Digitale Konsumenten: Vertrauen statt Vernunft

Digitale Konsumenten: Vertrauen statt Vernunft

Digitale Technologien gestalten die Art und Weise wie wir arbeiten und leben neu. Über die Unvernunft digitaler Konsumenten und wie wir damit umgehen könnten.

Algorithmen ermöglichen datengetriebene Produkte und Dienstleistungen, auf die digitale Konsumenten nicht mehr verzichten möchten. Dabei generieren die digitalen Konsumenten Unmengen an Daten, die wiederum von Algorithmen verwendet werden, damit Produkte und Dienstleistungen mehr Wert stiften. Hier schliesst sich der digitale Kreislauf der Daten.

Dabei ändert sich der Fokus von Unternehmen. Es sind vielfach nicht mehr die Produkte und Dienstleistungen, die im Zentrum stehen, sondern die Daten. Es gilt ein Ökosystem von Daten aufzubauen und gewinnbringend einzusetzen. Umso mehr Daten bewirtschaftet werden, desto mehr Lebensbereiche werden berechenbar: Die Gesundheit wird anhand von Zahlen beurteilt und Lebenspartner werden ausgewählt, wenn Profile rechnerisch gut zueinander passen.

Wie erklärt es sich dann, dass gut die Hälfte der digitalen Konsumenten unzufrieden damit sind, wenn sie gezielte Werbung, persönliche Angebote und massgeschneiderte Kommunikation bekommen (Deloitte 2012)? Eine globale Studie der GfK (2017) zeigt, dass 27 Prozent der Konsumenten im Internet bereit sind persönliche Daten im Austausch für Leistungen und Mehrwert herzugeben. 19 Prozent lehnen dies jedoch ab.

Don’t panic

Wieso lehnen Konsumenten es ab ihre Daten für Produkte und Dienstleistungen herzugeben? Sind die digitale Datenflut und der ständige Informationsaustausch etwa der Auslöser für negative Effekte?

Technologische Veränderungen kommen und gehen, sie haben jedoch keinen Einfluss auf langfristig angelegte Programme wie die Evolution. Dass Menschen sich nicht gut an Veränderungen anpassen können, ist ihnen angeboren. Was wie ein fundamentaler Widerspruch klingt, ist Programm. Zwar gibt es negative Effekte, wie Reizüberflutung und andere psychische Beeinträchtigungen bis hin zur vermehrt auftretenden Erschöpfungsdepression. Sie sind jedoch nur aktuelle Momentaufnahmen vor dem Hintergrund der Kräfte, die die Evolution dazu bringen unsere Physiologie zu verändern. Unter dem Druck der technologischen Veränderungen reagiert der digitale Konsument jedoch eigenartig: sein Verhalten entbehrt oft jeder Vernunft.

Heisse Reize, kühle Strategien

Als digitale Konsumenten sind wir unserer Physiologie weitgehend ausgeliefert. Dabei wirken zwei grundsätzlich verschiedene Systeme in unserem Gehirn: Das limbische System sorgt für Bedürfnisse, die es zu befriedigen gilt; das kognitive System dagegen ermöglicht, dass wir nicht jedem Reiz nachgeben. Das kognitive System wird auch als kühl und langsam beschrieben. Dabei geht es um die Fähigkeit, heisse Reize durch das Anwenden rationaler Strategien abzukühlen. Die beiden Systeme beeinflussen und kontrollieren sich gegenseitig, um möglichst ein optimales, der Situation entsprechendes Verhalten, auszulösen.

