Die Digitalisierung steigert oftmals die Effizienz in Unternehmen, reduziert aber gleichzeitig die sozialen, persönlichen Interaktionen zwischen Unternehmen und Kunden. Sich durch persönlichen Kundenkontakt zu differenzieren, ist aus meiner Sicht eine grosse Chance. Wie Firmen dies tun können und weshalb der persönliche Kundenkontakt immer stärker zum Extra wird, lesen Sie in meinem Blogbeitrag.
Das primäre Ziel der Digitalisierung liegt sehr oft darin, Kosten zu sparen. Durch digitalisierte Prozesse lassen sich Schnittstellen vermindern, wodurch sich die Fehleranfälligkeit und die Gefahr von Redundanzen reduziert. In der Leistungserstellung lassen sich Humanressourcen einsparen: der bediente Bankschalter weicht dem Bancomat und dem Online-Banking.
Die Folgen: Die Notwendigkeit zur persönlichen Interaktion oder deren spontanes Zustandekommen wird reduziert. Zum Beispiel «ersparen» mir die Digitalisierung interner Prozesse ein mich persönliches Abstimmen mit Kolleginnen und Kollegen anderer Abteilungen. Oder zurück zum Bancomat: als Konsumentin oder Konsument werde ich immer häufiger unpersönlich bedient.
Aus einer Marketingperspektive betrachtet, heisst das für mich: Das grundsätzliche Bedürfnis nach Sich-in-Beziehung-Fühlen wächst resp. dessen Unterversorgung nimmt zu. Ein generelles Ziel von Marketing sehe ich darin, Bedürfnisse von Kunden besser als die Mitbewerber zu befriedigen – und sich damit von diesen abzuheben.
Wenn sich die meisten Unternehmen auf die Digitalisierung konzentrieren, wird es aus meiner Sicht einfacher, Kunden auf der Beziehungsebene anzusprechen und abzuholen als die Mitbewerber. Meines Erachtens ist das mittelfristig ein riesiges Erfolgspotential.
Vielleicht denken Sie sich nun, auch eine intelligente Maschine könnte das übernehmen. Schliesslich kann ein Roboter sogar Postkarten schreiben, die genauso persönlich und handgeschrieben daherkommen wie eine vom Menschen geschriebene Postkarte. Können wir die Interaktionen also künftig den Robotern überlassen?
Natürlich nicht, oder zumindest nur teilweise. Denn auch mit der vermeintlich handgeschriebener Postkarte erreichen wir Kunden nicht auf Beziehungsebene. Die persönliche Interaktion wird lediglich simuliert – eine zwischenmenschliche Beziehung kommt nicht zustande.
Der persönliche, zwischenmenschliche Kundenkontakt wird folglich immer stärker zum Differenzierungsmerkmal. Ich beobachte in vielen Fällen, dass der verbleibende persönliche Kundenkontakt gar zusätzlich auf das soziale Erlebnis optimiert. Gut zu sehen ist dies bei den Banken: die wenigen verbleibenden Menschen empfangen den Kunden immer weniger hinter unpersönlichen und sperrigen Bankschaltern, sondern immer häufiger in einem Umfeld, das Wohnzimmeratmosphäre assoziiert.
Doch diese Atmosphäre, der persönliche Kontakt wird in vielen Fällen zum Extra, für die der Kunde bezahlen muss – sei es die Telefonhotline oder eine persönliche Beratung vor Ort. Dies kann auch Bestandteil eines Servicepaketes sein, dessen Mehrwert ich als Konsument explizit wähle und zusätzlich bezahle (z.B. priorisierter Kundenservice beim Premium-Abo der viel beachteten Online-Bank Revolut). Natürlich gibt es auch Ausnahmen. In vielen Berufen, nehmen wir den Coiffeurbesuch oder die Taxifahrt als Beispiel, ist der persönliche Austausch bereits inklusive und ein zentraler, meist erwarteter Bestandteil ihrer Leistung.
