Bei einem kürzlichen Gespräch mit einem Kollegen über das Thema KI fiel folgende Aussage: „Wenn KI nicht im Titel steht, wird das vom Management kaum beachtet.“ Es ist tatsächlich so, dass sich momentan vieles um künstliche Intelligenz (KI) dreht – auch im Bereich User Experience (UX). Folglich stellt sich für uns die Frage, wie und wo KI in dem Bereich sinnvoll eingesetzt werden kann, um sowohl den Projektbeteiligten als auch den zukünftigen Nutzer:innen Vorteile zu verschaffen.
Die Integration von KI in den UX-Prozess ist ein wichtiges Forschungsfeld der UX Research Group am Immersive Realities Research Lab an der HSLU Informatik. Aktuell unterstützen wir in diesem Bereich diverse Forschungsarbeiten und -projekte. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Bachelorarbeit von Daniela Egli. In ihrer Arbeit hat sie untersucht, in welchen Bereichen des standardisierten UX-Vorgehensmodells (ISO 9241 Teil 210) KI sinnvoll integriert werden kann und welche Tools und Strategien sich dafür eignen.
Dabei hat sich gezeigt, dass KI in allen vier Phasen des UX-Prozesses Potenzial hat. Sowohl in der Nutzungskontextanalyse, der Anforderungsspezifikation, der Entwicklung von Designlösungen als auch in der Evaluation. Schauen wir uns das genauer an.
Schritt 1: Nutzungskontextanalyse
Die Nutzungskontextanalyse ist die erste Phase und bildet die Basis für den gesamten UX-Prozess. Ziel ist es, die Nutzer:innen und ihre Bedürfnisse sowie den Kontext, in dem sie das Produkt verwenden werden, besser zu verstehen. Hier kann KI verschiedene Aufgaben unterstützen, die sonst zeitaufwändig und mühsam wären. Konkret kann KI hier in folgenden Bereichen unterstützen:
Durch den Einsatz von KI in der Nutzungskontextanalyse wird der Einstieg in den UX-Prozess effizienter, ohne dabei die Qualität zu mindern.
Schritt 2: Anforderungsspezifikation
In der zweiten Phase geht es darum, konkrete Anforderungen zu definieren, die aus den Erkenntnissen der Nutzungskontextanalyse abgeleitet werden. Auch hier kann KI wichtige Arbeitsschritte übernehmen. Beispiele für den Einsatz von KI in dieser Phase sind:
Diese Beispiele zeigen, dass KI nicht nur zeitaufwändige Aufgaben automatisieren kann, sondern auch tiefere Einblicke in die Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer:innen ermöglicht, wodurch eine gezieltere und präzisere Anforderungsspezifikation möglich wird.
Schritt 3: Entwicklung der Designlösung
Jetzt geht es an die eigentliche Designentwicklung. Hier entfaltet KI ihr volles Potenzial, vor allem wenn es darum geht, kreative Aufgaben zu unterstützen und den Designprozess effizienter zu gestalten. Beispielsweise kann KI bei der Generierung von Texten, Bildern oder sogar ganzen Wireframes und Sitemaps behilflich sein. KI-Tools können in dieser Phase folgende Aufgaben übernehmen:
Ein spannender Aspekt in dieser Phase ist die Fähigkeit der KI, das „weisse Blatt“ zu überwinden und erste Ansätze zu liefern, die den kreativen Prozess anstossen. Wir kennen es alle, es ist deutlich einfacher, einen bestehenden Entwurf zu optimieren, als bei Null zu starten.
Schritt 4: Evaluation
In der letzten Phase, der Evaluation, geht es darum, die entworfene Lösung zu testen und zu bewerten, ob sie den Anforderungen und Bedürfnissen der Nutzer:innen gerecht wird. Bisher wird KI in dieser Phase eher zurückhaltend eingesetzt. Aktuell beschränkt sich der Einsatz hier meist auf:
Aber hier zeigt sich ein interessanter Punkt: Die Philosophie der UX betont nach wie vor den direkten Kontakt mit realen Nutzer:innen, um authentisches Feedback zu erhalten. Trotzdem könnte KI auch in diesem Bereich zukünftig eine wichtige Ergänzung sein, vor allem wenn es darum geht, Tests zu automatisieren und schneller erste Ergebnisse zu liefern.
Neben den konkreten Schritten des UX-Prozesses eröffnet die Integration von KI auch neue Möglichkeiten, die das Design insgesamt beeinflussen können. Ein zentrales Thema ist das datengetriebene Design. KI erlaubt es, Entscheidungen auf der Basis von realen Nutzerdaten zu treffen, was zu Designs führt, die besser auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer:innen abgestimmt sind.
Ein weiterer spannender Aspekt ist, dass KI Arbeiten in neuen Themenbereichen zugänglich macht. UX-Professionals können durch KI-gestützte Analysen und Empfehlungen in Bereichen arbeiten, in denen sie bisher wenig oder gar kein Wissen hatten. Das erweitert ihre Flexibilität und ihr Entwicklungspotenzial erheblich.
Der Einsatz von KI im UX-Prozess bringt viele Vorteile mit sich, doch es ist wichtig, auch kritisch zu bleiben. Eine der wichtigsten Kompetenzen in diesem Zusammenhang ist das Prompting (bzw. Prompt Engineering) – das Schreiben der richtigen Anweisungen für die KI, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Es zeigt sich, dass KI vor allem in der Variantenbildung und bei kreativen Prozessen grosse Potenziale hat, aber auch neue Herausforderungen mit sich bringt, etwa in Bezug auf notwendige Kompetenzen und die Anpassung an neue Arbeitsweisen.
Die Zukunft der UX wird sich zweifellos weiterentwickeln und KI wird dabei eine immer wichtigere Rolle spielen. Doch gerade in der Evaluationsphase bleibt der direkte Kontakt mit realen Nutzer:innen eine zentrale Komponente. UX ist und bleibt ein menschzentrierter Prozess – auch wenn KI viele Aufgaben übernimmt, wird das Feedback echter Nutzer:innen durch nichts zu ersetzen sein.
In diesem Sinne: Nutzen wir die Vorteile der KI, bleiben aber auch wachsam gegenüber den automatisierten Ergebnissen. Denn am Ende entstehen die besten Ideen oft immer noch im direkten Dialog mit den echten Nutzer:innen.
Mehr Informationen und konkrete Tipps zur erfolgreichen Integration von KI im UX-Prozess gibt es in unserem neuen modularen CAS User Experience Management.
Kommentare
2 Kommentare
Dave Weiss
8. Oktober 2024
Vielen Dank für den wunderbaren Beitrag. Er war äusserst spannend zu lesen. Eine Frage hätte ich: Welche Tools werden genau genutzt, um diese Prozesse mit KI zu verwirklichen (Bspw.: Automatische Erstellung von Personas, Designlösungen wie Wireframes und Interface-Designs)? Vielen Dank und ich freue mich auf Ihre Antwort.
Marcel Uhr
8. Oktober 2024
Hallo Dave Weiss, ich wollte bewusst nicht in die Ebene der Tools "abdriften", denn ich bin sehr davon überzeugt: "a fool with a tool, is still a fool" ;-), es geht also grundsätzlich nicht um Tools, sondern mehr um die Prinzipien und Hypothesen dahinter. Und dann kommen ja auch fast wöchentlich neue Tools dazu. Im CAS werden wir dann aber konkret auf aktuelle Tools eingehen und diese auch einsetzen und mit den "klassischen" Methoden vergleichen.
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.