Das kognitive System ist eine solche evolutiv entstandene Errungenschaft, die es dem Menschen erlaubt, sich auf der Welt besser zurecht zu finden – oder eben sich langsam und zielführend anzupassen. Als Nahrungssuche, Fortpflanzung und eine schnelle Flucht nicht mehr die wesentlichsten, überlebenssichernden Fähigkeiten darstellten, wurde es zu einer Notwendigkeit. Der präfrontale Kortex bezeichnet die Gehirnregion, wo das kognitive System angesiedelt ist. Er ist verantwortlich für das rationale Denken und damit für unser Urteilsvermögen. Hier sitzt der Ursprung unseres Vorstellungsvermögens, von Empathie und Identität. Langzeitstudien belegen, dass das Vermögen sich in der heutigen Welt zurechtzufinden und erfolgreich durchs Leben zu gehen, sehr stärkt davon abhängt, wie gut wir unser kognitives System verwenden können (Mischel 2014).

Die digitale Revolution

Da sich die Umgebung schneller zu verändern scheint, als unser Gehirn, stellt sich die Frage, ob unsere Steuertechnik noch gut funktioniert. Mit fundamentalen Veränderungen in seiner technologischen Umwelt hatte der Mensch zuletzt bei der industriellen Revolution zu kämpfen. Die Arbeitsweise und das tägliche Leben haben sich dadurch vollkommen verändert. Dennoch vermochten wir es, uns an die neue Situation anzupassen. Mit der digitalen Revolution verhält es sich nun anders. Die Folgen dieser Revolution sind noch nicht voll spürbar, aber die Architektur unseres Gehirns ist nicht bereit das Potential der Digitalisierung auszuschöpfen. Neue Infrastrukturen, neue Regeln und eine neue Form der individuellen Entscheidungsfindung sind nötig, um die entstehenden Lücken in unseren Fähigkeiten auszufüllen.

«[Es] stellt sich – erstmals seit dem Beginn der Aufklärung – wieder die Frage, ob der Mensch wirklich gut beraten ist, wenn er sich bei seinen Entscheidungen alleine auf Verstand und seine Fähigkeiten zum rationalen Denken verlässt», (Hüther 2010: S. 85).

Der digitale Konsument zeigt in zahllosen Situationen des digitalen Alltags deutliche Anzeichen von Unvernunft. Die Ära des rationalen Verstandes und damit die Grundlage für neoklassische Modelle der Ökonomie ist endgültig vorbei.

Sind stabile Verbindungen in sozialen Netzwerken möglich?

Die sozialen Netzwerke sind eine der wichtigen Errungenschaften der digitalen Revolution. Die Nutzerzahlen der führenden sozialen Netzwerke wie Facebook, LinkedIn oder WeChat lassen annehmen, dass kaum ein Mensch existiert, der sich solcher Dienste erwehren kann. Dieser Erfolg ist quasi vorprogrammiert, denn der Mensch als solches ist ein soziales Wesen und das menschliche Gehirn ist quasi ein Sozial-Organ. Nach einigen Jahren Erfahrung mit diesen Netzwerken stellt sich mir die Frage, ob die Massen diese Netzwerke richtig nutzen. Werden die sozialen Netzwerke noch zu ihrem angedachten Zweck verwendet? Wie gehen digitale Konsumenten mit den Inhalten um, die in den sozialen Netzwerken gestreut werden?

Der Anthropologe und Evolutionspsychologe Robin Dunbar fand heraus, dass ein Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit des Gehirns und der für unser Empfinden noch sozial pflegbaren Grösse einer Gruppe besteht (Dunbar 1992). Er konnte zeigen, dass die Anzahl Individuen begrenzt ist, mit denen ein Individuum stabile soziale Beziehungen pflegen kann. Bezogen auf den Menschen liegt diese Grenze bei ca. 150 Personen. Diese Zahl taucht in diversen Zusammenhängen immer wieder auf. So beispielsweise bei Grundeinheiten von modernen Armeen, aber auch bereits im antiken Rom. Firmen in der Unternehmensberatung, wie die Boston Consulting Group, verwenden diese Einheit ebenfalls um Organisationen strategischer zu gestalten.

Da die Technologie nun aber suggeriert, dass die Anzahl Freunde, Verbindungen oder Follower unbegrenzt ist, wachsen die individuellen Netzwerke ungebremst.

