28. März 2025
Wie beeinflussen historische Handelsströme Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen bis in die Gegenwart? Welche Spuren hinterliess der Zweite Weltkrieg in den Wirtschafts- und Umweltstrukturen Ostafrikas – und welche Rolle spielten europäische und Schweizer Unternehmen dabei? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts «The Lasting Scars of War». Im Interview mit Clara-Maria Seltmann sprechen wir über die langfristigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgen kolonialer Handelsdynamiken.
Die Hochschule Luzern – Wirtschaft ist bekannt für ihre Expertise in Management, Banking & Finance sowie Marketing & Mobilität. Warum beschäftigt sie sich mit einem Forschungsprojekt zu kolonialen Handelsketten und Umweltfolgen in Ostafrika?
Globale Wirtschaftsbeziehungen hatten schon immer soziale und ökologische Auswirkungen – und haben sie noch heute. Wer in nachhaltigem Management, internationalem Handel oder Wirtschaftspolitik tätig ist, muss verstehen, wie vergangene Handelsdynamiken die Gegenwart beeinflussen. Unser Projekt «The Lasting Scars of War» untersucht, wie der Zweite Weltkrieg diese Dynamiken beschleunigte und langfristige Spuren hinterliess. Dabei zeigt es nicht nur die langfristigen Auswirkungen kolonialer Wirtschaftsstrukturen, sondern auch, warum eine verantwortungsvolle, nachhaltige Wirtschaftspolitik heute unerlässlich ist. Denn Schweizer und europäische Unternehmen sind auch heute Teil globaler Lieferketten und stehen vor der Herausforderung, sie nachhaltiger zu gestalten.
Die Vergangenheit zeigt, wie kurzfristige wirtschaftliche Interessen langfristige Schäden anrichten können. Während der Kolonialzeit wurden natürliche Ressourcen intensiv genutzt, ohne ökologische Folgen zu bedenken. Dieses Muster setzt sich heute in vielen globalen Lieferketten fort: Produktionsstandorte sind wirtschaftlich abhängig, während die Umweltkosten vor Ort bleiben. Wir in Europa konsumieren Güter, deren Anbau in den Herkunftsländern gravierende ökologische Konsequenzen haben kann. Nachhaltige Wirtschaft bedeutet, aus diesen Fehlern zu lernen und wirtschaftliche Strategien langfristig auszurichten.
Die steigende Nachfrage nach Exportgütern wie Kaffee, Baumwolle und Kautschuk führte im 20. Jahrhundert zu massiven Veränderungen in Ostafrika. Die landwirtschaftliche Produktion wurde zunehmend exportorientiert, was traditionelle Anbaumethoden in den Hintergrund drängte. Die lokale Bevölkerung verlor mehr und mehr den Zugang zu Land, da grosse Flächen für die Plantagenwirtschaft umgewidmet wurden. Dadurch verschoben sich Besitzverhältnisse, indigene Menschen wurden umgesiedelt und die Ernährungssicherheit beeinträchtigt. Diese Entwicklungen wirken in der Region bis heute nach.
Die Fokussierung auf wenige Exportprodukte hatte gravierende Folgen: Riesige Waldflächen wurden abgeholzt, um Platz für Plantagen zu schaffen. Intensive Landwirtschaft führte zur Auslaugung der Böden und verschlechterte die Wasserversorgung. Der Verzicht auf Mischkulturen machte Anbauflächen anfälliger für Schädlinge und Krankheiten.
Die britische Kolonialverwaltung sowie europäische Unternehmen nutzten Ostafrika als Rohstoffquelle. Die lokalen Produzierenden hatten wenig Kontrolle über Preise oder Handelsbedingungen. Diese Abhängigkeit von globalen Märkten hat sich bis heute kaum verändert: Viele afrikanische Länder exportieren Rohstoffe, während Wertschöpfung vor allem in westlichen Ländern stattfindet.
Mit der Umstellung auf eine exportorientierte Landwirtschaft veränderte sich auch die soziale Organisation der Arbeit. Männer und Frauen wurden zunehmend in Plantagen oder schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse gedrängt, anstatt selbstbestimmt für lokale Märkte oder den Eigenbedarf zu wirtschaften. Besonders Frauen verloren an wirtschaftlicher Unabhängigkeit, da sie zuvor eine zentrale Rolle in der Nahrungsmittelproduktion spielten und nun den Zugang zu eigenen Anbauflächen verloren. Diese Umstrukturierung hatte langfristige Folgen: Die Abhängigkeit von Lohnarbeit ersetzte lokale Wirtschaftsformen, während koloniale Arbeitsstrukturen soziale Hierarchien verfestigten. Zudem gingen traditionelle landwirtschaftliche Praktiken und Wissensbestände verloren, was die Anpassungsfähigkeit an ökologische Herausforderungen schwächte.
Die Kooperation erweitert die Perspektive. Während europäische Archive viele wirtschaftliche und administrative Dokumente liefern, bringen unsere ugandischen Kolleg:innen mündliche Überlieferungen durch das Führen von Interviews und ein tiefes Verständnis der regionalen Auswirkungen mit. Nur durch diese Kombination können wir die langfristigen Folgen für Umwelt und Gesellschaft umfassend analysieren.
Das Forschungsprojekt «The Lasting Scars of War« zeigt, dass die globalen Wirtschaftsverflechtungen seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute nachwirken. Umweltveränderungen, wirtschaftliche Abhängigkeiten und soziale Umbrüche sind keine isolierten Phänomene, sondern Teil einer langen Entwicklung. Wer sich mit nachhaltiger Wirtschaft beschäftigt, sollte die historischen Zusammenhänge verstehen. Denn die Vergangenheit lehrt, dass kurzfristige wirtschaftliche Interessen oft enorme und langfristige ökologische und soziale Kosten verursachen. Unternehmen, Forschende und Studierende können aus diesen Erkenntnissen lernen, um zukünftige Handels- und Wirtschaftsstrategien nachhaltiger zu gestalten.
Forschungsprojekt » The Lasting Scars of War»
Projektleitung: Prof. Dr. Martin Gutmann
Projektmitarbeit: Dr. Clara-Maria Seltmann
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