Wieviel persönliche Betreuung eine Firma anbieten kann, ist – wenig verwunderlich – auch eine Frage des Geldes. Je mehr wir uns in Richtung Luxus positionieren, desto tendenziell wichtiger weil selbstverständlicher wird die persönliche Komponente in der Leistungserbringung. Auch hochpreisige Sachleistungen werden immer stärker mit sozialen Interaktionen und fürsorglichen Erlebnissen angereichert. Ein eindrückliches Beispiel zeigt Salesforce in ihrem Referenzvideo über Bugatti. Die (persönliche) Sorge um den Kunden im ganzen Lebenszyklus ist bei Bugatti fester Bestandteil der Leistung und wird vom Kunden vermutlich auch erwartet.
Im Zeitalter der Digitalisierung sehe ich folgende drei Möglichkeiten, die persönliche Interaktionen bewusst zu fördern:
Dort wo soziale Interaktionen fester Bestandteil des Geschäftes oder der Leistungserbringung sind, häufig im B2B resp. gegenüber von Geschäftskunden, bei beratungsintensiven Leistungen im B2C oder im Dienstleistungsbereich, ist es umso wichtiger, Mitarbeitende mit Kundenkontakt für die erfolgskritische Bedeutung der sozialen Interaktion zu sensibilisieren und dazu zu befähigen.
Ich empfehle Unternehmen, sich fundiert mit der Kundenreise (Customer Journey) der unterschiedlichen Kundengruppen auseinanderzusetzen. Dieser Ansatz zwingt einem, sich in die Perspektive des Zielpublikums zu versetzen. Dies fällt uns erfahrungsgemäss umso schwieriger, je stärker wir uns auf technische Aspekte fokussieren – was bei der Digitalisierung von Prozessen der Fall ist. Erst in der konsequenten Auseinandersetzung mit meiner Leistung aus der Kundensicht, erkenne ich deren Möglichkeiten, dem Bedürfnis nach sozialer Resonanz Rechnung tragen zu können.
Dass es zur Wahrung unseres zukünftigen Wohlstandes notwendig ist, mit der technologischen Entwicklung (Digitalisierung) Schritt zu halten, die uns in fast allen Lebensbereichen grundsätzliche Veränderungen abverlangt (digitale Transformation), bezweifle ich nicht.
Mich erstaunt jedoch, dass ich in keinem Artikel, Blogbeiträgen, Diskussionen und Kommentaren zur digitalen Transformation jemals der Frage begegnet bin, in welchem Ausmass wir unsere Welt überhaupt digitalisieren wollen. Bewegungen wie Digital Detox interpretiere ich als Ausdruck eines individuellen Bedürfnisses nach weniger digital. Auf gesellschaftspolitischer Ebene vermisse ich jedoch in Bezug auf die Digitalisierung die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Welt in Zukunft aussehen und funktionieren soll resp. wie wir diese gestalten wollen, damit wir und unsere Kinder sich in ihr wohlfühlen werden.
Kommentare
3 Kommentare
Raymond Dettwiler
21. November 2019
Interessante Beobachtungen, jedoch gibt es schon wissenschaftliche Beiträge über das Verhältnis zwischen Digitalisierung und Gesellschaft, ausserhalb der BWL: D. Baecker, 2018, 4.0 oder die Lücke, die der Rechner lässt; oder A. Nassehi, 2019, Muster.
Friedrich Schneider
7. Oktober 2019
Wirklich sehr interessanter Beitrag. Mit vielen Punkten stimme ich überein. Es ist meiner Ansicht nach wichtiger denn je, persönliche Kommunikation in den Verkaufsprozess einfließen zu lassen. Nur muss man hierbei differenzieren, ab wann die persönliche Kommunikation wirklich Sinn ergibt. Gerade in frühen Phasen der Buyers Journey wollen Interessenten oft nicht vom Vertrieb angesprochen werden. Dies kann dann sogar kontraproduktiv wirken und den Interessenten vergraulen, z.B. wenn der Vertrieb direkt nach Download eines Whitepapers telefonisch Kontakt aufnimmt. Umso wichtiger ist es jedoch in spätere Phasen der "Kundenreise" vom automatisierten Kontakt zum persönlichen Kontakt zu wechseln - dann aber bestens vorbereitet und wissend, was die Wünsche und Ziele des potenziellen Kunden sind. Viele Grüße, Friedrich Schneider
Michael Kreuzer
7. Oktober 2019
Da stimme ich Ihnen gerne zu, Herr Schneider. Haben Sie vielen Dank für Ihren wertvollen Hinweis und seien Sie herzlich gegrüsst Michael Kreuzer
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.