Auch für die Anbieter sozialer Netzwerke gilt, dass die Daten zunehmend in den Fokus geraten, um sie gewinnbringend einzusetzen. Der soziale Feed, also der individuelle Kanal, wird auf Kosten der Relevanz der gefilterten Updates kommerzialisiert. Dies führt dazu, dass der ursprüngliche Zweck hinter dem Geschäftsmodell nicht mehr erreicht werden kann. Die Untersuchungen zu einer möglichen Beeinflussung der amerikanischen Präsidentschaftswahl, die Donald Trump zum Präsidenten machte, zeigten, dass soziale Netzwerke dazu verwendet wurden, Meinungen zu beeinflussen (U.S. House of Representatives 2017). Ein vernünftiger Umgang mit diesen Technologien scheint dem digitalen Konsumenten kaum noch möglich. Das eigentlich soziale Medium, wird durch verantwortungslose Nutzung, Kommerzialisierung und beeinträchtigte Netzneutralität zu einem Mittel der Meinungsvereinheitlichung und Manipulation.

Die Unvernunft entsteht bei der Vereinfachung unserer Entscheidungen

In neuronalen Netzwerken treffen unzählige Knoten oft selbstständig Entscheidungen, die aus einem Input einen Output generieren.

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Der digitale Raum setzt die Konsumenten einer Flut von Informationen aus. Die Balance zwischen der Hingabe zu heissen Reizen und deren gezielte Abkühlung wird dadurch enorm strapaziert: Aus der Informationsflut müssen Signale herausgefiltert werden. Diesen haftet oft zu wenig Sinn an. Das Gehirn muss in der Folge die Signale zu einer Geschichte mit Inhalt verdichten und daraus eine Entscheidung ableiten. Es speichert mit der Zeit Entscheidungsmuster ab, die beeinflussen, wie wir die Welt wahrnehmen. Um diese Prozesse zu beschleunigen und teilweise sogar zu ersetzen, übernehmen so genannte «Bias» die Bewertung von Informationen. Diese kognitive Voreingenommenheit ist oftmals für das irrationale Handeln im digitalen Raum verantwortlich. Unser System Entscheidungen zu treffen wird dadurch angreifbar.

Vertrauen statt hinterfragen

«Diese Bereitschaft einer Partei sich gegenüber Handlungen einer anderen Partei verletzbar zu machen, ist nichts anderes als Vertrauen», (Mayer et al. 1995).

Wenn digitale Konsumenten persönliche Daten preisgeben, ohne dies zu hinterfragen, besteht ein gewisses Vertrauen gegenüber dem Anbieter. Die bekannten Vertrauens-Signale sind im digitalen Raum jedoch ungültig oder schwer zu erkennen.

Vertrauen ist kaum direkt beeinflussbar, sondern vielmehr von individuellen und gesellschaftlichen Erfahrungen abhängig (vgl. McKnight et al. 2002). Daraus folgt eine individuelle Vertrauensbereitschaft. Sie beruht einerseits auf Gedanken- oder Verhaltensmustern, die individuelle Erfahrungen kategorisieren, einordnen und verbinden. Daher fällt es manchen Personen leichter zu vertrauen, sich also dem Risiko der Verletzbarkeit durch die Handlungen anderer auszusetzen, als anderen Menschen. Weiterhin gibt es gesellschaftliche Faktoren, die die Bereitschaft zu Vertrauen beeinflussen. Das ist das institutionalisierte Vertrauen. Dieses erklärt zum Beispiel auch, warum sich junge Leute («digital natives») online besser zurechtfinden oder sich zumindest leichter online bewegen. Ihre Wahrnehmung von Normalität ist anders als diejenige von älteren Personen. Sie empfinden es als normal, persönliche Daten unhinterfragt preiszugeben. Institutionalisiertes Vertrauen wird zudem von struktureller Zusicherung wie etwa dem Rechtssystem beeinflusst.

