Viele reden über nachhaltigen Konsum – doch im Alltag landet dann doch der Coffee-to-go im Einwegbecher oder wir fahren allein im Auto zur Arbeit. Zwischen Wollen und Tun klafft eine Lücke: die Attitude-Behavior Gap. Was helfen kann? Ein Paradigmenwechsel: Statt Wissensvermittlung oder moralischer Appelle braucht es kluge Strukturen, die nachhaltiges Handeln zur einfacheren Gewohnheit machen.
Ob Flugverzicht, Plastikverzicht, Fleischreduktion oder bewusster Kleiderkauf – nachhaltiger Konsum ist in aller Munde. Umfragen in den DACH-Ländern zeigen regelmässig, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung nachhaltiges Verhalten und Umweltschutz für wichtig hält (Umweltbundesamt, 2025; Sotomo, 2022). Dennoch schlagen sich diese Einstellungen oft nicht im Verhalten nieder: Der globale Markt für Fast Fashion wird bis 2032 voraussichtlich von 162,76 auf 317,98 Mrd. USD anwachsen (Fortune Business Insights, 2025). Auch die Passagierkilometer im Luftverkehr sollen jährlich um 4,7 % steigen – sofern sich die Wirtschaftslage stabilisiert (Bain & Company, 2025). Diese Inkongruenz zwischen Haltung und Handeln ist als „Attitude-Behavior-Gap“ bekannt.
Ein häufiger Erklärungsversuch: Konsument:innen sei die Relevanz umweltfreundlichen Verhaltens nicht bewusst. Entsprechend setzten viele Interventionen auf Aufklärung und Wissensvermittlung – von Kampagnen wie „Du musst nicht perfekt sein, um das Klima zu schützen“ (WWF) bis zu Informationsangeboten oder Nachhaltigkeitslabels (GOTS, demeter, Energieeffizienzklassen). Doch zahlreiche Studien zeigen: Konsument:innen verfügen durchaus über Problembewusstsein (Deloitte, 2024; Handelsverband Deutschland, 2024). Auch das umweltbezogene Wissen ist insgesamt gut ausgebildet (Heidbreder et al., 2019; Tobler et al., 2012; Vasiljevic-Shikaleska et al., 2018).
Fragt man Menschen, warum sie Fleisch essen, nennen viele Gewohnheit oder soziale Erwartungen (Kemper et al., 2023). Kleidung wird oft gekauft, weil man Lust auf etwas Neues hatte, das Stück reduziert war oder ein Impuls überwog (Statista, 2007). Auch Markentreue und der Einkauf in vertrauter Umgebung spielen eine Rolle (Wiederhold & Martinez, 2017). Die vermeintliche Dominanz kognitiver Gründe (s.o.) wird empirisch nicht bestätigt – emotionale und gewohnheitsbezogene Motive sind ebenso entscheidend.
Konsumentscheidungen sind stark habitualisiert: sie erfolgen häufig ohne gedankliche Anstrengung und bisweilen unter Zeitdruck. Der Griff zur bekannten Marke, der tägliche Arbeitsweg mit dem Auto, das Wegwerfen statt Reparieren – solche Routinen sind tief verankert und schwer zu durchbrechen. Aus psychologischer Sicht folgen Gewohnheiten einem festen Ablauf: Reiz – Routine – Belohnung. Nachhaltiger Konsum hingegen verlangt bewusste Entscheidungen, Zeit und oft auch Verzicht – und konkurriert damit mit dem bequemen Status quo.
Hinzu kommt: Die soziale und materielle Umwelt stabilisiert bestehende Muster. Der Mainstream-Konsum ist einfach verfügbar, günstig und vertraut – nachhaltige Alternativen hingegen oft teurer, unpraktischer oder weniger präsent. Selbst bei hoher Motivation scheitern viele an fehlenden Angeboten, unklaren Informationen oder sozialem Druck.
Ein Wandel gelingt also nicht allein über Einsicht oder Information. Was es braucht, ist eine Gestaltung des Kontexts, die neue Gewohnheiten ermöglicht – sogenannte „Choice Architecture“ (Thaler, Sunstein, & Balz, 2012). Beispiele sind voreingestellte vegetarische Kantinenmenüs, Rücknahmesysteme für Kleidung, prominente Platzierung von Mehrwegprodukten oder CO₂-Feedback. Solche Ansätze setzen nicht bei der Überzeugung, sondern beim Alltagshandeln an – und genau dort entscheidet sich nachhaltiger Konsum.
Politik, Wirtschaft und Bildung sollten sich also stärker auf kontextbezogene Hebel konzentrieren: standardisierte umweltfreundliche Optionen, intelligente Anreize und eine Umgebung, die nachhaltiges Handeln zur naheliegenden Wahl macht. Nur so wird aus gutem Willen gelebte Praxis.
Kommentare
0 Kommentare
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.