Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion sind Errungenschaften langer Kämpfe – doch DEI-Programme geraten zunehmend unter politischen Beschuss. Was passiert, wenn moralische Werte zur Verhandlungsmasse werden? Und wie halten Unternehmen Kurs, wenn Gleichstellung plötzlich Gegenwind bekommt?
„Manchmal braucht es nur wenig“, sagt eine ehemalige Studentin der Business Administration an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Trotz starker Sehbeeinträchtigung konnte sie studieren. Oft genügte ein kleines Entgegenkommen – etwa die Erlaubnis, in der Statistikprüfung den Computer statt eines unlesbaren Taschenrechners zu nutzen. Mitunter war auch Kreativität gefragt, um die nächste Hürde zu nehmen – ein zusätzlicher Aufwand, insbesondere für die betreuenden Personen.
Doch sollen öffentliche oder auch privatwirtschaftliche Unternehmen den Mehraufwand für die Unterstützung einzelner Personen überhaupt leisten? Genau auf diesen Mehraufwand zielt die Trump-Administration mit der Abschaffung von DEI-Programmen in Verwaltung und Wirtschaft ab. Sie beruft sich dabei auf ein Urteil des Supreme Courts aus dem Jahr 2023, welches Zulassungsquoten für unterrepräsentierte Gruppen bei Studienplatzvergaben als unzulässig erklärt hat.
Solche Praxis amerikanischer Universitäten sollte jungen Menschen aus benachteiligten Verhältnissen bessere Zugangschancen bieten. Doch gerade dieses Anliegen wird aus konservativer Sicht als Bevorzugung und damit als neue Form der Ungleichbehandlung scharf kritisiert.
Die auf Trumps Erlass folgenden Anordnungen führten zu unterschiedlichen Reaktionen bei amerikanischen und international tätigen Unternehmen mit US-Präsenz: Die einen setzen ihr Engagement fort, passen sich aber dem gesetzlichen Rahmen an, um nicht angreifbar zu sein oder Aufträge zu verlieren, etwa Roche, Novartis, UBS. Andere überlegen noch, wie sie sich verhalten sollen, etwa ABB. Wieder andere sind vermutlich froh, dass sie eine als lästig empfundene Pflicht loswerden können.
Eine Schwierigkeit stellen für in Europa ansässige Firmen jedoch die hiesigen gesetzlichen Vorgaben für die Berichterstattung dar, zu der Themen von sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit gehören. Zudem lassen sich DEI-Themen in den Unternehmen nicht einfach entfernen, wenn sie in der Unternehmensstrategie verankert sind. Eine abrupte Abkehr von den verankerten DEI-Zielen müsste ein Unternehmen unter anderem mit Glaubwürdigkeitsverlust und Imageschaden bezahlen.
Aus ökonomischer Perspektive wird gegen DEI-Massnahmen häufig das Leistungsprinzip angeführt. Frauenquoten werden abgelehnt mit dem Anspruch: Die beste Person bekommt den Job. Die Ökonomin Iris Bohnet benutzte kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung das Bild eines Rennens, bei dem eine Person zehn Meter hinter der Startlinie starten muss. Eine faire Leistungsmessung sei unter solchen Bedingungen nicht möglich. Selbst Frauen mit nachgewiesener Führungskompetenz starten oft ein paar Meter hinter der Startlinie, weil Vorurteile gegenüber der Kompetenz von Frauen kulturell tief verwurzelt sind.
Gegen das Messen von Leistungen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. So dürfen von Studierenden an Hochschulen und Mitarbeitenden in Unternehmen Leistungen erwartet werden. Jedoch ist es möglicherweise vertretbar, wenn ein Student mit Dyslexie dreissig Minuten Zeitzuschlag für die Prüfung bekommt, solange am Schluss die Prüfungsergebnisse stimmen. Auch muss eine Führungsperson vielleicht nicht darauf bestehen, einen wichtigen Projektmeilenstein von einer stark introvertierten Person präsentieren zu lassen, auch wenn diese Substanzielles zum Ergebnis beigetragen hat.
Der Vergleich mit ungleichen Starbedingungen in einem Rennen ist anschaulich, vereinfacht aber auch. Weder in Hochschulen noch in Unternehmen sind die Menschen als Einzelkämpfer:innen unterwegs. Leistung entsteht meist im Team und entfaltet ihr volles Potenzial, wenn alle im Zusammenspiel ihre jeweiligen Stärken einbringen können.
Die Forderungen nach Diversity, Equity, Inclusion sind einst aus der Gleichstellungsbewegung der 1970er-Jahre hervorgegangen und erhielten einen starken Schub gerade aus der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Die US-amerikanische Studie Workforce 2000 warnte bereits 1987 vor einem bevorstehenden Fachkräftemangel, dem durch eine stärkere Einbindung von Frauen und Minderheiten in den Arbeitsmarkt zu begegnen sei.
Das Verdienst jahrzehntelanger Bemühungen für Diversity, Equity, Inclusion sind ein differenzierter Blick auf die Potenziale von Mitarbeitenden oder Studierenden, die Anerkennung von Vielfalt und der Einbezug von Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, unabhängig von deren persönlichen Merkmalen.
Der Backlash gegen DEI-Programme ist ernst zu nehmen, auch wenn die Forderungen moralischen Werten und ökonomischer Rationalität widersprechen. Es hat lange gedauert, so viel Bewusstsein und Sensibilität zu schaffen. Und genau darin liegt Hoffnung: Zahlreiche Initiativen – von interkulturellen oder LGBTQI-Netzwerken über Schulungen, Diversity-Monitorings, Gebets- und Stillräumen bis hin zu Nachteilsausgleichen – sind Teil eines Kulturwandels in Organisationen und Unternehmen, der sich gemäss seiner Natur sehr langsam vollzieht und sich nicht leicht zurückdrehen lässt.
Das bestätigt eine Nachfrage bei einem von den Anordnungen aus den USA betroffenen Unternehmen: „Auf der globalen Ebene mussten Anpassungen vorgenommen werden, aber hier in der Schweiz werden wir im Juni weiterhin die Pride-Fahnen hissen.“
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