Fazit

Wenn also immer mehr Geschäftsmodelle darauf beruhen persönliche Daten der Konsumenten zu verwerten, dann besteht Handlungsbedarf. Wenn der Dienstleistungssektor durch die Automatisierung so deutlich verändert wird wie prophezeit, wird dieser Handlungsbedarf sogar noch dringender. Wir können nicht darauf hoffen, dass unser Verstand uns leitet. Wir werden unvermeidbar irrational handeln und uns dabei nicht nur Gutes tun.

Im Umgang mit Daten sollten Firmen verstärkt auf Vertrauen setzen. Sie sollten eine langfristige, vertrauensbasierte Beziehung zu digitalen Konsumenten aufbauen und sich dabei ihrer Verantwortung bewusst sein.

Die digitalen Konsumenten müssen ihre Entscheidungsprozesse anpassen. Das gelingt beispielsweise mit neuen Technologien, die Informationen so verarbeiten, dass die persönlichen Daten geschützt werden oder Prozesse kaum Vertrauen verlangen. Entsprechende Transaktionen ermöglicht etwa die Blockchain-Technologie. Allerdings bleiben die Ansprüche an eine hohe Medienkompetenz der Konsumenten bestehen.

Schlussendlich besteht durch die digitale Transformation besonderer Nachholbedarf bei Regierungen und Gesetzgebern. Denn sie stellen die Infrastruktur für den Informationssektor (quartärer Sektor) zur Verfügung. Das beginnt bei der Hardware, die bereitgestellt werden muss, wie Glasfasernetze und leistungsstarke drahtlose Kommunikationsstandards. Digitale Konsumenten müssen zudem in oben genannter Medienkompetenz geschult werden. Und die Rechtssicherheit für den digitalen Raum muss angepasst und bereitgestellt werden. Gerade hinsichtlich des letzten Punktes werden in diesem Jahr die Weichen neu gestellt. Die Europäische Union wird mit der Datenschutz-Grundverordnung und die Schweiz mit der Revision des Bundesgesetzes über den Datenschutz einen wichtigen Beitrag leisten.

Erfahren Sie mehr über die Bedeutung und Funktionsweise von Vertrauen im digitalen Raum unter www.iceberg.digital/

Literatur

  • Accenture, 2014, CMT Digital Consumer Survey.
  • Acquisti, A., Grossklags, J., 2005, Privacy and rationality in individual decision making. Security & Privacy, IEEE 3 (1): 26-33.
  • Deloitte, 2012, Data nation 2012, Analytics paper.
  • Dunbar, R., 1992, Neocortex size as a constraint on group size in primates, in: Journal of Human Evolution, 1992, Vol. 20, S. 469-493.
  • Dunbar, R., (1993), Coevolution of neocortical size, group size and language in humans. Behavioral and Brain Sciences 16 (4): 681-735.
  • GfK, 2017, Global GfK Survey, Willingness to share personal data in exchange for benefits or rewards.
  • Gross, P., 1994, Die Multioptionsgesellschaft, Suhrkamp.
  • Hüther, G., 2010, in: Perspektiven der Humanität – Menschsein im Diskurs der Disziplinen. Rüsen, J. (Hg.), Transcript, S. 85.
  • Helbing, D., 2015, Thinking Ahead, Essays on Big Data, Digital Revolution, and Participatory Market Society. Springer.
  • Kahneman, D., 2011, Thinking, fast and slow, Penguin.
  • Mayer, R. C., Davis, J. H., Schoorman, D. F., 1995, An integrative model of organisational trust. Academy of Management Review 20 (3): 709-734.
  • McKnight, D. H., Choudhury, V., Kacmar, C ., 2002, Developing and validating trust measures for e-commerce: An integrative typology. Information systems research 13 (3): 334-359.
  • Mischel, W., 2014, The Marshmallow Test: Why Self-Control Is the Engine of Success. Little, Brown and Company.
  • Simon, H. A., 1997, An empirically-based microeconomics. Cambridge University Press.
  • U.S. House of Representatives Permanent Select Committee on Intelligence, online, Stand: 19.12.2017.

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