Im Rahmen eines Forschungsprojektes werden authentische Mitarbeitendengespräche videografisch analysiert. Der Blick hinter die Kulissen verrät, wie Mitarbeitendengespräche in der beruflichen Praxis ablaufen, welches die Klippen sind und wie man die Gespräche gewinnbringend gestalten kann.
In fast allen Unternehmen gibt es Mitarbeitendengespräche. Grosse Hoffnungen werden mit ihnen verbunden: Die Mitarbeitenden sollen ein Feedback für ihre Arbeit bekommen, sich noch stärker mit dem Unternehmen identifizieren, Wünsche und Vorschläge anbringen können, anspornende Ziele erhalten, gefördert und motiviert werden. Das Mitarbeitendengespräch wird aber auch gefürchtet oder als leidige Pflichtübung betrachtet oder bietet gar Anlass zu Konflikten, vor allem wenn es lohnrelevant ist.
Viele Vorgesetzte werden kaum darauf vorbereitet, Mitarbeitendengespräche zu führen, und behelfen sich allenfalls mit der reichlich vorhandenen Ratgeberliteratur. Gerne würden sie Einblick in die Praxis anderer Vorgesetzter bekommen, wie diese die Gespräche führen und was sich bewährt.
Diesen Blick hinter die Kulissen bietet jetzt ein Forschungsprojekt, das am IKM durchgeführt wird. Im Projekt «Videografierte Berufspraxis für die Wirtschaft» werden echte Mitarbeitendengespräche auf Video oder Audio aufgenommen und transkribiert. Mehrere Sprachwissenschafterinnen und ein Student der Arbeits- und Organisationspsychologie analysieren und vergleichen die aufgenommenen Gespräche in Datensitzungen. Auf diese Weise können sie herausarbeiten, wie die Mitarbeitendengespräche in der Praxis umgesetzt werden, welche Formen der Gesprächsführung sich bewähren und wo die Fallstricke lauern.
Ein erstes Ergebnis aus den Analysen: In fast allen Mitarbeitendengesprächen kommt ein von der Organisation vorgegebenes Formular zum Einsatz. Dieses garantiert eine einheitliche Behandlung der Mitarbeitenden. Die schriftlichen Dokumente binden aber auch viel Aufmerksamkeit, schränken den Blickkontakt ein (vgl. Screenshot) und verhindern einen freien Austausch. Fast alle Vorgesetzten distanzieren sich in irgendeiner Form von dem Formular. So sagt ein Vorgesetzter in einem Treuhandbüro, er habe das neue Formular gerade erst bekommen, und «es ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss». Die Vorgesetzte in einem Berufsbildungszentrum meint leicht ironisch: «Ich habe mal meine Kreuzchen gemacht und du auch.»
Zwei Unternehmen verzichten auf einen Bewertungsbogen. In einem freien Gespräch besprechen die Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitenden die wichtigsten Punkte: Rückblick, Wünsche und Anregungen, Arbeitsbeurteilung, Verbesserungsmöglichkeiten und nächste Ziele. Diese Gespräche sind viel kürzer als die anderen, erwecken aber nicht den Eindruck, als würde irgendetwas fehlen. Über Sinn und Zweck der Formulare kann demnach durchaus diskutiert werden.
Obwohl die untersuchten Vorgesetzten alle gut vorbereitet sind und ihren Mitarbeitenden wohlwollend gegenüberstehen, fällt es ihnen offenbar schwer, sie zu loben. Einige beginnen rasch und wie beiläufig die aufgeschriebenen, positiven Punkte vom Formular abzulesen oder fallen gar in eine Art leierndes und damit abwertendes Sprechen. Überzeugender ist da eine Vorgesetzte, die positive Punkte deutlich herausstellt: «Für mich ist bei dir ganz klar, wie schon letztes Jahr, die Fachkompetenz bei einer vier, also übererfüllt; über das Funktionsnotwendige hinaus.»
Auch das Anbringen von Kritik bringt die Vorgesetzten teilweise ins Schleudern. Ein Vorgesetzter redet endlos um den heissen Brei, um dem jungen Angestellten zu vermitteln, dass seine Berichte noch nicht unterschriftsreif sind. Zudem zeigt er so viel Verständnis für dessen Schwierigkeiten, dass die Kritik völlig verwässert wird. Eine Vorgesetzte in einem Reisebüro tritt dagegen extrem forsch auf und traktiert die Mitarbeiterin mit harsch wirkenden Forderungen: «Das musst du dir wirklich noch abgewöhnen; mach das nicht.» Kritik sollte weder verwässert noch allzu harsch geäussert werden, sondern präzise formuliert und mit konkreten Beispielen belegt werden.
Auch die Mitarbeitenden tun sich schwer damit, sich positiv zu bewerten. Die Mitarbeiterin im Reisebüro sagt mit leiser Stimme: «Ja, ist glaub nicht so schlecht», worauf die Vorgesetzte sie auffordert, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Dass ein selbstbewusstes Auftreten zu einem für sie positiven Resultat führen kann, beweist die gestandene Mitarbeiterin im Berufsbildungszentrum. Weil sie darauf beharrt, dass sie mit den belastenden Veränderungsprojekten kompetent umgegangen sei, erhöht die Vorgesetzte nach einer kurzen Verhandlung die Bewertung auf die höchste Stufe.
Ein Feedback von den Mitarbeitenden an die Adresse des Vorgesetzten sowie eine Rubrik «Wünsche und Verbesserungsvorschläge» fehlen in den meisten aufgenommenen Gesprächen. Wo sie vorkommen, begnügen sich die Mitarbeitenden mit zwei Sätzen und verstummen wieder. Die Vorgesetzten haken in diesen Fällen nicht nach. Damit wird die Chance vertan, konstruktive Kritik und Impulse für eine Verbesserung der Organisation zu bekommen.
Anders läuft diesbezüglich der Dialog in einem Technologiekonzern, welcher das Jahresgespräch durch alle zwei Monate stattfindende «Wachstumsgespräche» ersetzt hat. Hier nehmen die Wünsche und Verbesserungsvorschläge des Mitarbeiters breiten Raum ein.
Dozentin am Institut für Kommunikation und Marketing
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