor Augen –, aber dann auch für den Vertrieb bis hin zur Wirksamkeit einzelner Instrumente, aber auch unterstützende Funktionen wie das interne Rechnungswesen greifen darauf zurück. Anwendung finden dabei verschiedene Modelle und Tools – neuerdings auch künstliche Intelligenz –, deren «Output» dann als Grundlage vieler Entscheidungen herangezogen wird. Unter anderem zwei Fragen ergeben sich in seinen Augen aus diesen Zusammenhängen: Wenn jedoch eine Entscheidung – ex ante – berechenbar ist, was gibt es dann überhaupt noch zu entscheiden? Und widerspricht sich die BWL durch die blosse Existenz des Controllings nicht selbst?

Die BWL kann nur an Glaubwürdigkeit gewinnen und diese auch beanspruchen, wenn sie sich selbst zunächst eingesteht, dass die Berechenbarkeit der Zukunft eine Illusion ist.

Nach Herrn Schencking wird in der BWL der Umgang mit der Unsicherheit zu einer Frage der Weitsicht und Eignung der Unternehmensführung gemacht und damit suggeriert, dass die Zukunft doch berechenbar sei. Dabei verdeutlicht die Empirie immer wieder, dass die Zukunft nicht so einfach zu berechnen ist; neue Technologien und disruptive Veränderungen wie Corona sind einige Beispiele, die dies belegen können.

Erneuerung der BWL

Hervorgehend aus seinen Schlussfolgerungen bedarf es eines Paradigmenwechsels im Umgang mit Entscheidungen unter Unsicherheit. Es bedarf eines neuen Rationalitätsverständnisses, welches die existenzielle Rationalität liefern kann. Auf deren Grundlage können in der BWL Szenarien berechnet werden, von denen jedoch nur im Ausnahmefall eines tatsächlich eintreten wird. Schencking legt dar, dass die Bedeutung von Berechnungen dadurch keineswegs gemindert wird – im Gegenteil. Angesichts der Unvorhersehbarkeit der Zukunft ist es umso wichtiger, verschiedene Szenarien zu betrachten, wofür fundierte mathematische Kenntnisse notwendig sind. Die BWL muss sich gemäss seiner Schlussfolgerungen eingestehen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit verschiedener denkbarer Szenarien nicht objektiv bestimmbar ist. Ergo kann die finale Entscheidung ebenfalls nicht-berechenbar sein.

Auf die Frage von uns nach einer Verbesserung des Transfers zwischen der akademischen BWL und der Praxis erläuterte Herr Schencking, dass nicht der Transfer selbst heute das Problem sei, sondern die Inhalte. Heute gehe es in der akademischen Welt häufig primär um die Publikation in A-Journals, von denen Karrierechancen abhängen, und nur nachrangig um Wahrheitssuche.

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Quellen:
Schencking, F.; Schwenker, B. (2022). Die BWL leidet unter der Illusion der Berechenbarkeit. In: Frankfurter Allgemeine. Aktualisiert am 13.11.2022.
Schencking, F. (2024). Ein Weckruf für Betriebswirte. In: Frankfurter Allgemeine. Aktualisiert am 26.05.2024.

Wir freuen uns, Herrn Dr. Schencking auf der CARF Luzern 2024 begrüssen zu dürfen und sind gespannt auf inspirierende Diskussionen. Hier geht es zur CARF Luzern 2024.

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