5. Oktober 2012

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Historischer Entscheid der EZB – eine Lagebeurteilung

von Prof. Dr. Maurice Pedergnana
Dozent und Studienleiter am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ

Der Entscheid, der am Donnerstag von den fünf Direktoren und 17 Notenbank-Gouverneuren im 35. Stockwerk der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt getroffen wurde, hätte vor drei Jahren für erhitzte Gemüter gesorgt. Mittlerweile ist aber das gesamte Umfeld so weichgeklopft, dass man als Geldpolitiker offensichtlich zu glauben beginnt, sich fast alles erlauben zu können – selbst wenn es nicht zum eigenen Pflichtenheft zählt.  Die EZB erinnert in ihrer Geschlossenheit an eine eingeschworene Truppe, mit einer Ausnahme, dem deutschen Bundesbankpräsidenten Dr. Jens Weidmann, der als einziger noch einen kühlen Kopf zu bewahren vermag. Das Umfeld erinnert mich an jenen Frosch, der sich im kalten Wassertopf wohl fühlt. Die Temperatur des Wassers wird anschliessend ganz langsam erhöht. Der Frosch reagiert auf die kleinen Unterschiede nicht, bis er weichgekocht im Topf sein Leben lässt. Am Herd steht der EZB-Rat unter dem Italiener Mario Draghi, und dieser spielt immer mehr mit der Temperatur, züngelt mit dem unlimitierten Aufkauf von Staatsanleihen, wohlwissend, dass mit der Staatsfinanzierung ein gigantisches Inflationspotenzial aufgebaut wird. Natürlich wendet er ein, dass dieser Aufkauf an strikte Bedingungen gebunden sei. Solche Einwendungen haben wir in den letzten Jahren immer wieder vernommen, bis sie schliesslich verschwunden sind. Wegradiert, weggestrichen, eliminiert aus jedem Protokoll.

Unter seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet hat der EZB-Rat noch auf Einigkeit gepocht. Widerspruch lässt Mario Draghi kalt. Er weiss die Mehrheit der finanzschwachen Länder hinter sich. Auch das offensichtliche Nichterfüllen von Bedingungen stört ihn nicht. Am 5. August 2011 hatte dieser in einem Brief detaillierte Forderungen an den italienischen Ministerpräsidenten gestellt. Nur gerade einer von sieben Forderungen ist Mario Monti nachgekommen, und auch dieser eher halbherzig. Süchtigmachender Geldsegen Jens Weidmann wehrt sich mit vielen Mitteln. Seine Sprache wird immer deutlicher. Am 27. August 2012 verwies er in einem Interview in aller Deutlichkeit von geldpolitischen Grundsätzen und demokratischen Prinzipien, die zunehmend verletzt würden. Mit dem Aufkauf von Staatsanleihen werde eine Tür geöffnet, die nur sehr schwer wieder zu schliessen sei. Man solle die Gefahr nicht unterschätzen, dass der Geldsegen der Zentralbanken süchtig machen könne wie Drogen.

Die EZB hat sich nun für Drogen entschieden und nicht für den Drogenentzug. Sie wird dafür gefeiert. Weshalb? Kurzfristig herrscht Partystimmung, aber langfristig? Dieser Frage bin ich letzten Freitag in einer Vorlesung nachgegangen. Kann ein vernünftiger, stabilitätsorientierter Langfrist-Investor den US-Dollar als Alternative zum Euro in Erwägung ziehen? Das könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch auch da wird technokratisch an die Wirksamkeit von geldpolitischen Massnahmen geglaubt. Vor zehn Tagen hat der Vorsitzende der amerikanischen Zentralbank Ben Bernanke auf einer grossen Konferenz vor seinen Kollegen verkündet, dass er derzeit daran arbeite, die amerikanische Wirtschaft mit frischem Geld zu fluten. Dass dies auf der Gegenseite auch erhofft wird, gehört zu dieser unsäglichen, gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Arzt und Patient. Ein Arzt, der einem Alkoholiker mehr Schnaps verschreibt, muss um seine Praxisbewilligung bangen. Ein Geldpolitiker, der einem krankhaft verschuldeten Staat die Schuldenmaschinerie finanziert, wird sogar noch von anderen Geldpolitikern gelobt. Die Party von heute geht morgen weiter Lob erhält also ein Zentralbanker mittlerweile dafür, dass er einen Gelegenheitstrinker  zu einem chronischen Alkoholkranken gemacht hat. Derweil nimmt die gigantische Verschuldung der USA jeden Tag in rasantem Tempo zu, deutlich rascher sogar noch als in Europa. Die Verzinsung dieser Schulden wird durch geldpolitische Massnahmen künstlich tief, ja sogar extrem tief gehalten.

Die zerstörerische Kraft dieser ultralockeren Drogen- und Alkoholausgabestelle für Suchtabhängige in Europa wie in den USA ist für Weitsichtige zwar absehbar, aber was kümmert das schon die grosse Mehrheit der Kurzsichtigen. Wichtig ist das Hier und Jetzt. Die Party von heute geht morgen weiter; das Übermorgen scheint niemanden zu interessieren. Doch der Tag der Ernüchterung rückt damit immer näher. Das wird dann aber nicht einfach ein Kater nach einem Rausch sein. Das Aufwachen aus dem Verschuldungs-Eldorado wird zu einer  gigantischen Veränderung führen. Und den Süchtigen droht eine Radikalkur, falls es ihnen überhaupt noch gelingen würde, rechtzeitig aus dem immer heisseren  Topf zu springen. Ich vermute aber, dass es zu viele Frösche gibt.

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Lesen Sie weiter – ein detailiertes Dossier über die Folgen und Auswirkungen des EZB-Entscheids auf die Asset Allocation finden Sie hier

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